Hoffnung, aber noch kein Durchbruch |
08.05.2018 16:46 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Die Suche nach wirksamen Therapien der Alzheimer-Demenz war bisher von herben Rückschlägen gekennzeichnet. Gescheitert ist die Forschung aber nicht, betont ein führender Alzheimer-Forscher. Denn aus den Fehlschlägen habe man gelernt. Mehrere vielversprechende Ansätze seien in Entwicklung.
Die wichtigste Lektion, die Alzheimer-Forscher in der Vergangenheit gelernt haben, lautet: Es ist kompliziert. Bei der Entstehung der demenziellen Erkrankung spielen mehrere Faktoren eine Rolle, darunter β-Amyloid (Aβ) und τ-Protein, aber auch immunologische beziehungsweise entzündliche Mechanismen. Bei einem Workshop der Paul-Martini-Stiftung in Berlin sprach Professor Dr. Christian Haass, der an der LMU München sowie am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München zu Alzheimer forscht, zunächst über Aβ.
Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind in Deutschland fast 1,6 Millionen Menschen von einer Demenz betroffen. Die meisten von ihnen leiden an Alzheimer.
Foto: iStock/FredFroese
Aβ ist ein Abbauprodukt des Membranproteins APP (Amyloid Precursor Protein). Es wird von den Proteasen β- und γ-Sekretase aus dem APP herausgeschnitten, wobei die β-Sekretase am Anfang schneidet und die γ-Sekretase am Ende. »Aβ bildet zunächst toxische Oligomere, kleine Fibrillen, die noch löslich sind und die dann weiter miteinander aggregieren, große Fibrillen und letztlich die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques bilden«, erklärte Haass. Momentan werde die Theorie diskutiert, dass nur die Oligomere toxisch sind, die Plaques jedoch nicht (lesen Sie dazu PZ 36/2017, Seite 36). »Davon bin ich aber nicht überzeugt. Ich glaube, dass auch die Plaques zumindest im frühen Stadium der Erkrankung eine sehr hohe toxische Aktivität besitzen«, sagte der Experte.
Eindeutige Indizien
Ob Plaques oder Oligomere: Dass Aβ zur Entstehung der Alzheimer-Demenz entscheidend beiträgt, steht für Haass außer Frage. Als Beleg führte er mehrere genetische Zusammenhänge an. So erkranken etwa alle Menschen mit Down-Syndrom im Alter von 50 bis 60 Jahren an Alzheimer. Der Grund sei eine Überproduktion von Aβ, denn das APP sei auf Chromosom 21 kodiert, das bei diesen Menschen dreimal vorliegt.
»Weitere Beweise kommen aus der Forschung zur familiären Alzheimer-Erkrankung«, sagte Haass. Hierbei handele es sich zwar um eine eigenständige Erkrankung, die vom sporadisch auftretenden Morbus Alzheimer abgegrenzt wird. »Die Pathologie ist aber praktisch ununterscheidbar«, so Haass. Alle bisher bekannten Genveränderungen, die zu familiärer Alzheimer-Erkrankung führen, lägen im APP, und zwar genau dort, wo β- oder γ-Sekretase schneiden. Als Beispiele nannte Haass Mutationen in den Genen Präsenilin-1 und -2, die den Schnitt der γ-Sekretase um zwei Aminosäuren nach hinten verschieben. Das resultierende Aβ sei länger, wodurch es »drastisch schneller« aggregiere.
Auch das Gegenteil gibt es, und zwar auf Island und in einzelnen Regionen Finnlands. Dort leben Familien, deren Mitglieder aufgrund einer Genmutation nie an Alzheimer erkranken – obwohl sie teilweise hundert Jahre alt werden. Die Mutation liegt im APP an der Schnittstelle der β-Sekretase und reduziert die Bildung von Aβ, informierte Haass.
In Abwesenheit einer solchen schützenden Mutation können die Sekretasen medikamentös gehemmt und so die anfallende Menge an Aβ reduziert werden. Allerdings gibt es hier ein Problem: »Die Sekretasen sind nicht dazu da, Alzheimer zu verursachen, sondern haben im Körper andere wichtige Funktionen«, so Haass. Die γ-Sekretase gebe es in allen mehrzelligen Organismen, sie ist für die Zelldifferenzierung über den Notch-Signalweg unentbehrlich. Entsprechend schwerwiegend waren die Nebenwirkungen der bisher entwickelten γ-Sekretase-Hemmer, sodass bislang noch keine Substanz dieser Klasse zur Marktreife gelangte. Eine Phase-III-Studie mit Semagacestat musste aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen werden (»New England Journal of Medicine« 2013, DOI: 10.1056/NEJMoa1210951). »Dabei waren das eigentlich gar keine Nebenwirkungen, sondern Wirkungen aufgrund der biologischen Funktion der γ-Sekretase«, sagte Haass.
Den Schnitt am anderen Ende des Aβ zu verhindern, indem man die β-Sekretase hemmt, ist offenbar weniger kritisch. Zwar hat auch dieses Enzym eine natürliche Funktion, nämlich die Myelinisierung von Nerven. Diese wird jedoch unmittelbar nach der Geburt angelegt und ist in höherem Alter abgeschlossen, so Haass. Sofern nicht Schwangere oder Babys mit β-Sekretase-Inhibitoren (BACE) behandelt würden, sei das daher kein Problem. Seine Arbeitsgruppe konnte jedoch nachweisen, dass es noch eine weitere Sekretase gibt, die η-Sekretase, die das Amyloid noch weiter vorne schneidet als die β-Sekretase. Das entstehende Fragment wird von α- und β-Sekretasen in kleine Bruchstücke zerschnitten (Aη-α und Aη-β), die wiederum die neuronale Aktivität blockieren (»Nature« 2015, DOI: 10.1038/nature 14864. »Wenn man die β-Sekretase hemmt, werden Aη-α und Aη-β vermehrt gebildet«, sagte Haass. Inwieweit sich das klinisch auswirkt, müsse in Studien untersucht werden, die momentan laufen.
Wirkstoff | Zielstruktur | Wirkweise | Hersteller |
---|---|---|---|
Solanezumab* | lösliches Aβ | hemmt die Bildung von Plaques | Lilly |
Crenezumab | Aβ-Oligomere | fördert den Abbau von Plaques | Roche/AC Immune |
Aducanumab | Aβ-Aggregate | fördert den Abbau von Plaques | Biogen/Eisai/Neurimmune |
Gantenerumab | Aβ-Plaques | fördert den Abbau von Plaques | Roche/Morphosys |
AMG-520 (CNP-520) | β-Sekretase (BACE) | hemmt die BACE und reduziert dadurch die Aβ-Produktion | Novartis/Amgen |
Atabecestat (JNJ-54861911) | β-Sekretase (BACE) | hemmt die BACE und reduziert dadurch die Aβ-Produktion | Shionogi/Janssen |
Elenbecestat (E2609) | β-Sekretase (BACE) | hemmt die BACE und reduziert dadurch die Aβ-Produktion | Eisai/Biogen |
Lanabecestat (AZD-3293) | β-Sekretase (BACE) | hemmt die BACE und reduziert dadurch die Aβ-Produktion | Astra-Zeneca/Lilly |
CAD106 | Aβ-Plaques | therapeutischer Impfstoff | Kuros/Novartis |
Natrium-Cromoglicinsäure (plus Ibuprofen) | Aβ | hemmt die Polymerisierung von Aβ zu Plaques | AZTherapies |
Humanalbumin | Aβ | entzieht dem Gehirn lösliches Aβ; dazu wird wiederkehrend ein Teil des Blutplasmas durch Humanalbumin-Lösung ersetzt | Grifols |
Nilvadipin | Calciumantagonist | entfernt Aβ | Archer |
SK-PC-B70M (Pflanzenextrakt aus Pulsatilla koreana) | wahrscheinlich Aβ | nicht vollständig geklärt | SK Holdings |
Leuko-Methylthioninium | τ-Protein | hemmt die Aggregation von τ-Fibrillen | TauRx |
Masitinib | Tyrosinkinase KIT | hemmt die Neuroinflammation durch Mastzellinhibition | AB Science |
Glycerol-Tricaprylat (Tricaprilin) | Energiestoffwechsel des Gehirns | alternative Energiequelle zu Zucker, fördert Energieversorgung der Nervenzellen | Accera |
Azeliragon | Receptor for Advanced Glycation Endproducts (RAGE) | hemmt RAGE auf Endothel- und Mikroglia-Zellen, wo es bei Alzheimer hochreguliert ist | vTv Therapeutics |
* in Erprobung mit Alzheimer-Patienten im präklinischen Stadium oder mit Personen mit erhöhtem Alzheimer-Risiko Wirkstoffe zur Behandlung der Alzheimer-Demenz in Phase III der klinischen Prüfung; Quelle: vfa
Früh genug therapieren
Auch die Immuntherapie hält Haass für einen gangbaren Weg. Diese war nach fehlgeschlagenen Versuchen mit der sogenannten Alzheimer-Impfung sehr in die Kritik geraten. Bei behandelten Patienten waren nahezu keine Aβ-Plaques mehr im Gehirn vorhanden –doch die Demenz schritt trotzdem ungehindert weiter fort. »Diese Studien bedeuteten nicht das Scheitern der Alzheimer-Forschung, wie damals schnell behauptet wurde. Denn wir haben daraus sehr viel gelernt«, so Haass. Die wichtigste Botschaft, die sich aus den negativen Ergebnissen mit der Alzheimer-Impfung ergab, sei gewesen: Die Erkrankung wird 20 bis 30 Jahre vor den ersten klinischen Symptomen angelegt. Die Impfung war also zu spät gekommen, der Schaden an den Nervenzellen schon da gewesen.
Dass eine Therapie mit deutlich früherem Beginn Erfolg haben kann, zeigen laut Haass die Ergebnisse mit dem Antikörper Aducanumab, die 2016 im Fachjournal »Nature« veröffentlicht wurden (DOI: 10.1038/nature19323). Hier wurde dosisabhängig eine Stabilisierung des Gedächtnisverlusts gefunden. Die Fallzahl war jedoch viel zu gering, um eine verlässliche Aussage über die Wirksamkeit zu treffen. Derzeit gibt es weitere Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen.
»Ich glaube, dass die Alzheimer-Behandlung insgesamt auf dem richtigen Weg ist. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir es jemals schaffen, Patienten früh genug zu identifizieren und rechtzeitig zu therapieren«, sagte Haass. Bei Personen aus Hochrisiko-Familien sei es zwar möglich, nicht nur die Erkrankung an sich, sondern auch das Erkrankungsalter vorauszusagen. Am DZNE würden diese Betroffenen daher in Studien bereits fünf bis sieben Jahre vor diesem Zeitpunkt therapiert. Ob das allerdings früh genug ist? »Möglicherweise müssen wir Betroffene bereits ab dem 18. Lebensjahr behandeln«, sagte Haass. Um Menschen, die (noch) gesund sind, über einen so langen Zeitraum zu therapieren, brauche es Medikamente, die absolut sicher sind. Ob die vorhanden sind, könne jedoch niemand sagen. Dringend erforderlich seien auch bessere Biomarker, mit denen sich sporadisch auftretender Alzheimer, für den es im Gegensatz zur familiären Form keine eindeutigen genetischen Indizien gibt, vorhersagen beziehungsweise sehr frühzeitig diagnostizieren lässt (siehe Seite 30).
Andere Ansätze
In Familien mit genetischer Veranlagung für Alzheimer lässt sich das Erkrankungsalter anhand der Krankengeschichte der Angehörigen relativ genau vorhersagen.
Foto: iStock/ Juanmonino
Die Hemmung von Aβ ist dabei nur einer von mehreren möglichen Therapieansätzen. Laut Haass gehören Aβ und τ-Protein in der Pathologie der Erkrankung untrennbar zusammen. Das überwiegend bei Gehirnzellen im Zytosol vorkommende τ-Protein ist normalerweise ungeordnet und sehr gut löslich. Bei Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen ist es jedoch modifiziert und aggregiert. Mehrere anti-τ-basierte Therapieansätze werden derzeit erprobt, wie Professor Dr. Eckhard Mandelkow vom DZNE in Bonn informierte: die τ-Konzentration zu senken, die abnorme Faltung oder die Aggregation des Proteins zu verhindern sowie posttranslationale Modifikationen wie Phosphorylierung und Acetylierung zu unterbinden. Verglichen mit den Anti-Aβ-Wirkstoffen sind die Anti-τ-Therapeutika jedoch sowohl zahlenmäßig unterlegen als auch in ihrer klinischen Entwicklung größtenteils weniger weit fortgeschritten. /