Pharmazeutische Zeitung online
Apotheken-Wirtschaftsbericht 2017

Ein erfolgreiches Jahr mit Risiken und Nebenwirkungen

08.05.2017  13:53 Uhr

Von Claudia Korf, Eckart Bauer1, Berlin / 2016 war für die öffentlichen Apotheken ein Jahr mit Licht (AMVSG) und langen Schatten (EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016). Rückblickend lässt sich im Jubi­läumsjahr der Reformation Martin Luther zitieren mit den Worten: »Wo Gott eine Kapelle baut, da baut der Teufel eine Kirche daneben.«

1) Claudia Korf ist Geschäftsführerin Wirtschaft, Soziales und Verträge der ABDA. Dr. Eckart Bauer leitet die Abteilung Wirtschaft und Soziales. Die Verfasser danken Dr. Linda Schollenberg und Erik Voigt für ihre Unterstützung.

 

Eine Bewertung des vergangenen Jahres aus apothekerlicher Sicht fällt auf verschiedenen Ebenen zweigeteilt aus – zum einen muss zwischen nationalen und europäischen gesundheitspolitischen Impulsen unterschieden werden, zum anderen kann das Jahr 2016 praktisch in eine prä- und eine post-EuGH-Urteil-Phase unterteilt werden.

 

Der Blick auf die nationale Gesundheitspolitik zeigt Erfreuliches. Im Rahmen des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes (AMVSG) wurde eine Anhebung der Rezepturvergütung bei Arbeitspreis und Fixum sowie eine erhöhte Dokumentationsgebühr erreicht. Dies bedeutet noch immer keine Kostendeckung – und soll es hinsichtlich der Gemeinwohlverpflichtung der Apothekerschaft wohl auch nicht. Doch es zeigt die Wertschätzung für die Arbeit der Apotheker in diesem Bereich. Positiv sind auch der Wegfall von Ausschreibungen im Zytostatika-Bereich auf Apothekenebene und bei Impfstoffen. Diese Maßnahmen stellen das Wohl des Patienten in den Vordergrund und leisten hoffentlich zukünftig einen Beitrag dazu, die Versorgung in Deutschland langfristig verlässlich sicherzustellen.

 

Als enormer Einschnitt mit poten­ziell prägenden Auswirkungen für zukünftige Gestaltungsoptionen muss das EuGH Vorabentscheidungsver­fahren C-148/15 vom 19. Oktober 2016 gesehen werden, mit dem der EuGH die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für ausländische Versandapotheken gemäß § 78 Abs. 1 AMG aufgehoben hat. Die Bemühungen der ABDA, sich mit der Politik auf ein Rx-Versandhandelsverbot zu verständigen, gipfelten zwar in einem Referentenentwurf, der zum derzeitigen Stand aufgrund der zu Ende gehenden Wahlperiode allerdings als gescheitert betrachtet werden muss. Ein Rx-Versandhandelsverbot hätte zumindest einen zeitlichen Puffer für eine wohldurchdachte Reform der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) auf Basis weitergehender Änderungen im SGB V geschaffen.

 

Bislang ist der Marktanteil des Versandhandels noch nicht von entscheidender Bedeutung, wie eine nähere Analyse unten zeigt. Dennoch ist die derzeitig durch das Urteil entstandene Situation der Inländerdiskriminierung auf Dauer nicht haltbar und stellt das langjährige Modell der Apothekenvergütung in Deutschland vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Eine Deckelung von im Inland zu gewährenden Boni an die Patienten ist keine Lösung, da sie weder die Solidargemeinschaft stärkt noch in der Lage ist, ausländische Versandhändler zu binden.

Zwar zeichnen sich am Horizont große Veränderungen ab, aktuell bietet das deutsche Gesundheitssystem allerdings noch den gewohnt konstanten Rahmen, der auch 2016 durch kontinuierliche langfristige Entwicklungen gekennzeichnet war. Dies illustriert auch die Verlaufsdarstellung von GKV-Einnahmen, Bruttoinlandsprodukt (BIP), Tariflöhnen, Verbraucherpreisindex und Apothekenhonorar (Abbildung 1). Die Einnahmen der GKV sind im Vergleich zu den Vorjahren auch 2016 klar gestiegen. Haupttreiber der ausnehmend positiven Einnahmenentwicklung aufseiten der GKV sind weiterhin das hohe sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsniveau und die kontinuierliche Anpassung von Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze nach oben. Auch bei der Konjunktur setzt sich die positive Entwicklung der Vorjahre fort. Bei den Tariflöhnen in den Apotheken ist 2016 ein stagnierendes Niveau verglichen mit 2015 zu konstatieren. Hier zeichnet sich bereits ein steigender Kostendruck ab, der sich in den kommenden Jahren verstärken dürfte. Der Verbraucherpreisindex war zum Jahresende 2016 durch ein vergleichsweise starkes Anziehen der Teuerungsrate, vor allem durch einen Anstieg der Energiekosten und der Ausgaben für Nahrungsmittel, geprägt. Das Apothekenhonorar, gemessen als Apothekenvergütung pro rezeptpflichtiger Arzneimittelpackung, weist nur ein schwaches, aber kontinuierliches Wachstum auf, welches hauptsächlich durch die Strukturkomponente der Arzneimittelpreise gespeist wird.

Dagegen zeigt Abbildung 2 deutlich, dass sich die Kosten für Arzneimittel sowie das Apothekenhonorar im 10-Jahres-Vergleich unterdurchschnittlich entwickelt haben. Das Apothekenhonorar ist sogar von 2,6 Prozent an den Gesamtausgaben der GKV auf 2,3 Prozent gefallen; selbst die Ausgaben der GKV für Arzneimittel aus Apotheken sanken anteilig von 13,5 Prozent auf 12,5 Prozent. Ursächlich hierfür sind deutlich gewachsene Honorare der Ärzte sowie Steigerungen in den Bereichen Heil- und Hilfsmittel sowie Krankengeld und andere sonstige Kosten. Dies sind letztlich die Konsequenzen politischer Entscheidungen, zudem zeigt sich an dieser Stelle der Effekt des demografischen Wandels besonders deutlich.

 

In absoluten Zahlen stieg das Apothekenhonorar von 4,9 Milliarden Euro in 2015 auf 5,0 Milliarden Euro in 2016. Gleichzeitig leisten die Apotheken einen enormen Beitrag zur Schöpfung der 17,5 Milliarden Euro Einsparungen, die die GKV 2016 im Arzneimittelbereich erzielt hat. Abbildung 3 illustriert dies anschaulich.

Noch immer bedeutet die Umsetzung der Vielzahl kassenindividueller Rabattverträge (Ende 2016: 24 600) einen erheblichen bürokratischen Aufwand für die Apotheken. Es besteht regelmäßig ein erhöhter Beratungsbedarf aufgrund der immer wiederkehrenden Wechsel bei den Rabattvertragspartnern, obgleich die Versicherten sich inzwischen prinzipiell an die Situation gewöhnt haben. Erschwerend kommen nicht selten Probleme bei der Lieferfähigkeit hinzu. Diese haben nicht nur für die Patienten negative Konsequenzen, sondern ziehen für betroffene Apotheken unberechtigte Retaxationen einzelner Krankenkassen nach sich. Erkennbar sank im Verlauf der letzten Jahre der Anteil der rabattierten verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die zuzahlungsbefreit oder -ermäßigt waren. Spiegelbildlich stiegt das Volumen der Arzneimittelzuzahlungen von 1,6 auf 2,2 Milliarden Euro im Jahr.

Die durchschnittliche Zuzahlung der Patienten pro Packung ist 2016 seit langer Zeit wieder einmal konstant geblieben und beläuft sich wie 2015 auf 2,80 Euro. Zuvor waren die Zuzahlungen der Patienten seit Jahren um durchschnittlich 10 Cent pro Jahr und Packung gewachsen. Nach wie vor leisten die Apotheken in dieser Hinsicht die Arbeit für die GKV und tragen das Zuzahlungsinkasso, wie sie dies auch bei den Herstellerabschlägen tun. Diese liegen wie im Vorjahr bei rund 1,7 Milliarden Euro. Seit seiner Festschreibung hält sich auch der Apothekenabschlag relativ konstant und liegt bei rund 1,1 Milliarden Euro jährlich.

Aus Abbildung 5 wird ersichtlich, dass sich der Rückgang der Apothekenbetriebsstätten 2016 leicht beschleunigt hat. Mit nur noch knapp über 20 000 Betriebsstätten ist Ende 2016 der niedrigste Stand seit 1990 erreicht. Dieser Trend setzt sich bereits im ersten Quartal 2017 fort. Als Ursache ist in erster Linie der andauernde Strukturwandel zu nennen. Einerseits steigt die Zahl der Hauptapotheken mit maximal drei Filialen, andererseits gibt es eine Verschiebung in der Größe der Betriebsstätten hin zu höheren Umsatzklassen. Parallel nimmt die Anzahl der Apotheken, die als OHG gemäß § 8 ApoG betrieben wird, zu (Abbildung 6). In 10 Jahren stieg die Zahl der OHG-Apotheken um rund 63 Prozent. Dies wird bedingt durch die zunehmende Feminisierung auch bei den Apothekeninhabern sowie die Marktkonzentration mit den entsprechenden Finanzierungslasten beim Übergang auf einen Nachfolger.

Bei der Betrachtung der Apothekendichte nach Landkreisen (Abbildung 7) werden deutliche Schwankungen offensichtlich. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die höchste Apothekendichte findet sich dabei in der Oberpfalz, die niedrigste in Bottrop. In Weiden in der Oberpfalz kommen 45 Apotheken auf 100 000 Einwohner, in Bottrop versorgen nur 18 Apo­theken die gleiche Bevölkerungszahl. Im Bundesdurchschnitt liegt die Apothekendichte bei 24 Apotheken je 100 000 Einwohnern, im Jahr 2015 waren es noch durchschnittlich 25 Apotheken.

 

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland (mit 24 Apotheken) da­- bei unter dem EU-Durchschnitt (mit 31 Apotheken) je 100 000 Einwohnern. Wie in Abbildung 8 dargestellt, ist die Versorgung in den skandinavischen Ländern noch konzentrierter. In Spanien sind dagegen viele und in Griechenland die meisten Apotheken zu finden.

Abbildung 9 unterstreicht eindrücklich, dass die öffentlichen Apotheken noch immer der wichtigste Arbeitsplatz für Pharmazeuten sind. Fünf von sechs PharmazeutInnen arbeiten in öffentlichen Apotheken. Das Berufsbild des Offizin-Apothekers ist nach wie vor attraktiv für Absolventen des Pharmazie-Studiums.

 

Die Zahl der in Apotheken Beschäftigten steigt sowohl absolut als auch auf die einzelne Apotheke bezogen. Dies ist zum einen das Resultat der hohen Anforderungen an Beratung und Dokumentationen, zum anderen aber auch bedingt durch Konzentrationstendenzen in Verbindung mit Umsatzwachstum.

 

Offizin-Apotheken bieten gerade für Frauen besonders attraktive Arbeitsbedingungen, was auch in Abbildung 10 klar ersichtlich wird. Rund die Hälfte aller Beschäftigungsverhältnisse sind in Teilzeit. Während vor 10 Jahren noch nahezu alle Auszubildenden weiblich waren, stieg die Quote männlicher Auszubildender im Zeitverlauf auf gut 10 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Pharmazeutinnen von 66 auf 72 Prozent.

In absoluten Zahlen wurden im Jahr 2016 rund 1,4 Milliarden Packungen abgegeben. Dies liegt leicht unter dem Vorjahresniveau. Im rezeptpflichtigen Markt hat es 2016 ein moderates Wachstum bei den Packungszahlen gegeben, bei den rezeptfreien Arzneimitteln war dagegen ein leichter Rückgang zu verzeichnen (Abbildung 11). Die rezeptfreien Arzneimittel dienen in drei Viertel der Fälle der Selbstmedikation; nur rund 20 Prozent werden zulasten der Kostenträger verordnet. Im Bereich der Selbstmedikation spielt der Versandhandel eine Rolle.

 

Bezogen auf den Umsatz machen rezeptpflichtige Arzneimittel mit rund 80 Prozent den größten Teil aus (Abbildung 12). Zu dem apothekenüblichen Randsortiment, das 10 Prozent des Umsatzes ausmacht, zählen neben Hilfsmitteln und Diagnostika wie Blutzuckerteststreifen auch Verbandstoffe, Hygiene- und Körperpflegeprodukte sowie Nahrungsergänzungsmittel und Diätetika.

Abbildung 13 zeigt die Entwicklung im Bereich der hochpreisigen (in der Regel neuen, innovativen) Arzneimittel im Zeitraum 2014 bis 2016 im GKV-Markt. Man sieht deutlich, dass der Umsatz der Apotheken mit hochpreisigen Arzneimitteln (mit einem Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers von über 1200 Euro) in den letzten Jahren merkbar zugenommen hat. Besonders ausgeprägt war das Umsatzplus mit fast 22 Prozent zwischen den Jahren 2014 und 2015, jedoch betrug es auch von 2015 auf 2016 noch rund 6 Prozent. Zudem war das Gesamtumsatzwachstum in diesem Zeitraum geringer. Insgesamt gibt es circa 49 000 zugelas­sene verschreibungspflichtige Arz­neimittel (bezogen auf PZN, das heißt unter Berücksichtigung verschiedener Packungsgrößen und Wirkstärken). Etwa 2600 am Markt befindliche Präparate weisen 2016 einen Abgabepreis des pharmazeu­tischen Unter­nehmers ApU (das heißt ohne MWSt) von mehr als 1200 Euro auf, 52 Arzneimittel liegen 2016 bei einem Preis von über 10 000 Euro und können daher als sehr teuer bezeichnet werden.

Im Zuge des EuGH-Urteils vom Oktober 2016 und den seitdem intensiv geführten Debatten um den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln ist ein Blick auf die aktuelle und potenzielle zukünftige Marktbedeutung dieses Versorgungszweigs geboten. Aus Abbildung 14 wird ersichtlich, dass der Versandhandel bislang nur im Bereich der OTC-Arzneimittel einen nennenswerten Marktanteil erlangen konnte. Wertmäßig liegt er bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln knapp über einem Prozent, mengenmäßig sogar leicht darunter. Diese Zahlen spiegeln allerdings die Marktsituation vor Inkrafttreten der Preisfreiheit für ausländische Versandhändler wider. Die intensive Werbung und Bonifizierung bei Einsendung von Rezepten lässt die Annahme zu, dass sich das Verbraucherverhalten dem anderer Branchen annähern wird. Die Entwicklung im Bereich der Selbstmedikation legt diese Vermutung nahe.

Geht man davon aus, dass bereits mittelfristig 10 Prozent des Absatzes (dies entspricht 67 Millionen Packungen) in den ausländischen Versandhandel abwandern, würde sich der Rohertrag der öffentlichen Apotheken um mehr als eine halbe Milliarde Euro verringern. Bereits eine solche noch moderate Annahme würde die flächendeckende Versorgung erheblich unter Druck setzen. Kosteneinsparungen gingen zulasten des Personaleinsatzes und damit wiederum zulasten der Beratungsleistungen. Damit würde eine wesentliche Effizienzreserve des deutschen Gesundheitswesens (siehe unten Ausblick) nicht mehr gehoben werden können.

 

Abbildung 15 illustriert die Entwicklung der Notdienstpauschalen für Volldienste, das heißt von 20 Uhr bis 6 Uhr und an Sonn- und Feier­tagen. Jede Nacht leisten bundesweit über 1100 Apotheken Nachtdienst und sichern die Versorgung von täglich 20 000 Patienten zu diesen Stunden. 

Unterstützt werden sie dafür durch einen Fonds, der mit dem ANSG ein­geführt wurde und sich aus einem Aufschlag von 0,16 Euro je abgege­bener verschreibungspflichtiger Packung speist. Diese Umverteilung ermöglicht es gerade kleinen Land­apotheken mit geringem Rezeptaufkommen, aber vielen Notdiensten eine teilweise Kostendeckung zu erreichen. Hinzu kommen Teildienste, das heißt Öffnungen in den späten Abendstunden, die nicht unterstützungsfähig sind.

 

Trotz pauschalierter Ausschüttung über den Nacht- und Notdienstfonds ist die 24/7-Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung nicht kostendeckend zu erbringen und somit Teil der Gemeinwohlverpflichtung der öffent­lichen Apotheken.

 

Impulse für die nächsten Jahre

Die Arzneimittelausgaben liegen in Deutschland 30 Prozent über dem OECD-Durchschnitt. Damit gehört Deutschland zu den Ländern, die mit am meisten für Arzneimittel ausgeben. Ausschlaggebend hierfür sind insbesondere sehr teure Medikamente (Strukturkomponente). Dies ist wiederum die Folge des frühen Zugangs deutscher Patienten zu Innovationen.

 

Die OECD2 konstatiert Deutschland eine hohe Versorgungsqualität, kritisiert jedoch zu viele potenziell vermeidbare Krankenhausausenthalte. Gerade bei chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Herzinsuffizienz ließe sich die ambulante Therapie verbessern, wenn mehr für die Arzneimitteltheraphiesicherheit (AMTS) getan würde. Hier liegt der Schlüssel zur Hebung von Effizienzreserven. Dafür braucht es eine flächendeckende Versorgungsstruktur mit Pharmazeuten. Dies wird ohne ein Netz öffentlicher Apotheken kaum gelingen.

Die stark alternde Bevölkerung erhöht die Prävalenz der chronischen Erkrankungen und macht zugleich den Handlungsbedarf umso deutlicher. Spiegelbildlich sink die Zahl an Gesundheitsfachkäften in der Zukunft, dies macht auch vor Ärzten und Apothekern nicht Halt. Die Segnungen der Tele­medizin und Telepharmazie können diesen Effekt nur zum Teil ausgleichen. Bessere Kooperation und Vernetzung sind die Gebote der Stunde.

 

Was wir brauchen, ist ein Stärkungsgesetz, das die Arzneimitteltherapie in den Fokus nimmt und nicht allein auf die direkten Arzneimittelkosten abhebt. Den Apothekern sollte im Bereich der AMTS eine starke Rolle zugewiesen werden. Dies muss sich dann auch in der angemessenen Vergütung entsprechender Leistungen niederschlagen. Damit würde auch ein fairer Wettbewerb mit ausländischen Versandhändlern möglich. Notwendige Bedingung wäre ferner die Anerkennung der Gemeinwohlleistungen der öffentlichen Apotheken. Wer die Annehmlichkeiten einer flächendeckenden 24/7-Sicherstellung dauerhaft genießen möchte, muss in die Infrastruktur dieses Netzes investieren. Online-Bestellverfahren lösen keine Gesundheitsprobleme.

 

<typohead type="1">Betriebswirtschaftliche Perspektive

Die vorangegangene Darstellung gibt einen globalen Überblick über die Branche »Apotheke« und die sie prägenden Umgebungsbedingungen. Zum Verständnis der wirtschaftlichen Situation der Branche »Apotheke« sollte man aber auch die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten einzelner Apotheken genauer betrachten. Damit man hierbei nicht, sprichwörtlich gesagt, den Wald vor lauter Bäumen übersieht, ist bei circa 20 000 Betriebsstätten eine statistische Zusammenfassung erforderlich.

 

Seit dem Jahr 2012 stammt die Datengrundlage hierfür aus der – vertraglich geregelten – Zusammenarbeit der ABDA mit der Treuhand Hannover Steuerberatungsgesellschaft. Die von der ABDA bezogenen Daten sind aggregiert, ein Rückschluss auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten konkreter Apotheken ist unmöglich. 

Das Datenpanel umfasst zurzeit über 2500 verschiedene Betriebsstätten – aus allen Bundesländern, aus allen Größenklassen, Einzel-, Haupt- und Filialapotheken. Die betriebswirtschaftlichen Zahlen entstammen der Finanzbuchhaltung des jeweiligen Betriebs. Es sind die Zahlen, die von der Steuerberatungsgesellschaft geprüft werden und die Grundlage für die Meldung an das Finanzamt bilden. Sie beziehen sich ausschließlich auf den jeweiligen Apothekentrieb und das Berichtsjahr, hier also das Jahr 2016. Sonstige Einkünfte des Inhabers finden keinen Niederschlag.

 

Es wird im Laufe des Jahres interessant sein zu sehen, ob die zur Erstellung eines Gutachtens im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vorgenommene Apothekenbefragung gleichermaßen repräsentative Ergebnisse erzielt.

 

Die durchschnittliche Betriebsstätte

Früher stand die sogenannte »typische Apotheke« im Fokus der Betrach­tungen. Diese befindet sich in der Netto-Umsatzgrößenklasse, in der die meisten Betriebsstätten liegen. Das ist im Jahr 2016 der Bereich von 1,5 bis 1,75 Millionen Euro mit einem Anteil von 12,2 Prozent aller Apotheken. Ein Blick auf Abbildung 18 verdeutlicht, dass auch in den beiden benachbarten Netto-Umsatzgrößenklassen jeweils ein großer Anteil der Apotheken liegt. Über 33 Prozent aller Apotheken befinden sich im Netto-Umsatzbereich von 1,25 bis 2,0 Millionen Euro.

 

Seit der Umstellung zum Berichtsjahr 2013 steht die »durchschnittliche Apotheke« im Mittelpunkt der betriebswirtschaftlichen Berichterstattung der ABDA. Für das ABDA-Datenpanel liegt der durchschnittliche Netto-Umsatz im Jahr 2016 bei 2,220 Millionen Euro und damit deutlich über dem der typischen Apotheke. Für die Bewertung ist wichtig: Mehr als 60 Prozent der Betriebsstätten weisen einen Netto-Umsatz auf, der unter dem Durchschnittswert liegt. Dieser Anteil hat sich in den letzten Jahren auch kaum geändert.

Die Betrachtung der durchschnitt­lichen statt der typischen Apotheke führt zu einer stärkeren Berücksichtigung umsatzstarker Betriebsstätten. Dies geht aber damit einher, dass Apotheken im Umsatzbereich der durchschnittlichen Apotheke deutlich seltener anzutreffen sind als die im Umsatzbereich der typischen Apotheke.

 

Steuerliches Betriebs­ergebnis

 

Das steuerliche Betriebsergebnis erhält man, wenn man vom Netto-Umsatz den Wareneinsatz und die Kosten des Apothekenbetriebs abzieht. Betrachtet man das steuerliche Betriebsergebnis als prozentualen Anteil des Netto-Umsatzes, so ist es im Zeitraum von 2002 bis 2012 um circa ein Drittel auf 5,7 Prozent gesunken, um dann im Jahr 2013 auf 6,7 Prozent anzusteigen. Dieser Anstieg war die Folge verschiedener politischer Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftlichen Situation der öffentlichen Apotheken – genannt seien in diesem Zusammenhang die erstmalige (und einzige) Anpassung des Fixentgeltes und die Einführung des Nacht- und Notdienstfonds im Jahresverlauf –, aber auch verbesserte Einkaufskonditionen. Seit 2013 sinkt das steuerliche Betriebsergebnis kontinuierlich, und erreicht mit 6,4 Prozent im Jahr 2016 den Tiefstwert der »Vor-AMNOG-Zeit« (Abbildung 19).

Der Rückgang hat verschiedene Gründe. So haben sich die Einkaufskonditionen der Apotheken verschlechtert, das Fixum nach Arz­neimittelpreisverordnung hingegen blieb unverändert. Hinzu kommt die zunehmende Bedeutung hochpreisiger Arzneimittel, bei denen der Apothekenanteil am Verkaufspreis gering ist und Einkaufsvorteile nur in sehr beschränktem Ausmaß erzielt werden können. Zusammen ergibt dies einen deutlichen Wiederanstieg der Wareneinsatzquote, die im Jahr 2016 mit 75,8 v. H. den zweiten Höchststand in Folge erreicht (Abbildung 20).

 

Personalkosten

 

Ein so dominanter Kostenblock wie der Wareneinsatz kann andere, relevante Entwicklungen auf der Kostenseite verdecken. Um dies zu vermeiden, ist es in einigen Fällen sinnvoll, den Rohgewinn als Bezugsgröße zu nutzen, also das, was vom Netto-Umsatz der Apotheke nach Abzug des Netto-Wareneinsatzes übrigbleibt.

Abbildung 21 weist den Anteil der Personalkosten am Rohgewinn aus. Die Personalkosten werden dabei als Kosten der Arbeitgeberseite, also inklusive dem Arbeitgeberanteil an der Sozialversicherung, gerechnet. Natürlich gibt es auch hier Schwankungen, da die Personalkosten nicht so kurzfristigen Änderungen unterworfen sind wie die Wareneinsatzquote und damit auch indirekt der Rohgewinn. Aber der Blick auf die Gesamtentwicklung zeigt einen im Zeitablauf sehr deutlich steigenden Personalkostenanteil.

Ursächlich hierfür sind verschiedene Entwicklungstendenzen: Einerseits die Verschiebung innerhalb der Apothekenteams hin zu höher qualifizierten – und damit aus Arbeitgebersicht teureren – Berufen. Andererseits erfordert die Gewinnung qualifizierter Mitarbeiter höhere Löhne und Zusatzleistungen. Und außerdem findet hier auch die schon erwähnte kontinuierliche Zunahme des Anteils der Filialbetriebe ihren Niederschlag. Bei der Filialisierung kommt es zu einer (teilweisen) Umwandlung des für selbstständige Apothekeninhaber typischen Residualeinkommen zum Kontrakteinkommen angestellter Apothekerinnen und Apotheker.

 

Die längerfristige Perspektive

 

Das steuerliche Betriebsergebnis der durchschnittlichen Apothekenbetriebsstätte liegt im Jahr 2016 bei circa 142 600 Euro, und damit ungefähr 6000 Euro über dem Wert des Vorjahres. (Abbildung 22)

Formal kann man sagen, dass damit das vierte Rekordjahr hintereinander realisiert wird. Aber diese Interpretation ist einseitig, wie verschiedene Hinweise erklären.

 

Zum einen handelt es sich bei der Zeitreihe um eine Abfolge von Nominalwerten. Für den Vergleich zweier aufeinander folgender Jahre ist das auch – mit Blick auf die vergleichsweise niedrige Inflationsrate in Deutschland – unkritisch. Bei der Betrachtung längerer Zeitreihen muss man aber berücksichtigen, dass sich mit der Zeit durch Inflation die Kaufkraft eines gegebenen Euro-Betrags verringert. Anders ausgedrückt: Der Euro des Jahres 2002 war wertvoller als der des Jahres 2016.

 

Abbildung 23 gibt die Zeitreihe der vorangegangenen Graphik zu konstanten Preisen des Jahres 2002 wider. Die Korrektur erfolgt dabei unter Nutzung des gesamtdeutschen Verbraucherpreisindex des Deutschen Statistischen Bundesamtes.

Auch jetzt werden für die letzten beiden Jahre noch Rekord-Betriebsergebnisse ausgewiesen. Aber diese liegen nur noch geringfügig über den Werten zu Beginn des Jahrtausends. Letztlich hat es keine Partizipation an der allgemeinen Wohlstandsstei­gerung gegeben, sondern nur einen Erhalt des Realwertes. Dabei wiederum ist zu beachten, dass es heute circa 2000 Betriebsstätten, und damit ungefähr 9 Prozent, weniger als zu Beginn des Jahrtausends gibt. Dieser Prozess hat zur Folge, dass der Umsatz der verbleibenden Betriebsstätten im Durchschnitt steigt. Und natürlich gibt es auch eine Verzerrung derart, dass die wirtschaftlich stärkeren Betriebsstätten erhalten bleiben, und letztlich durch die Schließung anderer Betriebsstätten gestärkt werden. Trotzdem liegt das durchschnittliche Betriebsergebnis kaufkraftbereinigt eben nur geringfügig über dem vom Beginn des Jahrtausends.

 

Ausblick

 

Für das laufende Jahr gibt es verschiedene Ergebnisfaktoren, die sich recht gut abschätzen lassen. So werden die mit dem AMVSG verabschiedeten Erhöhungen der Rezepturentgeltung und der Dokumentationsgebühr eine Ergebnisverbesserung zur Folge haben, können aber natürlich die fehlende Anpassung des Abgabeentgelts nicht kompensieren. Der GKV-Abschlag ist gesetzlich bei 1,77 Euro (brutto) fest­geschrieben, die Notdienstpauschale wird ungefähr bei den Werten des letzten Jahres liegen. OTC-Markt und der Absatz verschreibungspflichtiger Arzneimittel wachsen im langfristigen Schnitt, das Wachstum der Lohnkosten ist moderat.

Zwei Faktoren lassen sich jedoch nur begrenzt abschätzen: Zum einen stellt sich die Frage, ob und in welchem Maße Versandapotheken nach dem Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016 und dem Nicht-Zustandekommen einer Beschränkung des Versandhandels auf OTC verstärkt Marktanteile gewinnen können. Zum anderen birgt der Rechtsstreit, inwieweit Apotheken beim Arzneimittelkauf vom Lieferanten zusätzlich zur in der Arzneimittelpreisverordnung vorgesehenen Möglichkeit von Einkaufsvorteilen auch Skonto eingeräumt erhalten können, Risiken. Infolge der hohen Kostenbedeutung des Wareneinsatzes schlagen sich verschlechterte Einkaufskonditionen sehr deutlich im Betriebsergebnis nieder.

 

Schon kurzfristig verheerende wirtschaftliche Folgen hätte es jedoch, falls sich die Vorstellungen einzelner Politiker durchsetzen würden, deutschen Vor-Ort-Apotheken die Möglichkeit einzuräumen, Patienten Rabatte zu gewähren. Das soll vorgeblich der Vermeidung einer vermeintlichen Inländerdiskriminierung gegenüber ausländischen Versandapotheken dienen. Aber schon der in der Diskussion genannte Preisnachlass von 1 Euro pro Packung würde bei breiter Anwendung sowohl den Rohertrag als auch das Betriebsergebnis einer durchschnittlichen Apotheke um 30 000 Euro senken. Alle mit den Maßnahmen der letzten Jahre gewonnenen wirtschaftlichen Stärkungen wären damit auf einen Schlag wieder verpufft, die Existenz vieler Apotheken akut gefährdet.

 

Abbildung 24 stellt dar, wie das zu Preisen des Jahres 2002 ausgewie­sene Betriebsergebnis der durchschnittlichen Betriebsstätte des Jahres 2016 ausgesehen hätte, wenn die Apotheken in 85 Prozent aller Fälle bei der Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels einen Rabatt von 1,00 Euro (0,84 Euro netto) gewährt hätten. 85 Prozent entspricht dem Anteil der GKV an den in Apotheken abgegebenen Packungen verschreibungs­pflich­tiger Arzneimittel. Und ein Rabatt von 1,00 Euro liegt an der Untergrenze der Beträge, die in der politischen Diskus­sion genannt werden.

 

Schon in diesem nicht extremen Szenario würden die öffent­lichen Apotheken im Durchschnitt auf Betriebsergebnisse aus dem Bereich der AMNOG-Tristesse der Jahre 2011 und 2012 zurückgeworfen. Auf eine Darstellung der Folgen höherer Rabatte, gegebenenfalls in Zusammenspiel mit verschlechterten Einkaufsbedingungen, soll an dieser Stelle verzichtet werden – sie lassen sich gut erahnen.­­

 

Das vergleichsweise gute Betriebsergebnis der durchschnittlichen Apothekenbetriebsstätte im Jahr 2016 ist nicht nur in relevantem Maße Folge der Schließung einer zunehmenden Zahl an Apotheken, es ist außerdem durch politische und juristische Entscheidungen in höchstem Maße gefährdet. Wenn die Gesellschaft eine flächendeckende Versorgung durch wohnortnahe, inhabergeführte Apotheken will, darf sie nicht deren Grenzen der Belast­barkeit austesten. /

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