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Rheumamittel aus Vietnam

Wundermittel unter der Lupe

07.05.2014  10:02 Uhr

Von Ulrike Holzgrabe und Johannes Wiest / Viele Wunderheilmittel firmieren unter dem Label »pflanzlich« und imponieren durch ihre außerordentliche gute Wirksamkeit. Fragt man die Käufer solcher Mittel, haben diese häufig eine Odyssee von Arztbesuchen und erfolglosen Therapieversuchen mit klassischen Arzneimitteln hinter sich. Dies gilt vor allem für Rheumapatienten.

Kürzlich wendete sich eine Rheuma­patientin an uns, die regelmäßig ihre Arznei von einem vietnamesischen (Wunder)heiler aus der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt bezieht. Die Patientin reiste sogar manchmal persönlich nach Vietnam, um diese für ein paar Dollar dort zu kaufen. Die weite Reise sei ihr das Arzneimittel wert, da es ihr, im Gegensatz zu den Mitteln, die ihr der deutsche Arzt verschrieben hat, sehr gut hilft. Es handelt sich um ein bräunliches Pulver, dessen Tagesdosen in kleinen Faltbriefchen abgepackt sind. Jedes Briefchen kostet etwa 14 Cent. Einen Beipackzettel hatte die Patientin nicht. Sie war sich aber sicher, dass es sich um ein rein pflanz­liches Mittel handelt. Die Tatsache, dass das Pulver nach Zimt riecht, bestärkte sie in ihrer Meinung. Auch hatte sie im Internet eine ganze Reihe von Angeboten über pflanzliche Antirheumatika gefunden.

Trotz der guten Wirksamkeit wandte sich die Patientin an uns, um etwas über die Bestandteile des Pulvers zu erfahren. Die Probe wurde von uns einerseits mikro­skopisch untersucht. Dabei konnten Bestandteile der Zimtrinde wie einzelne und vergesellschaftete Stärke-Granula, Parenchym mit Oxalatkristallen sowie verdickte Zellwände gefunden werden (Abbildung 1), was den Geruch erklärt. Weitere pflanzliche Bestandteile konnten nicht identifiziert werden, da das Pulver sehr fein verrieben ist.

 

Andererseits wurde das Pulver NMR-spektroskopisch und massenspektrometrisch untersucht. Das NMR-Spek­trum des Gesamtgemischs wird beherrscht von den Signalen von Paracetamol. Mittels präparativer HPLC-Chromatografie wurden vier Komponenten isoliert, deren spektroskopische Strukturbestimmung neben Paracetamol Indometacin, Sulfa­methoxazol und Trimethoprim ergab, also eine Mischung aus einem Analgetikum, einem nicht steroidalen Antirheumatikum und dem Antibiotikum Cotrim (Abbildung 2). Mittels IR-Spektroskopie und nasschemischen Untersuchungen wurde auch noch Phosphat nachgewiesen. Das analytische HPLC-Chromatogramm zeigt noch eine weitere Komponente, die allerdings in so kleinen Mengen vorhanden war, dass sie nicht identifiziert werden konnte.

Arzneistoff-Cocktail in therapeutischen Dosen

 

Mittels Standard-Additionsmethode wurde die Menge der Einzelkomponenten in dem Pulver bestimmt. In einem Briefchen mit 2,6 g Pulver, das die Tagesdosis darstellt, wurden 863 mg Paracetamol, 262 mg Sulfamethoxazol und 42 mg Indometacin gefunden. Die Menge Trimethoprim ließ sich aufgrund der kleinen Menge nicht exakt bestimmen (weniger als 1 Prozent des Pulvers). Die empfohlene Tagesdosis Paracetamol liegt bei etwa 300 bis 1000 mg, die von Indometacin bei 25 bis 100 mg (in Ausnahmefällen kann von beiden Substanzen auch mehr genommen werden) und die von Cotrim bei 200, 400 oder 800 mg Sulfameth­oxazol sowie 40, 80 beziehungsweise 160 mg Trimethoprim. Vergleicht man dies mit den oben genannten gefundenen Mengen, stellt man fest, dass alle Komponenten in pharmakologischen Dosen in dem Pulver enthalten sind. Insofern wundert es nicht, dass die Patientin mit der Wirksamkeit des Pulvers zufrieden war.

 

Man fragt sich natürlich nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Kombina­tion, abgesehen von der Tatsache, dass bis auf Paracetamol alle Substanzen in Deutschland rezeptpflichtig sind. Sicher kann Indometacin zur Behandlung von rheumatischen Erkrankungen eingesetzt werden, auch wenn es heutzutage nicht mehr das Mittel der ersten Wahl darstellt. Paracetamol hat keinerlei antiinflammatorische Wirkung und ist deshalb nicht indiziert, genauso wenig wie das Antibiotikum Cotrim. Die dauerhafte Einnahme des Antibiotikums befördert sicher die Ausbildung einer Resistenz. Hinzu kommen die zu erwartenden Nebenwirkungen dieses Cocktails. Zudem ist die Gefahr der Überdosierung gegeben, da viele Patienten in dem Glauben, ein rein pflanzliches Medikament anzuwenden, ihre regulären Arzneimittel weiterhin einnehmen. /

 

Für die Verfasser

Johannes Wiest, Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie,
Am Hubland 10, 97074 Würzburg
E-Mail: j.wiest(at)pharmazie.uni-wuerzburg.de

Literatur

 

J. Wiest, C. Schollmayer, G. Gresser, U. Holzgrabe (2014) Identification and Quantification of the ingredients in a Counterfeit Vietnamese Herbal Medicine against rheumatic diseases. J. Pharm. Biomed. Anal. Im Druck.

 

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