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Celesio/Gehe

Apotheken ziehen Konsequenzen und wenden sich von Gehe ab

07.05.2007  10:17 Uhr

Celesio/Gehe

Apotheken ziehen Konsequenzen und wenden sich von Gehe ab

Von Thomas Bellartz

 

Es ist keine Überraschung: Nach PZ-Informationen und einer Umfrage bei Pharmagroßhandlungen, in Apotheken und bei anderen Marktbeteiligten, wenden sich zahlreiche Kunden von der Gehe ab. Das dürfte eine Folge der DocMorris-Übernahme durch die Gehe-Konzernmutter Celesio sein. Dort gibt man sich weiterhin offensiv.

 

Stefan Meister, im Celesio-Konzern unter anderem für den Einzelhandel zuständig, übernahm in den vergangenen Tagen die Rolle des DocMorris-Gründers Ralf Däinghaus. Anstelle des bisherigen Liberalisierungs-Lautsprechers schickte Oesterle nun seinen zweiten Mann nach vorne, um der Presse zu erklären, dass man nach einer Liberalisierung des deutschen Apothekenmarktes eine Apothekenkette unter dem DocMorris-Signet betreiben wolle. Bis dahin werde man weitere DocMorris-Partnerapotheken eröffnen. In den vergangenen Tagen allerdings mehrten sich auch in der zuletzt noch euphorischen Finanzbranche, die zunehmend die Zeitspanne hinterfragt, wie lange es denn noch dauert, bis Gehe und Celesio tatsächlich losschlagen können - die Zweifel an der Einseitigkeit der Bewertungen. Der Aktienkurs bröckelt, obwohl bislang kaum durchgedrungen scheint, welchen Aderlass die deutsche Gehe erleidet. Nach Ansicht verschiedener anderer Großhandelsvertreter sowie nach Angaben von Apothekern dürfte der bisherige Verlust bereits 15 bis 20 Prozent der Kundeschaft liegen. Und es ist nicht abzusehen, ob dieser Strom versiegt.

 

Bei der Gehe versucht man nach PZ-Informationen mit einer extrem aggressiven Vertriebskampgne die argwöhnischen Pharmazeuten einzufangen. Manche äußerten sich, von der Gehe weg zu wollen, aber nicht zu können. Die gesamte Großhandelsbranche befindet sich im Umbruch. Denn nun gilt es für die anderen Marktbeteiligten, die Gehe-Kunden aufzufangen. Für die deutsche Gehe brechen schwere Zeiten an. Das Niederlassungsnetz ist flächendeckend ­ und das bei einem Marktanteil, der zuletzt unterhalb von 17 Prozent gelegen haben soll. Die Kostenstruktur ist bei der Gehe also dramatisch, heißt es. Andere Großhändler wie Phoenix verfügen über ein nicht viel größeres Niederlassungsnetz und dürften wegen deutlich höherer Marktanteile weitaus profitabler agieren.

 

Zudem nimmt Gehe viel Geld in die Hand, um Kunden wenigstens mit hohen Rabatten zum Bleiben zu bewegen. Es wird aber auch berichtet, dass Gehe-Außendienstleister Druck auf einzelne Apotheken ausüben und für den Fall einer Kündigung des Geschäftsverhältnisses drohen, in die Nähe dieser Apotheke eine DocMorris-Platzierung zu organisieren. Anderen wiederum wird nahegelegt, selbst zur DocMorris-Apotheke umzufirmieren - sonst werde das der Nachbar tun.

 

Die Stimmung ist jedenfalls deutlich: Das mag auch daran liegen, dass das Management noch im November in einem Kundenbrief weitschweifend ausführte, wie verlässlich man als Partner sei, und dass man sich gegen die Kette und für die selbstständige Apotheke einsetzen wolle. Der Brief endete damit, dass die Apotheke insoweit eine Zukunft habe. Und: »DocMorris hat keine.« Viele Apotheken haben der PZ-Redaktion diesen Brief noch einmal zukommen lassen.

 

Nachdem sich gleich nach Bekanntwerden der Übernahme die Apothekenkooperation gesine und auch Kammer und Verband aus Hamburg geäußert hatten, schlagen die Wogen immer höher.

 

Noweda: Kampfansage

 

So kritisierte die Noweda den Kauf von DocMorris durch Celesio scharf, »da dieser Vorgang nicht im Interesse der Apotheker sei«. »Die Übernahme mag den Aktienkurs der Haniel-Tochter vorübergehend in die Höhe treiben, für die deutsche Apotheke ist sie eine Kampfansage«, so Vorstandschef Wilfried Hollmann. Mit Spannung sei zu beobachten, ob die deutschen Apothekerinnen und Apotheker die Macht zu Veränderungen nutzen und durch die Vergabe des Umsatzes ihre Zustimmung beziehungsweise Ablehnung zu dem Übernahme-Deal dokumentieren.

 

Die Noweda jedenfalls vertrete eindeutig die Auffassung, dass die wohnortnahe Individual-Apotheke die beste Form der Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung ist. Die persönliche und eigenverantwortliche Leitung der öffentlichen Apotheken garantiere ein hohes Beratungs- und Betreuungsniveau rund um die Uhr an 365 Tagen. Wirtschaftliches Interesse von Konzernen steuere die Diskussion um die Liberalisierung des Apothekenwesens. Der heilberufliche Aspekt der Apotheke werde von den »interessierten Kreisen« in den Hintergrund gedrängt, was zwangsläufig zu nachteiligen Folgen für die Bevölkerung führen müsse. Konzern-Filial-Apotheken seien bei Beratung und Service schlechter als die inhabergeführte Apotheke. Die Politik habe den Vorteil der heutigen Apothekenstruktur erkannt, und sich im vergangenen  Jahr eindeutig gegen Fremdbesitz ausgesprochen.

 

»Sehr kritisch« beobachten auch die mittelständischen pharmazeutischen Großhandlungen, die unter »Pharma Privat« auf dem pharmazeutischen Großhandelsmarkt agieren, die Geschehnisse im deutschen Apotheken- und Arzneimittelmarkt. »Art und Zeitpunkt der Übernahme von DocMorris durch die Gehe-Muttergesellschaft Celesio verwundern doch sehr«, erklärte Hanns-Heinrich Kehr, Geschäftsführer der Kooperation, zu dieser Entwicklung. Hatte man bei Gehe noch vor Monaten das Loblied auf den selbstständigen Heilberufler Apotheker gesungen, so ließen die Pressemeldungen und Interviews der Celesio in den letzten Wochen erahnen, dass eine grundlegende Veränderung in der Unternehmenspolitik ansteht. Anlass zur Sorge gebe der neue Zungenschlag und der Versuch, die Apothekerschaft zu verunsichern. Kehr: »Denn dass Europa bereits Weichenstellungen oder gar Fakten für den Fall des Fremdbesitzverbotes geschaffen hat, wie aus Stuttgart behauptet wird, ist schlichtweg falsch.«

 

Damit nicht genug versuche Celesio nun außerdem, direkt Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Und zwar, indem man Bundestagsabgeordnete gezielt auffordere, sie sollten doch besser jetzt selbst Fakten schaffen, bevor europäische Gerichte dies tun! »Im Klartext: Hier wird als Gewissheit suggeriert, was in Wahrheit höchst spekulativ ist. Außer von dem Verfahren gegen DocMorris vor dem Europäischen Gerichtshof droht den deutschen Apotheken keine Gefahr aus Europa.«

 

»Celesio will sich nicht dem Wettbewerb stellen, sondern mithilfe europäischer Gerichte Druck auf die deutsche Politik ausüben, um am Ende über die eigene Kette auch noch die Apothekenmarge in die Konzernkasse zu lenken«, stellte Kehr richtig. Wer Kunden Waren verkaufe gewinne automatisch Einblicke. Für einen Lieferanten, der gleichzeitig als Apothekenkonkurrent auftrete, »fast schon geniale Voraussetzungen«. Kehr: »Derartiges lehnen wir als mittelständische Unternehmen schon im Ansatz ab.« Pharma Privat habe sich als Kooperation starker selbständiger Unternehmen gegründet, um einer möglichen Übermacht weniger Konzerne auf dem deutschen Apothekenmarkt entgegenzutreten.

 

»Selbstständiger Partner für die selbständige Apotheke - jetzt erst recht«, lautet die Botschaft des Pharmagroßhändlers von der Linde. Mit dem »erfolgreichen Kooperationsmodell EMK, der seit Kurzem bestehenden Zusammenarbeit mit dem Partner-Apotheken-Netzwerk und mit dem weit fortgeschrittenen Neubau eines leistungsstarken Vertriebszentrums im mittleren Ruhrgebiet« sieht sich der größte inhabergeführte Pharmahändler Deutschlands auch für ein verändertes Wettbewerbsumfeld bestens gerüstet.

 

Mit inzwischen 1121 Mitgliedern gehöre EMK zu den bundesweit größten Apotheken-Kooperationen. Das Konzept habe damit weit mehr als die Hälfte aller Kunden überzeugt. Trotz der regionalen Aufstellung habe EMK auf der Herstellerseite mehr Partner als jede andere Kooperation eines pharmazeutischen Großhandels. Inhaber Ulrich von der Linde betont: »Einkaufsmacht ist nicht alles. EMK muss die Kooperation im Markt bleiben, die wahrnehmbar besser funktioniert und den Partnern auf beiden Seiten deutliche Vorteile bietet!«

 

In Hamburg forderten Apotheker, die der Kooperation »Partner-Apotheken« angehören, am Dienstag Celesio zur Abgabe einer Datenschutz-Erklärung auf. Bis Celesio sich nicht schriftlich verpflichtet, die bei der Gehe entstandenen Daten nicht für die Gründung eigener Apotheken zu nutzen, wollen sich die Apotheken lieber von anderen Großhändlern beliefern lassen. Peter Menk, Geschäftsführer der Partner-Apotheken, sagt dazu: »Aufgrund der umfangreichen Lieferbeziehungen hat der Pharmagroßhandel üblicherweise detaillierten Einblick in die Geschäfte der Apotheke und kann entsprechende Rückschlüsse auf den Standort ziehen. Das kann dann zum Problem werden, wenn der Lieferant zum Wettbewerber wird. Um hier Sicherheit für die Apotheke zu schaffen, kann ich die Forderung nach einer Datenschutz-Erklärung nur unterstützen.«

 

»Ich befürchte, dass Celesio meine Bestelldaten bei der Gehe dazu benutzen könnte, sich Standortinformationen für die Eröffnung eigener Filialen zu verschaffen. Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand«, sagt Christian Bartz, Inhaber der Erika Apotheke in Hamburg. Auch andere Apotheker sind empört und fordern eine deutliche Stellungnahme von Gehe und Celesio. »Wir sägen uns doch nicht den Ast ab, auf dem wir sitzen.«

Kommentar: Konsequent

Man mag ein gepflegtes christliches Verhalten dem zuweilen üblichen verbalen und derb zwischenmenschlichen Metzeleien der heutigen Zeit vorziehen. Frei nach dem Motto, auch noch die andere Wange hinzuhalten, wenn einem jemand mit voller Wucht ins Gesicht schlägt.

 

Wir wissen, welche Situationen im Neuen Testament gemeint sind. Aber sich sehenden Auges über den Tisch ziehen, fortwährend veräppeln zu lassen und dabei auch noch dankbar sein zu sollen - das war wohl nicht gemeint.

 

Den Fehler zu machen, unter Berücksichtigung dieses und ähnlicher Mottos einem Marktgegner wie Celesio/Gehe und seinem internationalen Konzern- und Schlachtenlenker Dr. Fritz Oesterle in freudiger Erwartung gegenüberzutreten, wäre fatal. Auch wenn der Druck, den die Gehe-Vertriebstruppen - wie selbstverständlich - seit Tagen nun ausüben, weiter zunimmt. Der Druck, der gegen all diejenigen ausgeübt wird, die schlichtweg anderer Meinung sind und dies auch sagen und eine Oesterle widerstrebende Position einnehmen. Der Konzern will seine Position ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen. Mit den Verlusten sind auch die eigenen gemeint, sofern die Kunden das Weite suchen - und das tun zurzeit ziemlich viele. Es dürfte eine Schmerzgrenze geben bei den Herren in den dunkelblauen Anzügen.

 

Auch wenn manche Apotheken - in welchen Lieferbeziehungen auch immer - bereits gefangen sind beim einstigen und langjährigen Geschäftspartner, kann jetzt, zwei Wochen nach der DocMorris-Übernahme, niemand mehr behaupten, Celesio und mit ihr die Gehe kämen nur mit einem blau-grünen Auge davon. Die Zuwachsraten bei den anderen Großhändlern sprechen für sich und eine klare Sprache. Dass überdies versucht wird, mit überhöhten Rabatten den ersten Proteststurm zu unterdrücken, ist das Bemühen, vom eigentlichen Interesse Celesios abzulenken; die eigene Gier soll durch das Erzeugen einer Gier nach besseren Konditionen überdeckt werden.

 

Man will eine eigene Apothekenkette und man steht mit DocMorris in Konkurrenz zu den eigenen Großhandelskunden. Oesterle hat hart zugeschlagen.

 

Das Gespann Oesterle-Gehe-Celesio-DocMorris umgibt sich mit der Weltretter-Aura: Das Leben ist schön, lasst uns zusammen spielen, in die Zukunft, in den Sonnenuntergang schauen und keine Angst vor der Dämmerung haben, denn es gibt einen Führer durch den Dickicht der Apothekenliberalisierung. Doch Führer Fritz Oesterle hat - auch wenn er anderes vorgibt - maximal eine Vermutung, wohin der Weg führt. Er will, dass ab sofort nach seinen Regeln gespielt wird. Zuweilen klingt das so, als ob er sich selbst Mut machen müsse.

 

Denn die meisten seiner Kunden erkennen - ebenso wie viele Politiker - das durchsichtige Spiel. Chancen, dieses Spiel auch ohne Gehe oder Celesio oder Oesterle oder DocMorris an der Seite für sich zu entscheiden, gibt es auf jeden Fall. Nur einen Fehler darf man nicht machen: die andere Wange jetzt auch noch hinzuhalten.

 

Thomas Bellartz

Leiter der Hauptstadtredaktion

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