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Nutzenbewertung

Schwerer Weg zur richtigen Entscheidung

30.04.2013  20:28 Uhr

Die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), dem zentralen Entscheidungsgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, ist sehr komplex. Die dort gefassten Beschlüsse sind richtungsweisend für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Und sie sind maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung des Arzneimittelmarktes. Allen recht machen kann man es da schwer. Der GBA-Vorsitzende Josef Hecken sprach in Potsdam über Probleme bei der Entscheidungsfindung.

Die Evidenzmaßstäbe bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln seien die schwierigste Baustelle bei der Arbeit des GBA, betonte Hecken. Es bestehe die Gefahr, dass aufgrund von erhöhten Evidenzanforderungen letztlich eine Nutzenbewertung zustande komme, die nicht mehr dem Wohl des Patienten diene. Oberste Priorität sei immer, eine flächen­deckende, patientengerechte Ver­sorgung in Deutschland zu gewährleisten.

 

Produkte mit bedingter Zulassung problematisch

 

Als Beispiel für die Problematik der Evidenzmaßstäbe nannte Hecken die Bewertung von Produkten mit bedingter Zulassung. Diese erfolge meist auf der Basis von Phase-II-Studien. Dies bedeute aber auch eine Zulassung auf Basis einer schwachen Evidenzlage. Für den GBA sei es schwierig, diese Arzneimittel dann mit den herkömmlichen Evidenzmaßstäben zu bewerten. Oft sei es eine Gratwanderung, zu entscheiden, welche Evidenzanforderung der GBA bei der Bewertung zugrunde legen soll: Orientiert man sich an den weicheren Richtlinien der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder eher an den sehr strengen Regeln der US-amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde FDA? So gäbe es beispielsweise ein Produkt, das von der FDA nicht zugelassen wurde, aufgrund eines signifikant erhöhten Blasen-und Brustkrebsrisikos. Seitens der EMA wurde dem Produkt trotzdem in isoliertem Bezug auf die Wirkung ein erheblicher Zusatznutzen attestiert. Probleme bei der Evidenz gebe es auch bei »einfachen« Produkten. Als Beispiel nannte Hecken Linagliptin. Dem Diabetesmittel hatte der GBA kürzlich keinen Zusatznutzen attestiert. In der Folge nahm der Hersteller das Produkt vom deutschen Markt, um der Einstufung in eine Festbetragsgruppe zu entgehen. Das, was bei diesem Produkt als Vorteil proklamiert wurde, so Hecken, ein Absenken des Herzinfarktrisikos, sei nicht evidenzbasiert nachgewiesen. Nach Aussagen von Diabetikern sei für 20 bis 30 Prozent der Patienten dieses Gliptin besser als der Sulfonylharnstoff, so Hecken. Aber keiner wisse, warum das so sei. »Welche Evidenzmaßstäbe lege ich an« so Heckens Frage in die Runde.

Doch nicht nur die Nutzenbewertung von Arzneimitteln stößt oft auf Kritik seitens Pharmaindustrie oder Patientengruppen. Auch das Kriterien-Modell, das der Nutzenbewertung des Bestandmarktes zugrundgelegt wird und kürzlich vom GBA vorgestellt wurde, wird kritisiert (siehe Meldung Seite 13).

 

Flexibilität bei unvollständigen Dossiers

 

Es sei nicht die Intention des GBA, innovative Medikamente »kaputt zu prüfen«, betonte Hecken. Aber man habe Vorgaben. Dass der GBA durchaus auch flexibel reagiere, zeige sich beispielsweise beim Umgang mit unvollständig eingereichten Dossiers. Hier habe der GBA die gesetzlich vorgeschriebene formale Vollständigkeitsprüfung letztlich weniger strikt interpretiert, um Herstellern die Möglichkeit zu geben, fehlende Unterlagen fristgerecht nachzureichen und so trotz anfänglicher Formfehler eine Bewertung zu erhalten. »Die Pharmaunternehmen haben einen Anspruch auf inhaltliche Bewertung«, so Hecken.

 

Generell stelle sich die Frage nach dem Wert der evidenzbasierten Medizin. »Nicht alles, was sinnvoll ist, ist evidenzbasiert«, so Hecken. Auch im Bereich der Onkologika blieben Zweifel, ob die zugrunde gelegten Parameter für die Bewertung immer geeignet seien. Nach Ansicht des GBA-Vorsitzenden ist das bloße Überleben als Kriterium für einen Zusatznutzen überzeichnet, wenn sich dadurch die Lebensqualität verschlechtere.

 

Laut Hecken hat der GBA seit Jahresbeginn 32 neue Arzneimittel bewertet, die meisten aus der Onkologie. Dabei wurde bei mehr als 60 Prozent ein Zusatznutzen anerkannt. Insgesamt wären 90 Prozent der Beschlüsse im Plenum einstimmig erfolgt, so Hecken. /

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