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dm-Fall

Urteilsgründe liegen vor

29.04.2008  15:48 Uhr

dm-Fall

Urteilsgründe liegen vor

Von Lutz Tisch, Berlin

 

Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts zu seiner Entscheidung vom 13. März 2008 bestätigt das OVG Münster. Danach erlaubt der Versandhandel mit Arzneimitteln auch ein Geschäftsmodell, das die Abholung bestellter Arzneimittel in einem logistisch für die Apotheke tätigen Gewerbebetrieb vorsieht.

 

Eine bundesweit durch Filialen vertretene Drogeriemarktkette hatte 2004 in einigen wenigen Filialen in Nordrhein-Westfalen eine Bestellmöglichkeit für Arzneimittel eingerichtet. Sie eröffnete den Kunden die Möglichkeit, einen in der jeweiligen Filiale erhältlichen, an eine Versandapotheke adressierten Bestellschein auszufüllen, indem er neben seiner Adresse die gewünschten verschreibungspflichtigen oder nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel angeben und durch Ankreuzen bestimmen konnte, ob die Lieferung an eine von ihm angegebene Adresse oder an die Filiale der Drogeriemarktkette erfolgen sollte.

 

Während der Abholschein des Kunden abzutrennen war, war der Bestellschein, gegebenenfalls mit der Verschreibung, in eine Bestelltasche zu geben, die in eine verschlossene Sammelbox einzuwerfen war. Die Bestelltaschen wurden per Kurier der Versandapotheke zugeleitet, die ihrerseits die Arzneimittel bei entsprechendem Kundenwunsch im verschlossenen Umschlag der Drogeriemarktfiliale zustellte, wo sie vom Kunden unter Vorlage des Abholscheins und seines Personalausweises abgeholt werden konnten. Eine daraufhin von der zuständigen Aufsichtsbehörde erlassene Untersagungsverfügung führte zur rechtlichen Auseinandersetzung, die nunmehr letztinstanzlich vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wurde.

 

Wie bereits zuvor vom OVG Münster mit Urteil vom 7. November 2006 (OVG 13 A 1314/06) entschieden, hält das Bundesverwaltungsgericht das dargestellte Abholkonzept für rechtlich zulässig. Seiner Auffassung nach deckt der vom Gesetzgeber uneingeschränkt zugelassene Versandhandel mit Arzneimitteln nach dem Wortlaut der Regelung, ihrer Historie und der Systematik des Gesetzes sowie nach deren Sinn und Zweck eine Auslegung, die neben der unmittelbaren Zustellung der Arzneimittel an den Empfänger auch weitere für den Versandhandel typische Zustellmodalitäten rechtfertigt.

 

Nach Auffassung des Gerichts sprechen die Belange des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit nicht gegen eine solche weite Auslegung des Versandhandelsbegriffs. Mit der Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln habe der Gesetzgeber bewusst die Inanspruchnahme der Beratung durch den Apotheker in die freie Entscheidung des Patienten gestellt, wie das Bundesverwaltungsgericht bereits in seinem Außenschalter-Urteil vom 14. April 2005 (BVerwG 3 C 9.04) festgestellt habe. Einschränkungen des Versandhandels auf die Versandform der Individualzustellung stellten hingegen einen Eingriff in das grundgesetzlich verbürgte Recht der Berufsfreiheit (Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz) dar, für den triftige Gründe des Gemeinwohls nicht ersichtlich seien. Allerdings bleibe die Abgabe der Arzneimittel an die Versandapotheke gebunden und die Abholstelle auf bloße logistische Aufgaben für die Apotheke verwiesen.

 

Unzulässig sei nach Auffassung des Gerichts daher jede Beteiligung Dritter am Vertrieb, die über eine bloße Transportfunktion hinausgehe und den Anschein erwecke, als würde die Abholstelle selbst Arzneimittelhandel betreiben. Auch die Entgegennahme von Arzneimittelbestellungen und Rezepten unterliege nicht dem für Präsenzapotheken geltenden Genehmigungsvorbehalt für Rezeptsammelstellen.

 

Des Weiteren führt das Gericht aus, dass die im vorliegenden Fall zu beurteilende Beteiligung einer niederländischen Versandapotheke arzneimittelrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das Gericht beruft sich auf eine vom BMG veröffentlichte Länderliste, die niederländischen Versandapotheken dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards beim Versandhandel mit Arzneimitteln attestiert und ihnen den Versand an deutsche Endverbraucher zubilligt, sofern sie an ihrer Betriebsstätte eine Präsenzapotheke unterhalten. Substanziierte Einwände gegen die Richtigkeit der in der Bekanntmachung getroffenen Einschätzung sah das Gericht vom Beklagten nicht vorgetragen.

 

Handlungsbedarf für Gesetzgeber

 

Die knappe und prägnante Entscheidung begründet eindeutig Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Die Politik versichert, dass eine Beliebigkeit der Arzneimittelübergabestellen, zum Beispiel in Drogeriemärkten, bei Lebensmitteldiscountern oder in Dönerbuden unerwünscht ist. Dann muss nun korrigierend eingegriffen werden. Der uneingeschränkte Versandhandel mit Arzneimitteln konterkariert die Apothekenpflicht, trivialisiert das Arzneimittel und degradiert die deutsche Arzneimittelversorgung im internationalen Vergleich. Jetzt muss entschieden werden, ob man das Arzneimittel für eine Ware besonderer Art hält, die dem Patienten mit fachkundiger Beratung des Apothekers vermittelt werden muss, wenn Gründe der Arzneimittelsicherheit dies gebieten. Anderenfalls würde es sich um Konsumgüter handeln, die überall ohne fachkundige Begleitung erworben werden können und beliebigen Gewerbetreibenden zur Erhöhung ihrer Kundenzahl dienen dürfen.

 

Lesen Sie dazu auch: Bestell- und Abholservice in Drogeriemärkten ist zulässig

 

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