Altes Kulturgetränk neu erforscht |
26.04.2016 16:10 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Moderne Methoden der Biochemie bestätigen heute, was bereits Hippokrates, Hildegard von Bingen oder Paracelsus intuitiv erkannten: Bier kann die Gesundheit fördern, wenn man es in Maßen genießt. Seine Grundzutaten sind hierzulande seit 500 Jahren nahezu unverändert. Darüber wacht das deutsche Reinheitsgebot.
Im April 1516 erließ der bayerische Herzog Wilhelm IV. die Vorschrift, dass Bier allein Gerste, Hopfen und Wasser enthalten durfte. Von Hefe ist noch nicht die Rede. Sie wird erst 1870 von dem französischen Chemiker Louis Pasteur entdeckt. Dem dänischen Botaniker Emil Christian Hansen gelingt 1881 die Isolation einer einzelnen Bierhefezelle. Seit 1906 ist das Reinheitsgebot geltendes Recht in ganz Deutschland.
Bier schmeckt gut und ist – in Maßen genossen – außerdem sehr gesund.
Foto: istockphoto/dyscoh
Bier wird seit Tausenden von Jahren gebraut, ist eines der ältesten Lebens- und Genussmittel der Menschheit und in vielen Gesellschaften ein wichtiges Kulturgetränk. Als vermutlich erste Bierbrauer gelten die Sumerer aus dem Zwischenstromland Mesopotamien. Dass vor etwa 5000 bis 6000 Jahren aus Getreide ein alkoholhaltiges Getränk entstehen konnte, geht dabei wohl auf einen Zufall zurück: Brotreste waren in einen Wasserbehälter gelangt, den die heiße Sonne erwärmte. In der Luft enthaltene sogenannte wilde Hefen leiteten dann den Gärungsvorgang ein. Das so entstandene prickelnde Gemisch schmeckte vermutlich schon recht passabel, vor allem aber die berauschende Wirkung des Getränks weckte das Interesse der Menschen. Ungefiltert mit zahlreichen Rückständen und wenig Kohlensäure kam das Urbier zwar nicht an das süffig-herbe Getränk heran, das wir heute kennen und von dem jeder Deutsche – statistisch – rund 100 Liter jährlich trinkt. Dennoch enthielt das Gebräu schon die Zutaten, die ein gutes Bier ausmachen: Wasser, Braugetreide und verschiedene Würzstoffe, die mittels der wilden Hefen zu einem alkoholischen Getränk vergoren wurden. Hopfen war noch nicht enthalten. Für einen besseren Geschmack wurden dem Bier unter anderem Honig und Gewürze beigemischt.
Als Beweis für diese frühe Brauart gilt das sogenannte Monument Bleu, kleine Tontafeln, die heute im Pariser Louvre hängen und die Zubereitung von Opferbier für die Fruchtbarkeitsgöttin Nin-Harra zeigen. Bier war in den ersten Hochkulturen Mesopotamiens ein bereits weitverbreitetes Getränk und Genussmittel, spielte aber auch bei kultischen Handlungen eine wichtige Rolle und wurde als Tausch- und Zahlungsmittel eingesetzt.
Die Babylonier kannten schon etwa 20 verschiedene Biersorten, von Dünnbier bis Premiumbier, die bis nach Ägypten exportiert wurden. Dort entstand auch die erste Staatsbrauerei der Welt. Dünnbier war ein eher wässriges Bier, das hauptsächlich aus Gerste bestand. Das Premiumprodukt im babylonischen Getränkemarkt war ein aufwendig hergestelltes dunkles Starkbier aus gekeimtem und geröstetem Emmer und Brot. Der durch Keimen und Backen des Getreides in Gang gebrachte Umwandlungsprozess von Stärke in Zucker – und dann im Rahmen der alkoholischen Gärung in Alkohol – war die erste biochemische Leistung der Menschheit.
Ein erstes Schank- und Braugesetz regelte auch bereits die Qualitätsstandards für Bier und setzte Höchstpreise fest. Die vom babylonischen König Hammurabi geschaffene erste Gesetzessammlung der Welt, der »Codex Hammurabi«, enthielt einige Paragrafen, die Bierpanscher teuer zu stehen kamen. Denn wer minderwertiges Bier verkaufte, lief Gefahr, im eigenen Fass ertränkt zu werden.
Das im Nahen Osten hochangesehene Getränk und Grundnahrungsmittel war bei den Griechen und Römern weniger beliebt: Hier galt Bier als Getränk der armen Leute und der »Barbaren«. Wer etwas auf sich hielt, trank Wein. Ganz anders sah es bei den medizinischen Anwendungen aus. Als Heilmittel schätzte Hippokrates (ca. 460 bis 377 v. Chr.) das Bier bei verschiedenen Beschwerden. Der berühmte Arzt der Antike empfahl es als ein »linderndes Mittel, gleichmäßig, ausgleichend, angenehm einzunehmen mit genügend Flüssigkeit, durststillend, die Verdauung und die Ausscheidung fördernd sowie gegen Schlaflosigkeit, zur Senkung des Fiebers und zur Entwässerung.« (Huber, Hlatky, Hlatky, 2015, S. 18). Auch Aristoteles schätzte den bitteren Trank gegen chronische Schlafstörungen.
Bierkränzchen und Hausmittel
Neueren Ausgrabungen aus dem südlichen Dänemark zufolge gelangte das Lieblingsgetränk aus dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris schon 3000 vor Christus auch nach Europa. Der Siegeszug des Bieres jedoch begann im frühen Mittelalter, als das Brauen mehr und mehr zur Sache der Klöster wurde. Bis dahin hatte nahezu jeder Haushalt sein eigenes Bier hergestellt. Dabei war das Brauen – bei den Sumerern wie im europäischen Mittelalter – immer Sache der Frauen. Ein Sudkessel gehörte traditionell zur Mitgift. Die Frauen trafen sich zu »Bierkränzchen«, um die neuesten Rezepte der Biere zu probieren, die mit Kräutern versetzt oder erwärmt, als Hausmittel und Arznei verabreicht wurden.
Die Klosterbrauereien waren es, die dem Biersud erstmals den Hopfen beimischten. Hopfen, der lange Zeit nur als Gewürz oder für Heilzwecke als Beruhigungs- oder Abführmittel bekannt war, machte das Getränk mit seinen feinen Bitterstoffen deutlich schmackhafter, haltbarer und stabilisierte den Schaum. Die Benediktinerin Hildegard von Bingen (1098 bis 1178) lobte den Hopfen, weil durch ihn das Bier nicht so schnell verdarb. Sie schätzte den Gerstensaft als Mittel zur Regeneration und Kräftigung des Körpers und empfahl, Bier auf jeden Fall dem Wasser vorzuziehen, weil Wasser keine Kraft habe. »Von Bier wurde man außerdem nicht krank. Das war über Jahrtausende hinweg ein wichtiger Aspekt«, sagt der Brauer, Biersommelier und Ethnologe Jan Czerny im Gespräch mit der PZ. Weil es oft kein sauberes Trinkwasser gegeben habe, bevorzugten die Menschen Bier, das durch Kochen und die Brauprozesse frei von Krankheitserregern war. Vielleicht auch deshalb war für den Schweizer Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) das Bier eine »wahrhaft göttliche Medizin«.
Als 1516 das Bayerische Reinheitsgebot den Hopfen als verbindliche Bierwürze festschrieb, trat seine Funktion als Heilmittel in den Hintergrund. Erst im 19. Jahrhundert wurden viele seiner bereits aus der Naturheilkunde bekannten Wirkungen wieder untersucht und wissenschaftlich untermauert.
Hopfen ist ein mildes Beruhigungsmittel und ein appetitanregendes Bittermittel. Seine bakteriostatischen und antibiotischen Eigenschaften seien lange bekannt, schreibt Professor Anton Piendl vom Institut für Brauereitechnologie der TU München in seinem Buch »Bier und Gesundheit«. Hopfen enthält Hunderte Substanzen, darunter ätherische Öle, Bitterstoffe und Polyphenole. Besonders das Polyphenol Xanthohumol und sein Potenzial bei der Krebsvorbeugung stehen im Fokus der Forschung. Wie man diesen Wirkstoff isolieren kann, um beispielsweise Arzneimittel daraus herzustellen, wird seit einigen Jahren untersucht. Aber auch im Bier seien hohe Hopfengehalte mit hohen Werten an Xanthohumol und verwandten Substanzen physiologisch grundsätzlich positiv zu bewerten, so Piendl. Bier sei ein physiologisch ausgewogenes Getränk mit einer Vielzahl nicht-alkoholischer Verbindungen wie Kohlenhydrate, Proteine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Vitamine. »Besonders gesund ist der Vitamin-B-Gehalt im Bier für Nerven und Stoffwechsel«, sagt Ellen Heidböhmer, Autorin des Buches »Gesund mit Bier« im Gespräch mit der PZ. Als Heilmittel würde sie Bier aber nicht bezeichnen und rät wegen des enthaltenen Alkohols zu maßvollem Genuss. Ein bis zwei Gläser Bier pro Tag können laut der EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) zuträglich sein für die Gesundheit. In Maßen genossen, schütze Bier vor Herzinfarkt, Schlaganfall und Demenz und beuge Osteoporose, Diabetes und Nierensteinen vor, hieße es in der Studie.
Getränk mit Zukunft
Hopfen- und polyphenolreich, hefehaltig und naturbelassen: So könnten laut Anton Piendl Biere mit Zukunft aussehen. Wenn man neueste Erkenntnisse der Physiologie nutze, ließen sich Genuss-, Gesundheits- und Umweltwert von Bieren vielleicht noch steigern. Bei der Verarbeitung der Rohstoffe sollten die Polyphenole beispielsweise weitgehend erhalten bleiben und keiner – forcierten – Filtration und Stabilisierung zum Opfer fallen, damit das Bier möglichst lange haltbar bleibt.
Die aus den USA herübergeschwappte »Craft-Bier-Bewegung« setzt auf regionale, handwerklich und natürlich gebraute Biere, die sich vom massenkonformen Geschmack der Industriebiere absetzen wollen. »Der Trend geht zum Beispiel hin zu herben, hopfenbetonten Bieren«, sagt Czerny, der lieber von traditionell und kreativ produzierten Bieren spricht als von »Craft-Bieren«. Wild vergorene belgische Sauerbiere würden wieder entdeckt, ebenso fast vergessene Bierstile wie Gose aus Ostdeutschland. Den meist kleinen Brauereien geht es dabei vor allem um eine wiederentdeckte Geschmacksvielfalt. »Ich sage nicht, dass ein nicht gefiltertes und pasteurisiertes Bier gesünder ist«, so Czerny. Aber ein »lebendiges« Bier mit zum Teil noch vitalen Hefezellen habe vielleicht doch mehr Effekte auf den Körper. /
Johannes Huber, Christine Hlatky, Michael Hlatky: Bier – Rezepte – Kultur – Gesundheit.
160 Seiten. Verlagshaus der Ärzte, Wien 2015. EUR 19,90
ISBN 978-3-99052-126-7
Anton Piendl: Bier und Gesundheit. Neuere Erkenntnisse über die Vorzüge eines maßvollen Biergenusses.
568 Seiten. Shaker-Verlag, 2008. EUR 34,80
ISBN: 978-3-8322-7235-7
Andreas Hock: Ein Bier. Ein Buch.
224 Seiten, Fischer Taschenbuch 2016. EUR 9,99
ISBN: 978-3-596-03343-0
Ellen Heidböhmer: Gesund mit Bier. Immunstärkend. Äußerliche und innerliche Anwendungen. Vitalisierend.
152 Seiten mit Abbildungen. 1. Auflage 2015, Herbig-Verlag. 152 Seiten. EUR 10.
ISBN: 978-3-7766-2773-2
Bierkultur. 41 Bücher rund um eine deutsche Spezialität.
Katalog mit Vorwort des Biersommeliers Jan Czerny. www.buchmesse.de, www.brauer-bund.de, www.hopfenmuseum.de