Studienoffensive zu oralen Antidiabetika |
15.04.2015 10:02 Uhr |
Von Maria Pues, Mannheim / Antidiabetische Therapien sollten nicht nur den Blutzucker senken, sondern möglichst auch das kardiovaskuläre Risiko. Denn was nützt der schönste HbA1c-Wert, wenn der Diabetespatient dennoch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleidet? Einige Studien ergaben nun Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Herzinsuffizienz.
Rund 150 000 Typ-2-Diabetiker sind zurzeit in Endpunktstudien eingeschlossen, in denen das kardiovaskuläre Outcome antidiabetischer Therapien untersucht wird – die Frage also, ob die Behandlung das Risiko unter anderem für nicht tödliche oder tödliche Herzinfarkte oder Schlaganfälle erhöht. Der Hintergrund: Patienten mit Typ-2- Diabetes haben im Vergleich zu Nicht-Diabetikern eine zweifach erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und eine ebenso stark erhöhte Mortalität. Eine Therapie sollte diese also möglichst senken, anstatt sie zusätzlich zu erhöhen. Dies gilt es nun zu belegen.
Zwei Studien, die sich dieser Fragestellung widmen, sind inzwischen abgeschlossen. Die Ergebnisse von weiteren sollen unter anderem in zwei Monaten auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Diabetes-Gesellschaft (ADA) vorgestellt werden.
Risiko für Herzinsuffizienz erhöht
Zahlreiche Studien laufen zurzeit mit oralen Antidiabetika. Sie gehen der Frage nach, ob die Wirkstoffe das kardiovaskuläre Risiko erhöhen.
Foto: DAK/Scholz
Einen Zwischenbericht über den derzeitigen Stand referierte Professor Dr. Uli Brödl von Boehringer Ingelheim auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim. Das Risiko steigt zum Glück nicht, es sinkt jedoch leider auch nicht – so lassen sich die Daten der beiden bereits veröffentlichten Studien knapp zusammenfassen. Sie lieferten aber noch einen weiteren, nicht erwarteten Befund: eine erhöhte Hospitalisierungsrate aufgrund von Herzinsuffizienz.
Der Hintergrund für das erhöhte Studienaufkommen liegt in einer Metaanalyse des US-amerikanischen Kardiologen Stephen Nissen zum Insulin-Sensitizer Rosiglitazon (Avandia®) begründet, die unter anderem ein um rund 40 Prozent erhöhtes Herzinfarktrisiko ermittelt hatte. Dies hatte in Europa zu einer Marktrücknahme des Arzneimittels und in den USA neben einer (inzwischen aufgehobenen) Anwendungsbeschränkung zu geänderten Anforderungen an orale Antidiabetika geführt: Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA verlangt seither nicht mehr nur den Nachweis von Wirksamkeit und allgemeiner Sicherheit, sondern in einem ersten Schritt (»premarketing«) den Beleg, dass die Behandlung nicht mit einer bis zu 80-prozentigen Erhöhung des kardiovaskulären Risikos einhergeht. In einem zweiten Schritt (»postmarketing«) muss belegt werden, dass eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos 30 Prozent nicht übersteigt.
In die Studie zum Dipeptidylpeptidase (DPP)-4-Inhibitor Saxagliptin (Onglyza®), SAVOR-TIMI 53, waren mehr als 16 000 Patienten mit einem HbA1c zwischen 6,5 und 12,0 Prozent und hohem kardiovaskulärem Risiko oder vorangegangener kardiovaskulärer Erkrankung und mehreren Risikofaktoren eingeschlossen. Primäre Endpunkte waren kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt oder nicht tödlicher Schlaganfall. Sie traten unter der Behandlung mit Saxagliptin nicht häufiger auf als unter Placebo. Allerdings wurden Patienten aus der Verumgruppe signifikant häufiger wegen einer Herzinsuffizienz stationär aufgenommen: nach rund zwei Jahren Studiendauer 3,5 Prozent in der Verumgruppe gegenüber 2,8 Prozent aus der Placebo-Gruppe (p = 0,007). (DOI: 10.1056/NEJMoa1307684 und DOI: 10.1161/CIR CULATIONAHA. 114.010389).
Ursache bislang ungeklärt
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Studie EXAMINE zu Alogliptin (in Deutschland nicht auf dem Markt). Eingeschlossen waren rund 5300 Patienten mit einem HbA1c zwischen 6,5 und 11,0 Prozent mit oraler oder Kombinationstherapie beziehungsweise zwischen 7,0 und 11,0 Prozent mit Insulin als Therapiebestandteil sowie einem akuten Koronarsyndrom 15 bis 90 Tage vor Studieneinschluss. Die primären Endpunkte entsprachen denen von SAVOR-TIMI 53. Auch Alogliptin erfüllte die Sicherheitskriterien, senkte aber ebenfalls nicht das kardiovaskuläre Risiko. Eine auch hier in der Verumgruppe beobachtete, jedoch nur leicht erhöhte Hospitalisierungsrate infolge Herzinsuffizienz unterschied sich nicht signifikant von der Vergleichsgruppe (DOI: 10.1056/NEJM oa1305889 und DOI: 10.1016/S0140-6736 (14)62225-X)
Foto: Shutterstock/Ocskay Bence
Was hinter der erhöhten Hospitalisierungsrate steckt, sei bisher nicht geklärt, berichtete Brödl. Grundsätzlich kämen verschiedene Möglichkeiten infrage. Handelt es sich um einen Zufallsbefund? Wird das Geschehen nur durch bestimmte Wirkstoffe verursacht, oder handelt es sich um einen Klasseneffekt? Oder spielen weitere Arzneistoffe eine Rolle? Eine Hypothese, nämlich dass die gemeinsame Anwendung von Alogliptin und ACE-Hemmern die Ursache darstellt, wurde bereits überprüft und ausgeschlossen. Die Untersuchung ging der Vermutung nach, dass die beiden Wirkstoffe über Neuropeptid Y und Substanz P additiv zu einer vermehrten Noradrenalin- Ausschüttung und damit einer starken Sympathikus-Aktivierung führen, die ihrerseits die Herzfrequenz und den Blutdruck erhöhen und so bei Patienten mit Herzinsuffizienz eine Hospitalisierung erforderlich machen können.
Die Ergebnisse dreier weiterer Studien werden im Laufe dieses Jahres erwartet: TECOS (Sitagliptin), ELIXA (Lixisenatid) und EMPA-REG OUTCOME Empaglifozin). Allerdings sei Sanofi-Aventis in einer Pressemitteiling mit einem Ergebnis zum Inkretin-Mimetikum Lixisenatid bereits vorgeprescht, sagte Brödl. Es reihe sich in die beiden erstgenannten Studien ein: Die Anwendung ist sicher, bietet aber ebenfalls keine Reduktion des kardiovaskulären Risikos.
Umdenken bei den Therapiezielen
Grund zur Hoffnung auf eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos gibt nicht zuletzt der SGLT2-Inhibitor Empaglifozin, der den Blutzuckerspiegel durch eine Hemmung der Glucose-Rückresorption in der Niere senkt. Auf diese Weise kann er auch Übergewicht und viszerales Fett reduzieren. Daneben beobachtet man eine Senkung des Blutdrucks, der Harnsäurewerte sowie der Albumin-Ausscheidung über die Nieren.
Trotz der zunächst ernüchternden Ergebnisse zeigte sich Brödl optimistisch. »Die Studien haben allesamt das Potenzial, bestehende Behandlungsrichtlinien zu verändern«, resümierte er. Die Diabetologie bewege sich weg von einer Fokussierung auf den HbA1c-Wert als Surrogatmarker und nehme weitere wichtige Aspekte in den Blick. /