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P-Glykoprotein

Arzneistoffpumpe nach draußen

10.04.2012  14:41 Uhr

Von Stefan Oetzel / Das P-Glykoprotein hat für den Körper eine wichtige Schutzfunktion, da es potenziell toxische Stoffe aktiv aus der Zelle transportiert. Auf diese Art kann es aber auch die wirksame Behandlung von Krankheiten verhindern, denn viele Arzneistoffe sind Liganden des P-Glykoproteins.

Das P-Glykoprotein (P-GP) ist ein Transportprotein aus der Familie der sogenannten ABC-Transporter (ATP-Binding-Cassette-Transporter). Diese Proteine sind bei einer Reihe von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Bakterien in Zellmem­branen lokalisiert und transportieren die unterschiedlichsten Substanzen gegen ein Konzentrationsgefälle aktiv durch diese hindurch. Dabei wird Energie aufgewendet, die aus der Hydrolyse von ATP gewonnen wird.

 

Entdeckt wurde das P-GP 1976 von Juliano und Ling in Colchicin-resistenten Zellen aus den Ovarien des chinesischen Hamsters. Hier wurde es für die verminderte Permeabilität der Plasmamembran gegenüber zytotoxischen Substanzen verantwortlich gemacht. Das war auch die Grundlage für den Namen: P steht für Permeabilität.

Das beim Menschen vorkommende P-Glykoprotein hat eine Masse von 170 kDa und setzt sich aus 1280 Aminosäuren zusammen. Diese sind in zwei homologen Hälften mit nahezu gleicher Länge organisiert und in der Mitte durch eine sogenannte Linker-Region miteinander verknüpft. Das Transportprotein ist mit zwei hydrophoben Molekülanteilen in der Zellmembran verankert. Gleichzeitig sind eine Substratbindungsstelle innerhalb der Plasmamembran sowie zwei ATP-bindende hydrophile Bereiche im Zytoplasma lokalisiert.

 

Genauer Mechanismus ungeklärt

 

Wie der Stofftransport genau funktioniert, ist bis heute nicht geklärt. Einem Modell zufolge wird in dem Augenblick, in dem ein Substrat an die Substratbindungsstelle koppelt, die Hydrolyse von ATP ausgelöst und mittels der dabei freigesetzten Energie die Konforma­tion des P-GP so verändert, dass sich die Substratbindungsstelle zum Extrazellulärraum hin öffnet und das Subs­trat ausgeschleust werden kann. Es handelt sich also um einen primär aktiven Effluxtransporter.

 

Das P-Glykoprotein kommt vor allem in Epithelgeweben vor, die eine Ausscheidungsfunktion besitzen, zum Beispiel in Leber, Nieren, Dünn- und Dickdarm, Bauspeicheldrüse, aber auch in der Plazenta sowie in den Blut-Hirn- und Blut-Testis-Schranken. Es ist dort an der apikalen, also der nach außen gerichteten beziehungsweise dem Lumen zugewandten Membran lokalisiert.

 

Die Substrate von P-GP sind meist lipophile oder amphiphile Verbindungen mit einer Masse von 400 bis etwa 2000 Da, zum Beispiel Nahrungsbestandteile, Umweltgifte, Hormone, Aminosäuren, Zucker, Peptide und viele Arzneistoffe. Die physiologische Funktion des P-GP besteht darin, den Organismus vor potenziell schädlichen Fremdstoffen (Xenobiotika) zu schützen, indem es diese Substrate aus dem Zellinnern nach außen transportiert und deren Anreicherung verhindert.

 

So werden über die Blut-Hirn-Schranke neurotoxische Stoffe, zum Beispiel bestimmte Medikamente, aus den Gehirnzellen in den Blutkreislauf zur metabolischen Entsorgung ausgeschleust. Im Magen-Darm-Trakt begrenzt das P-Glykoprotein die Aufnahme von Arzneistoffen durch deren Efflux aus den Enterozyten in das Darmlumen. In der Leber und den Nieren fördert das P-GP die Ausscheidung aus den Hepatozyten in die Galle beziehungsweise aus den proximalen Tubuluszellen der Niere in den Urin.

 

Das P-Glykoprotein ist auch in zahlreichen Tumorzellen nachweisbar. Hier sorgt es – neben anderen Transporterproteinen wie MRP1 und BCRP – dafür, dass chemotherapeutisch wirksame Arzneistoffe aus dem Tumor­gewebe ausgeschleust werden. Diese Tumoren können dann eine sogenannte Multidrug Resistance (MDR) gegen strukturell unterschiedliche Zytosta­tika entwickeln.

 

Seit Jahren werden unterschiedliche Ansätze verfolgt, um einer solchen MDR entgegenzuwirken. So wurde eine Reihe von Substanzen identifiziert, die in der Lage sind, die Transportfunktion des P-GP in der Zellmembran direkt zu blockieren. Die ersten beiden Genera­tionen dieser sogenannten P-GP-Modulatoren wiesen jedoch eine zu geringe Affinität gegenüber P-GP auf. Sie mussten daher in hoher Dosis und dadurch mit entsprechenden Nebenwirkungen eingesetzt werden oder zeigten nur eine ungenügende Wirksamkeit. Derzeit werden P-GP-Modulatoren der dritten Generation in Studien untersucht, die gezielt mit dem Transportprotein interagieren und eine sehr hohe Affinität zu diesem aufweisen.

Über P-Glykoprotein kann ein breites Spektrum an Medikamenten aus der Zelle heraustransportiert werden. Dazu gehören neben bestimmten Zytostatika unter anderem Immunsuppressiva, HIV-Therapeutika sowie Herz-Kreislauf-Mittel, zum Beispiel Betablocker und Calciumantagonisten. Auffällig ist, dass viele dieser Substanzen gleichzeitig auch Substrate des Cytochroms CYP3A4 sind. Vermutlich werden Expression und Aktivität beider Proteine zum Teil über die gleichen Mechanismen reguliert.

 

Die Transportfunktion des P-GP kann durch eine Reihe von Stoffen gehemmt oder verstärkt werden, was wiederum die Bioverfügbarkeit von Arzneistoffen erhöhen kann. Induktoren können hingegen die Ausscheidung von Arzneimitteln beschleunigen und deren Bioverfügbarkeit reduzieren. Beispiele für Inhibitoren sind bestimmte Antiarrhythmika, HIV-Medikamente, Calciumantagonisten, Immunsuppressiva, Steroide oder bestimmte Antibiotika. Als Induktoren wirken zum Beispiel Johanniskraut oder das Antiinfektivum Rifampicin.

 

Zwischen Arzneistoffen, die Subs­trate beziehungsweise Induktoren oder Inhibitoren des P-Glykoproteins sind, kann es zu Interaktionen kommen. Eine seit Langem bekannte und wichtige Wechselwirkung besteht zwischen dem Antiarrhythmikum Chinidin und dem Herzglykosid Digoxin. Dabei hemmt Chinidin die Transportfunktion des P-Glykoproteins im Darm und in den Nieren. Bei einer Comedikation mit Digoxin wird dieses verlangsamt ausgeschieden. Dadurch steigt die Konzentration des Herzglykosids und es kann zu kardialen oder neurotoxischen Nebenwirkungen kommen.

 

Auch bei gleichzeitiger Gabe von Loperamid und einem P-GP-Inhibitor wie Chinidin oder Ritonavir sind Interaktionen nicht auszuschließen: Das vorher kaum ZNS-gängige Opiod Loperamid kann dann die Blut-Hirn-Schranke verstärkt passieren und zen­trale Nebenwirkungen auslösen. Eine weitere wichtige Wechselwirkung kann in Zusammenhang mit Johanniskraut auftreten, das als potenter Induktor von P-GP gilt. Ein P-GP-Substrat kann bei Komedikation mit dem Phytotherapeutikum an Bioverfügbarkeit und damit an Wirksamkeit einbüßen. So wurde bei gleichzeitiger Einnahme von Johanniskraut und oralen Kontrazeptiva eine verminderte empfängnisverhütende Wirkung beobachtet.

 

Pumpen-Polymorphismen

 

Das beim Menschen vorkommende P-Glykoprotein ist das Produkt des sogenannten MDR-1-Gens (ABCB1-Gen), das auf Chromosom 7 lokalisiert ist. Dieses Gen liegt infolge verschiedener Muta­tionen in der Bevölkerung in mehreren genetischen Varianten vor. Dieser sogenannte Polymorphismus kann dazu führen, dass die codierten Transportproteine unterschiedliche Aktivität und damit auch ein unterschiedliches Potenzial zur Aufnahme oder Abgabe von Fremdstoffen aufweisen.

 

Dass dies auch Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneistoffen beeinflussen kann, belegen Untersuchungsergebnisse. So führt der sogenannte C3435T-Polymorphismus zu einer verringerten Expression des P-Glykoproteins im Darm. Bei Patienten, die das mutierte Allel homozygot besitzen, werden daher P-GP-Substrate wie Digoxin, Phenytoin und Tacrolimus langsamer ausgeschieden. Interessant ist, dass der homozygot mutierte Genotyp 3435TT bei etwa 29 Prozent der europäischen Bevölkerung vorkommt, während bei afrikanischen Populationen die Rate mit 1 bis 6 Prozent erheblich niedriger liegt.

 

Der Polymorphismus des MDR-1-Gens ist nicht nur beim Menschen bekannt. Auch bestimmte Hunderassen, zum Beispiel Collies, Schäferhunde und Windhunde, können davon betroffen sein. Bei diesen Tieren ist die Funktion der Blut-Hirn-Schranke gestört. Sie zeigen daher eine Überempfindlichkeit gegenüber Arzneimitteln wie Antiparasitika, Zytostatika, Durchfallmittel oder Opioide, die zu starken neurotoxischen Nebenwirkungen führen können. / 

 

Literatur beim Verfasser

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