Corticoid zur Nachtschicht verdonnert |
07.04.2009 11:31 Uhr |
Wissenschaftler konnten belegen, dass bei gesunden Menschen der Cortisolspiegel nach Injektion von Interleukin-6 (IL-6) als Reaktion auf den Zytokinstimulus auf das Zwei- bis Dreifache ansteigt. Obwohl bei Patienten mit rheumatoider Arthritis im Vergleich zu Gesunden die IL-6-Serumspiegel circa zehnmal höher sind, kommt es bei ihnen nicht zu einem entsprechenden Anstieg des Cortisolspiegels. Das liegt daran, dass in der chronischen Phase der Entzündung in der Nebenniere bestimmte Syntheseschritte des Cortisols durch hohe Zytokinspiegel gehemmt werden und die Cortisolproduktion dadurch eingeschränkt wird. RA-Patienten sind somit aufgrund der unzureichenden endogenen Cortisolproduktion einem permanenten Einfluss von Entzündungsstoffen ausgesetzt. Die Applikation eines Glucocorticoids, etwa Prednison, kann daher als eine Art Substitutionstherapie für die funktionell gestörte Nebennierenfunktion betrachtet werden.
»Wird durch die Gabe eines Corticoids der Anstieg von IL-6 im Serum aufgehalten, wirkt sich dies auf die morgendliche Symptomatik günstig aus«, so Buttgereit. Bislang sei es aber noch nicht gelungen, dieses Wissen zufriedenstellend in die Praxis umzusetzen. Dazu hätten sich die Patienten bisher einen Wecker stellen müssen, um mitten in der Nacht ein Corticoid einzunehmen. Die Gabe vor dem Schlafengehen führte bislang dazu, dass das Corticoid zu früh wirkt, die Einnahme morgens kommt zu spät. Die neu entwickelte Prednison-Tablette Lodotra setze den Wirkstoff genau zum richtigen Zeitpunkt frei. Mit ihr sei es gelungen, Erkenntnisse der Chronobiologie in die therapeutische Realität umzusetzen.
Aktiv nach vier Stunden Wartezeit
Nach der Einnahme der Mantel-Kern-Tablette gegen 22 Uhr bleibt der Tablettenmantel aus pharmakologisch inaktiven Hilfsstoffen unversehrt bis der Schwellungsdruck durch angesaugte Flüssigkeit gegen 2 Uhr nachts so hoch ist, dass sich die Tablette öffnet und die gesamte Wirkstoffmenge freisetzt. Buttgereit erklärte, dass dieser Mechanismus keinesfalls mit einer Retardformulierung, bei welcher der Wirkstoff kontinuierlich und allmählich abgegeben wird, verwechselt werden darf. Es handelt sich um eine Tablette mit modifizierter Wirkstofffreisetzung (Modified release, MR), bei der die gesamte Dosis zu einem definierten Zeitpunkt freigesetzt wird.
In der sogenannten CAPRA (Circadian Administration of Prednisone in RA)-1-Studie, einer randomisierten Doppelblindstudie mit fast 300 RA-Patienten, wurde die Wirksamkeit dieser Formulierung untersucht. Zwölf Wochen lang erhielt die eine Hälfte von ihnen abends die neue MR-Tablette und morgens Placebo, die andere Hälfte wurde abends mit einem Scheinmedikament und morgens mit Standard-Prednison behandelt. Nach Abschluss dieser doppelblinden Phase war die Dauer der Morgensteifigkeit in der Gruppe, die die MR-Tablette erhalten hatte, um durchschnittlich etwa 44 Minuten im Vergleich zu den Ausgangswerten zurückgegangen. Der absolute Unterschied zwischen den beiden Gruppen betrug knapp 30 Minuten zugunsten der MR-Formulierung (»Lancet«, 2008, Band 371, Seiten 205 bis 214). In der anschließenden offenen Phase erhielten auch die Probanden, die zuvor Standard-Prednison eingenommen hatten, neun Monate lang die Tablette mit der verzögerten Wirkstofffreisetzung. Am Ende der insgesamt zwölfmonatigen Behandlung war die Dauer der Morgensteifigkeit in beiden Gruppen (drei Monate Standard-Prednison plus neun Monate Prednison MR und zwölf Monate Prednison MR) gegenüber dem Ausgangswert um knapp die Hälfte, entsprechend 84 Minuten, reduziert. Die Dauer der Morgensteifigkeit hatte sich bis zum Ende des sechsten Monats in beiden Gruppen angeglichen.
Nicht auf nüchternen Magen
Zugelassen ist das neue Arzneimittel zur Behandlung der mäßigen bis schweren, aktiven RA bei Erwachsenen, insbesondere wenn diese von morgendlicher Gelenksteifigkeit begleitet ist. Apotheker sollten darüber informieren, dass die Tabletten im Ganzen und unzerkaut mit ausreichend Flüssigkeit einzunehmen sind. Liegt das Abendessen mehr als zwei bis drei Stunden zurück, sollten Patienten die Tabletten zusammen mit einem kleinen Imbiss einnehmen. »Wird die Pille nüchtern eingenommen, dann passiert sie den Gastrointestinaltrakt zu schnell«, machte Buttgereit auf mögliche Bioverfügbarkeitsprobleme aufmerksam.
Zur Einleitung der Therapie werden initial 10 mg Prednison pro Tag, in Ausnahmefällen auch 15 bis 20 mg, empfohlen. In der Langzeittherapie sollten Patienten nicht mehr als 10 mg pro Tag erhalten. Die Umstellung vom Standard-Behandlungsschema (Glucocorticoid am Morgen) auf die abendliche Einnahme erfolgt eins zu eins, das heißt die Dosis sollte dem mg-Prednison-Äquivalent entsprechend zunächst beibehalten werden.
Auch für andere Indikationsgebiete könnte die MR-Tablette eine Therapieoption darstellen. »Immer dann, wenn entzündliche Prozesse nachts Probleme bereiten, etwa bei schweren Asthmaanfällen in der Nacht, ist diese galenische Formulierung interessant«, nannte Buttgereit ein Beispiel. Phase-II-Studien für diese Indikation seien schon gestartet.