Abnehmen per Spritze |
05.04.2016 16:18 Uhr |
Von Sven Siebenand, Frankfurt am Main / Jeder vierte Deutsche ist adipös. Die Tendenz dafür ist steigend, die Lebenserwartung der Betroffenen dagegen abnehmend. Anfang April kam eine neue medikamentöse Therapieoption in den Handel. In dem Präparat Saxenda® ist der subkutan zu injizierende, aus der Diabetestherapie bekannte GLP-1-Agonist Liraglutid enthalten.
»Adipositas ist mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko verbunden«, sagte Professor Dr. Andreas Pfeiffer auf einer Presseveranstaltung des Herstellers Novo Nordisk in Frankfurt am Main. Der Leiter der Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam informierte, dass das erhöhte Risiko vom Taillenumfang abhängig ist. Bauchfett sei sehr viel ungünstiger als subkutanes Fett. Pfeiffer: »Bereits eine moderate Gewichtsreduktion senkt das kardiovaskuläre Risiko erheblich.«
Gefürchteter Jo-Jo-Effekt
Auf Medikamente allein darf man bei der Behandlung der Adipositas nicht setzen: Mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung gehören immer mit dazu.
Foto: Imago/Joker
Einige Kilos abzuspecken, ist oft nicht das dickste Problem. Schwieriger ist es offenbar, das Gewicht danach zu halten. Viele kehren irgendwann wieder zum Ausgangsgewicht zurück oder bringen schlussendlich gar mehr auf die Waage. Der Grund dafür ist, dass der Körper bei Gewichtsreduktion viele Mechanismen in Gang setzt, um zum ursprünglichen Gewicht zurückzukehren. So werden appetitanregende Hormone wie Ghrelin verstärkt ausgeschüttet und die Produktion von Hormonen, die ein Sättigungsgefühl hervorrufen, gedrosselt. Das Gemeine daran ist, dass diese hormonellen Veränderungen noch mindestens ein Jahr nach der Gewichtsabnahme bestehen bleiben können und so den bekannten Jo-Jo-Effekt auslösen.
Dieses Phänomen kennt Professor Dr. Matthias Blüher vom Universitätsklinikum Leipzig nur allzu gut aus der täglichen Praxis. »Einer von 500 adipösen Patienten nimmt erfolgreich ab und bleibt bei diesem Gewicht«, so der Diabetologe. Was passiert mit den restlichen 499 Patienten? Operative Verfahren eignen sich Blüher zufolge bei Weitem nicht für jeden. »Wichtig ist, dass alle Patienten wissen, dass mit Ernährung, Bewegung und Lebensstil etwas zu erreichen ist.« Natürlich komme über kurz oder lang auch die Frage nach medikamentösen Therapieoptionen. Diese sind laut Blüher bisher extrem schlecht. »Saxenda füllt ein großes Loch«, ging der Mediziner auf die Patientenwünsche und -bedürfnisse ein.
Der in dem neuen Präparat enthaltene GLP-1-Agonist Liraglutid wirkt an Rezeptoren im Gehirn, der Bauchspeicheldrüse und des Magen-Darm-Trakts. Zum einen reduziert der Wirkstoff das Hungergefühl im Gehirn, zum anderen verzögert er die Magenentleerung, wodurch das Sättigungsgefühl länger bestehen bleibt. Da der Wirkstoff auch die Insulinproduktion steigert und jene von Glucagon reduziert, trägt er ferner zur Glucoseregulation im Körper bei. Der Unterschied zwischen dem Liraglutid-haltigen Diabetesmedikament Victoza® und dem neuen Abnehmmittel liegt in der Dosierung. Während die empfohlene tägliche Dosierung des Antidiabetikums zwischen 1,2 und 1,8 mg liegt, beträgt sie im Fall von Saxenda 3 mg.
Positive Studienergebnisse
Blüher präsentierte die Ergebnisse einer wichtigen zulassungsrelevanten Studie. An dieser hatten mehr als 3300 Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 oder einem BMI ≥ 27 kg/m2 und Komorbiditäten teilgenommen. Sie erhielten entweder täglich 3 mg Liraglutid oder Placebo in Verbindung mit einer hypokalorischen Diät und mehr Bewegung. Während unter Liraglutid fast zwei Drittel der Patienten nach 56 Wochen einen klinisch bedeutsamen Gewichtsverlust von mindestens 5 Prozent erreicht hatten, war es unter Placebo nur ein gutes Viertel der Patienten. Der durchschnittliche Gewichtsverlust lag unter 3 mg Liraglutid pro Tag bei 8 Prozent und in der Placebo-Gruppe bei 2,6 Prozent.
Zugelassen ist Saxenda als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität zur Gewichtsregulierung bei Erwachsenen mit einem Ausgangs-BMI ≥ 30 kg/m2. Auch Patienten mit einem BMI zwischen 27 und 30 kg/m2 dürfen damit behandelt werden, wenn mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung, etwa Typ-2-Diabetes, Hypertonie oder Dyslipidämie, vorliegt. Nicht alle Patienten sprechen auf die Behandlung mit Liraglutid an. Blüher informierte, dass das Präparat nach zwölfwöchiger Behandlung mit einer Dosis von 3 mg pro Tag abzusetzen ist, wenn der Patient nicht mindestens 5 Prozent seines ursprünglichen Gewichts verloren hat. Dem Endokrinologen zufolge war das in der Studie bei rund einem Drittel der Patienten der Fall. Darüber hinaus empfahl er, jährlich zu prüfen, ob das Fortsetzen der Behandlung mit dem GLP-1-Agonisten weiterhin notwendig ist.
Die aus der Diabetestherapie bekannten Nebenwirkungen von GLP-1- Agonisten im Magen-Darm-Trakt wurden auch unter Saxenda beobachtet. Sehr häufig kam es zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Obstipation. Blüher betonte, dass man diese Nebenwirkungen nicht komplett verhindern, sie aber durch Auftitrieren von Liraglutid mindern kann. Die Anfangsdosis sollte 0,6 mg pro Tag betragen. Danach sollte die Dosis wöchentlich um 0,6 mg erhöht werden, bis die empfohlene Dosis von 3 mg pro Tag erreicht ist.
Patienten können sich Saxenda selbst in Bauch, Oberschenkel und Oberarm spritzen, am besten immer zum gleichen Zeitpunkt am Tag. Da Adipositas von Krankenkassen nicht als Krankheit anerkannt wird, ist Saxenda auch nicht zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Das heißt, die Patienten müssen die Kosten selbst tragen. Die Packung mit fünf 3-ml-Fertigpens reicht bei einer täglichen 3-mg-Dosis für 30 Tage und kostet rund 290 Euro. /
Das Darmhormon Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) hat viele positive Effekte auf metabolische Vorgänge im Körper. Natürliches GLP-1 hat nach intravenöser Gabe eine sehr kurze Halbwertszeit Aus diesem Grund ist es schwierig, das Protein therapeutisch zu nutzen. In den vergangenen Jahren ist es Forschern gelungen, Wirkstoffe zu entwickeln, die auf unterschiedliche Weise GLP-1- Wirkungen erzielen und sich daher zum Einsatz bei Typ-2-Diabetes anbieten. Die DPP-4-Hemmer wie Sitagliptin, Saxagliptin, Vildagliptin und Linagliptin hemmen den Abbau von natürlichem GLP-1. GLP-1-Analoga wie Liraglutid, Exenatid, Dulaglutid und Lixisenatid wirken wie GLP-1, nur länger. Liraglutid ist der bisher einzige GLP-1-Agonist, der zur Behandlung der Adipositas zugelassen ist. Novo Nordisk informierte auf der Presseveranstaltung, dass weitere potenzielle Wirkstoffkandidaten zur Behandlung der Adipositas in der Pipeline sind, zum Beispiel Semaglutid, ein weiteres GLP-1-Analogon.