Zwang bringt nichts |
28.03.2017 16:06 Uhr |
Von Anna Pannen / Impfungen sind unverzichtbar und schützen vor gefährlichen Krankheiten: Das würden die meisten Apotheker sofort unterschreiben. Ihre Kunden allerdings sehen das mitunter ganz anders. Wieso Menschen zu Impfgegnern werden und was man ihnen entgegnen kann, erklärt die Psychologin Dr. Cornelia Betsch im Gespräch mit der PZ. Sie hat zum Thema Impfskepsis habilitiert und ist Privatdozentin an der Universität Erfurt.
PZ: Sie forschen seit Jahren zur Frage, was Menschen dazu bringt, sich für oder gegen Impfungen zu entscheiden. Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
Betsch: Ausgangspunkt war eine Ausschreibung für ein Forschungsprojekt zu widersprüchlicher Evidenz, also der Frage, wie wir mit Informationen umgehen, die Gegenteiliges behaupten. Zur selben Zeit stand die Frage an, gegen welche Krankheiten ich selbst meine Kinder impfen lasse. Dabei bin ich auf viele widersprüchliche Informationen gestoßen. So wurde das Impfthema mein Beitrag zum Projekt und anschließend hat es mich immer weiter beschäftigt.
PZ: Haben Ihre Kinder denn alle von der STIKO empfohlenen Impfungen bekommen?
Betsch: Ja, bis auf eine Ausnahme. Dass damals inzwischen auch die Windpocken-Impfung empfohlen wurde, hatte ich leider übersehen. Eine meiner Töchter hat die Krankheit bekommen und sehr gelitten. Ich habe mich schrecklich geschämt, dass ich die Impfung verpasst hatte. Meine andere Tochter habe ich dann noch in der Inkubationszeit impfen lassen, sodass sie nur leicht erkrankte.
PZ: Es gibt Eltern, die Impfungen skeptisch gegenüber stehen oder sie ganz verweigern. Viele von ihnen sind Akademiker, müssten also eigentlich wissen, wie man an sachliche Informationen gelangt. Wieso ist gerade in dieser Schicht Impfskepsis so verbreitet?
Betsch: Eine hohe Bildung geht oft mit einer stärkeren Bereitschaft einher, Kritik zu üben. Dahinter steckt vermutlich das Bedürfnis, selbst zu entscheiden. Denn das Befolgen einer Empfehlung – zum Beispiel der STIKO – stellt ja keine eigene Abwägung dar. Diese Eltern konsultieren viele Quellen, bevor sie sich entscheiden. Leider stoßen sie dabei fast zwangsläufig auch auf Informationen, die wissenschaftlich falsch sind. Nun sind Akademiker ja nicht notwendig Naturwissenschaftler, die wissen, was eine seriöse Untersuchung ausmacht. Sie lesen »Studie X hat das und das ergeben.« Dass diese Studie ohne Kontrollgruppe durchgeführt wurde, fällt ihnen nicht auf. Oder ihr Heilpraktiker sagt ihnen: »Alle Kinder mit Allergien, die ich behandle, wurden geimpft.« Diese Aussage lässt keinen Kausalschluss zu, denn wir wissen nicht, wie viele nicht geimpfte Kinder der Heilpraktiker überhaupt gesehen hat und wie viele Allergien es dort gab. Um das zu durchschauen, braucht man aber ein naturwissenschaftliches Methodenverständnis.
PZ: Wieso haben gerade Impfungen so einen schlechten Ruf?
Betsch: So schlecht ist ihr Ruf gar nicht, wir haben in Deutschland mit mehr als 90 Prozent für viele Impfungen eigentlich eine gute Impfquote. Es gibt nicht viele Impfgegner: etwa 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung.
PZ: Anders gefragt: Warum fürchten manche Menschen mögliche Nebenwirkungen einer Impfung mehr als die Krankheit, die sie verhindern soll?
Betsch: Das liegt daran, dass wir den Schutz, den uns eine Impfung gibt, nicht sehen. Wir hören aber viele persönliche Erzählungen über Nebenwirkungen – das Nachbarskind hat hohes Fieber gehabt. Erzählungen über die Leiden der impfpräventablen Krankheiten hören wir dagegen kaum, weil sie zum Glück so selten geworden sind. Noch im letzten Jahrhundert war das anders. Diphtherie nannte man den »Würgeengel der Kinder«, weil der Hals so stark anschwellen konnte, dass das Kind erstickte. Erfahrungsberichte haben eine unglaubliche Macht. Bei Behördenformulierungen wie »Die Nebenwirkung tritt selten auf« dagegen fühlen wir nichts. Hinzu kommt, dass Menschen Handlungen immer als riskanter wahrnehmen als Unterlassungen, im Zweifel also lieber nichts tun. Dieser Effekt wird als Omission Bias bezeichnet. Krankheiten werden als Schicksalsschlag angesehen, an dem niemand Schuld hat. Hat das Kind aber Fieber nach einer Impfung, fühlen sich die Eltern schuldig, denn sie haben es ja mit verursacht und in einen zuvor gesunden Organismus eingegriffen.
PZ: Wie geht man mit Menschen um, die behaupten, Impfungen lösten Autismus aus und Krankheiten seien wertvoll für die kindliche Psyche?
Betsch: Wir sprechen hier über die Korrektur von Falschinformationen – die ist leider sehr schwer. Es kann helfen, nicht nur den Inhalt zu kritisieren, sondern auch die Technik, also zum Beispiel aufzuzeigen, dass dieselben Argumentationsmuster häufig von Verschwörungstheoretikern verwendet werden und wie hier wissenschaftliche Evidenz verdreht wird. Sachargumente gegen gängige Mythen gibt es auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts, einen Leitfaden zur Kommunikation mit Impfgegnern auf der Homepage der Weltgesundheitsorganisation.
PZ: Welche Argumente führen Ihrer Erfahrung nach zu einem Umdenken?
Betsch: In unserer neuesten Studie (lesen Sie dazu auch Herdenimmunität: Impfen für die Gemeinschaft) konnten wir zeigen, dass sich die Impfbereitschaft erhöht, wenn Menschen über den Effekt der Herdenimmunität aufgeklärt werden, also die Tatsache, dass es die Schwächsten einer Gesellschaft schützt, wenn sich viele Menschen impfen lassen. Diese Aufklärung führte dazu, dass die Testpersonen auch an andere dachten, wenn sie entscheiden sollten, ob sie eine bestimmte Impfung durchführen lassen. Auch helfen persönliche Erfahrungsberichte mehr als bloße Zahlen, wie wir in anderen Untersuchungen herausgefunden haben. Apotheker können hier wichtige Gesprächspartner sein, da Patienten ihnen als medizinischen Experten vertrauen.
PZ: Wie sähe eine optimale Aufklärungskampagne zum Thema Impfen aus? Soll sie mögliche Nebenwirkungen erwähnen?
Betsch: Ja, denn es ist ja legitim, dass die Menschen darüber Bescheid wissen wollen. Eine Impfung ohne Risiko gibt es nicht, das wird in der Regel auch kommuniziert. Aber wir sollten eben anhand von Zahlen aufzeigen, wie unwahrscheinlich Impfschäden sind und diesem Risiko die Gefahr der Krankheit gegenüberstellen. Leider ist auf den Internetseiten seriöser Institutionen oft gar nicht von Risiken die Rede. Das heißt, wenn Eltern »Impfung« und »Risiko« googeln, landen sie fast zwangsläufig auf unseriösen Seiten. Leider, denn auch das konnten wir in einer Studie belegen: Schon fünf bis zehn Minuten Surfen auf einer solchen Website genügen, um die Impfbereitschaft zu reduzieren.
PZ: Was würden Sie sich wünschen?
Betsch: Dass unabhängige Institutionen – etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Robert Koch-Institut – helfen, Falschinformationen zu widerlegen. Ärzte und Apotheker sollten dabei unterstützt werden, die Fachfragen von Eltern mit hohem Informationsbedarf gut und verständlich zu beantworten. Es würde auch helfen, wenn die Medien sorgsamer über das Thema berichten. Eine Überschrift wie »Masernimpfung führt nicht zu Autismus« ist kontraproduktiv. Nach drei Tagen kann sich der Leser nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern und weiß nur noch »Da war doch was mit Impfungen und Autismus«.
PZ: Sind sie für eine Impfpflicht?
Betsch: Nein, die Menschen sollten sich umfassend aus seriösen Quellen informieren und dann frei entscheiden. Eine unserer Untersuchungen hat gezeigt, dass Personen, die zur einer Impfung verpflichtet wurden, eine zweite, freiwillige Impfung häufiger ablehnten, als wenn beide Impfungen freiwillig waren. Zwang bringt also nichts. Impfen ist stets eine Abwägung von Risiko und Nutzen und wir müssen es aushalten, dass sich Menschen nach dieser Abwägung dagegen entscheiden – weil sie die Risiken anders bewerten oder weil ihnen der Schutz der Gemeinschaft nicht wichtig genug ist. /
Argumentationshilfen für das Gespräch mit Impfgegnern finden Interessierte unter dem Stichwort »20 häufigste Einwände gegen das Impfen« auf der Homepage des Robert-Koch-Instituts. Auch auf der Website der Weltgesundheitsorganisation findet sich unter dem Begriff »respond vocal vaccine deniers« eine Auflistung von Hinweisen für die Gesprächsführung mit diesem Klientel. Unter der Überschrift »Musketierprinzip« hat die HU Berlin eine interaktive Simulation online gestellt, die Laien das Prinzip der Herdenimmunität veranschaulicht.