Pharmazeutische Zeitung online
Impfen

Reisen und andere Indikationen

29.03.2017  09:37 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Reisende soll man nicht aufhalten, sagt ein Sprichwort – aber impfen. Wogegen, erläuterte Professor Dr. Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Reisemedizin (CRM), bei einem Fachsymposium am Rande der internationalen Tourismusbörse in Berlin.

Bei der Impfberatung vor geplanten Reisen stehen exotische Krankheiten nicht an erster Stelle. Denn bevor man immunologisch in die Ferne schweift, gilt es zunächst zu überprüfen, ob der Betreffende alle hierzulande empfohlenen Impfungen erhalten hat. 

»Mit den Grundimmunisierungen etwa gegen Keuchhusten, Masern und Mumps haben wir bereits genug zu tun, da sind die Impfraten unbefriedigend«, sagte Jelinek. Diese seien mitnichten Kinderkrankheiten, beim Masern-Ausbruch 2015 in Berlin sei der älteste Patient 69 Jahre alt gewesen. Auch Mumps habe sich zu einer Krankheit von Erwachsenen entwickelt, mittlerweile liege der Häufigkeitsgipfel in der Altersgruppe 15 bis 24 Jahre.

 

Jede Reise sollte daher zum Anlass genommen werden, zunächst den allgemeinen Impfstatus zu checken. Erst dann geht es um mögliche Reiseimpfungen. Zum Beispiel Gelbfieber: Die Impfung ist dringend angeraten, wenn eine Reise in ein Risikogebiet, etwa im tropischen Afrika oder im nördlichen Südamerika, ansteht. Gerade erst wurde die Empfehlung bei Reisen nach Brasilien aufgrund des dortigen Ausbruchs der Erkrankung auf das gesamte Land ausgeweitet (lesen Sie dazu auch PZ 11/2017, Seite 38). In einigen Ländern ist der Nachweis der Gelbfieberimpfung eine Bedingung für die Einreise.

 

Lebenslanger Schutz

Die einmalige Impfung mit dem Lebend­impfstoff Stamaril® führt zu einem lang anhaltenden Schutz. Da es nur sehr wenige dokumentierte Fälle von Impfversagen gab, entschied die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juli 2016, dass nach einmaliger Impfung von einem lebenslangen Schutz auszugehen ist. »Diese Information ist aber noch nicht überall angekommen«, sagte Jelinek. So forderten manche Länder nach wie vor den Nachweis einer Auffrischung nach zehn Jahren.

 

Für weitere Verunsicherung sorgt laut Jelinek nun eine Empfehlung der US-amerikanischen Seuchenschutz­behörde CDC, die bei Reisen nach Brasilien aufgrund des besonderen Risikos eine zweite Impfung vorsieht. In Europa habe bislang einzig Irland diese Empfehlung übernommen. »Ich verstehe die Logik dahinter nicht. Entweder gehe ich davon aus, dass der Schutz lebenslang hält, dann tut er das auch in Ausbruchsgebieten. Oder ich glaube das nicht, dann muss ich sie grundsätzlich ein zweites Mal geben«, sagte Jelinek. Er hoffe, dass die WHO bei ihrer Empfehlung einer einmaligen Impfung bleibe.

 

Bei der Impfung gegen Hepatitis A und/oder B kann die Indikation sowohl eine Reise als auch ein aus anderen Gründen erhöhtes Infektionsrisiko sein. »Nach erfolgter Grundimmunisierung besteht der Impfschutz sehr lange, bei Hepatitis A 40 Jahre und bei Hepatitis B lebenslang«, informierte Jelinek. Eine weitere Impfung sei daher nur im Ausnahmefall notwendig. Doch auch hier gebe es viel Unsicherheit, nicht zuletzt aufgrund der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und vieler arbeitsmedizinischer Vorschriften, die eine Titerkontrolle und nötigenfalls eine Nachimpfung vorsehen. Aus Jelineks Sicht ist das jedoch laut Studien­lage nicht notwendig.

 

Gegen Typhus gibt es drei Impfstoffe: die intramuskulär zu verabreichenden Typhim Vi® und Typherix®, die nach einmaliger Immunisierung einen dreijährigen Schutz bieten, und – wieder verfügbar – Typhoral®, das als Kapsel geschluckt wird. Die Zulassung ist mittlerweile auf Erwachsene und Kinder ab dem vollendeten fünften Lebens­jahr beschränkt. Das in Europa zugelassene Impfschema ist je eine Kapsel an den Tagen 1, 3 und 5. »Ein Tipp ist, die Einnahme einer weiteren Kapsel an Tag 7 zu empfehlen«, sagte Jelinek. Das entspreche dem amerikanischen Impfschema und verlängere den Impfschutz von drei auf fünf Jahre. In Deutschland sei das zwar ein Off- Label-Einsatz, der aber mit der amerikanischen Zulassung zu rechtfertigen sei.

 

Cholera und Reisedurchfall

Auch Dukoral®, der Impfstoff gegen Cholera, ist eine Schluckimpfung. Sie erfolgt in zwei Dosen im Abstand von mindestens einer Woche, wobei die zweite Dosis spätestens 14 Tage vor Abreise eingenommen werden muss. Die Schutzwirkung gegen Cholera beträgt 80 Prozent, allerdings ist eine Cholera-Infektion auf Reisen so unwahrscheinlich, dass man sehr viele Reisende impfen muss, um einen Fall zu verhindern. Die number needed to vaccinate (NNV) beträgt laut Jelinek 500 000. Dukoral schützt auch vor Infektionen mit enterotoxischen Escherichia-coli-Stämmen (ETEC), häufigen Erregern von Reisedurchfall, jedoch wurde in dieser Indikation die Protektionsrate bislang nicht in Studien untersucht. Jelinek nannte eine NNV von 4 bis 20, was eine sehr hohe Effektivität bedeuten würde.

 

»Meningokokken sind in den vergangenen Jahren ein relativ komplexes Thema geworden«, sagte Jelinek. Das gramnegative Bakterium Neisseria meningitidis existiert in fünf relevanten Serotypen, A, B, C, W135 und Y, von denen in verschiedenen Weltregionen unterschiedliche vorherrschen. Durch die stark gewachsene Reisetätigkeit wird diese Trennung jedoch mehr und mehr aufgehoben. »Die klare Aufteilung, nach der wir in Europa überwiegend Serotyp B und ein bisschen C haben und der Rest der Welt andere Serotypen, gilt nicht mehr«, so Jelinek.

 

Vor allem vor Reisen in den Menin­gitis-Gürtel im subsaharischen Afrika sei es deshalb sinnvoll, gegen alle fünf Serotypen zu impfen. Einen Impfstoff, der das auf einen Schlag erledigt, gibt es nicht. Gegen die Serotypen A, C, W135 und Y gerichtet sind die tetravalenten Konjugatimpfstoffe Nimenrix® und Menveo®, die Jelinek als gleich­wertig einstufte. In Deutschland nicht mehr auf dem Markt, aber als Reimport verfügbar und auch international noch gebräuchlich seien die Polysaccharid-Impfstoffe Mencevax® ACWY und Meningo­kokken-Impfstoff® A + C Merieux. Jelinek bezeichnete sie als »nicht besonders gut«; der Impfschutz halte höchstens vier Jahre, könne aber durch Nachimpfen mit einem Konjugat­impfstoff verlängert werden.

 

Der Proteinimpfstoff Bexsero® schützt ausschließlich vor dem Serotyp B. Er wird vermutlich Mitte des Jahres Konkurrenz bekommen durch den weiteren Serotyp-B-Impfstoff Trumenba®, der allerdings häufiger gegeben werden muss (drei- statt zweimal) und nur für 10- bis 25-Jährige bestimmt ist, während Bexsero ab dem zweiten Lebensmonat eingesetzt werden kann. Obwohl der Serotyp B in Deutschland häufiger vorkommt als C, empfiehlt die STIKO zur Grundimmunisierung die Seroyp-C-Impfung, für die die Impfstoffe Meningitec®, Menjugate® und NeisVacC® zur Verfügung stehen.

 

Individualschutz statt Herdenimmunität

 

»Die Impfung gegen die Japanische Enze­phalitis mit Ixiaro® ist für Reisende indiziert, die in ländlichen Gebieten Asiens übernachten. Sie ist mittlerweile gut etabliert«, sagte Jelinek. Die wichtigste Änderung der vergangenen Jahre sei eine deutliche Verkürzung des Impfschemas gewesen. Die zweite Impfung kann jetzt an Tag 7 statt an Tag 28 gegeben werden. Zusammen mit einer Boosterimpfung nach einem Jahr ergibt das einen Langzeitschutz von mindestens zehn Jahren, so Jelinek. Die Impfung sei gut verträglich, aber die NNV mit 400 000 bis 1 000 000 enorm hoch. Für Reisende aus Europa stehe also der Individualschutz im Vordergrund. Anders in Südostasien: Dort sei die Japanische Enzephalitis die häufigste Virusenzephalitis und es gebe sogar Pflichtimpfungen für Kinder, allerdings mit einem anderen, sehr viel günstigeren Impfstoff aus China.

 

Impfen gegen die Angst

 

Die Tollwut ist zwar eine 100 Prozent tödliche Erkrankung, aber so selten, »dass man sich fragen kann, warum wir dagegen überhaupt impfen«, sagte Jelinek. In den vergangenen 22 Jahren, in denen Millionen von Touristen in Hochrisikogebiete gereist seien, habe es genau 60 dokumentierte Fälle gegeben. Das Problem sei aber nicht so sehr die tatsächliche Manifestation der Tollwut, sondern die Zahl der tollwutverdächtigen Tierkontakte von Reisenden, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hätten. »Wenn es nach einem Biss im Reiseland keinen oder schlechten Impfstoff gibt, wird eine Reise womöglich wegen schlecht gelaunter Hunde, Eichhörnchen oder Affen abgebrochen«, sagte Jelinek. Deshalb sei die Impfung zu empfehlen, auch wenn man ehrlicherweise eher gegen die Angst vor der Tollwut als gegen die Krankheit an sich impfe.

 

Als Impfstoffe stehen Rabipur® und Tollwutimpfstoff® HDC inaktiviert zur Verfügung, die beide ohne Alters­beschränkung eingesetzt werden können. Die Impfung besteht aus drei Spritzen an den Tagen 0, 7 und 21 oder 28. Möglich ist laut Jelinek auch eine schnelle Immunisierung nach dem Schema 0, 3, 7, die initial sogar eine bessere Immunantwort hervorrufe. Ausschlaggebend für den Schutz sei in jedem Fall, dass dreimal geimpft werde. Personen, die nur eine oder zwei Spritzen erhalten hätten, seien nach einem Biss genauso zu behandeln wie komplett Ungeimpfte. Eine Folgeimpfung nach mindestens einem Jahr führe laut WHO zu einem lebenslangen Schutz.

 

Eine weitere Impfung mit extrem hoher NNV (> 1 000 000) ist laut Jelinek die gegen die Vogelgrippe. Der Impfstoff Aflunov® wird zweimal im Abstand von vier Wochen gegeben und schützt vor Infektionen mit dem Influenza-Stamm H5N1. Momentan sei bei Reisenden die Indikation eher fraglich, was sich aber ändern würde, sollte das Virus mutieren und zur Pandemie führen.

 

Zum Abschluss seines Vortrags sprach Jelinek noch zwei Impfungen an, die zwar keine Reiseimpfungen sind, bei denen es aber Neuigkeiten gibt: die Pneumokokken- und die Zoster-Impfung. Gegen Pneumokokken sollten Patienten mit einer chronischen Krankheit und jeder ab 60 Jahren geimpft sein. Die Frage sei nur: mit welchem Impfstoff? Zugelassen sind der 23-valente Polysaccharidimpfstoff Pneumovax® und der 13-valente Konjugatimpfstoff Prevenar®. Aufgrund des breiteren Spektrums ist Pneumovax theoretisch überlegen, doch fällt die Immunantwort schwächer aus. Besonders bei Immungeschwächten sei das ein wichtiges Argument, so Jelinek. Es gebe deshalb Empfehlungen mehrerer Fachgesellschaften, bevorzugt den Konjugatimpfstoff zu verwenden.

 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte in einer Stellungnahme die beiden Impfstoffe zunächst als gleichwertig eingestuft, sodass beide auf Kosten der Krankenkassen eingesetzt werden können. Eine neue STIKO-Empfehlung, der der G-BA in einem demnächst veröffentlichten Beschluss folgen werde, habe das aber aufgehoben, sodass künftig nur noch der Polysaccharidimpfstoff erstattungsfähig sei. Jelinek präferiert aufgrund des besseren Impfschutzes den Konjugatimpfstoff und bietet ihn in der reisemedizinischen Beratung als IGeL-Leistung an.

 

Neuer Impfstoff in der Pipeline

 

Eine Gürtelrose ist die Zweitmanifesta­tion einer Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus, das nach einer Windpocken-Erkrankung in den Neuralganglien des Patienten verbleibt. Eine Zoster-Impfung soll die Zahl zirkulierender Antikörper gegen den Erreger erhöhen und dadurch verhindern, dass eine Gürtelrose ausbricht. Zurzeit gibt es die Lebendimpfung Zostavax® mit allerdings bescheidener Schutzwirkung von 51 Prozent. In Sachsen wird die Impfung von der dortigen Impfkommission empfohlen, nicht jedoch bundesweit von der STIKO.

 

»Voraussichtlich im ersten Quartal 2018 wird es einen neuen Zoster-Impfstoff geben, der entweder Shingerix® oder Shinglarix® heißen wird«, informierte Jelinek. Es handele sich um eine Totimpfung mit einer »sensationellen Protektivität« von mindestens 94 Prozent. Die 2015 im »New England Journal of Medicine« veröffentlichten Daten seien so gut gewesen, dass die US-amerikanische Zulassungsbehörde eine Nach­evaluation zur Überprüfung angeordnet habe (DOI: 10.1056/NEJMoa1501184). Diese habe das Ergebnis bestätigt, sodass der Impfstoff in den USA bereits zugelassen sei. /

Mehr von Avoxa