Starkes Herz durch Weißdorn? |
25.03.2014 16:52 Uhr |
Von Robert Fürst / Weißdorn ist zwar dem traditionellen europäischen Arzneipflanzenschatz zuzuordnen, seine rationale Indikation ist aber erst etwas mehr als 100 Jahre alt. Aufgrund seiner positiv inotropen, antiarrhythmischen und kardioprotektiven Wirkung kann er unterstützend bei Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen. Die Prognose der Erkrankung beeinflusst er allerdings nicht.
Der Weißdorn, lateinisch Crataegus, gehört zur Familie der Rosengewächse. Man kann ihm in seinen Wildformen in unseren Breiten in verschiedenen Arten und Formen begegnen. Er wächst als sommergrüner, dorniger Strauch oder auch als mittelgroßer Baum. Weißdorn ist in den gemäßigten Klimazonen der Nordhalbkugel, vor allem in Europa und Nordamerika, verbreitet.
Weißdorn wächst als sommergrüner, dorniger Strauch oder mittelgroßer Baum. Für die offizinelle Droge werden am häufigsten der hier abgebildete Crataegus laevigata oder Crataegus monogyna verwendet.
Foto: imago/Anka Agency International
Es gibt Hunderte von Weißdornarten, die lebhaft zur Bastardisierung neigen und so die taxonomische Einteilung erschweren. Die Bezeichnung Crataegus scheint – vom altgriechischen Wort krataiós für »stark« abgeleitet – auf das harte Holz des Weißdorns Bezug zu nehmen. Für die offizinelle Droge, Weißdornblätter mit Blüten (Crataegi folium cum flore), lässt das Europäische Arzneibuch verschiedene Arten zu, wobei Crataegus monogyna, der eingriffelige Weißdorn, und C. laevigata, der zweigriffelige, die am häufigsten verwendeten sind.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde mit der systematischen Erforschung der pharmakologischen Aktivität von Weißdornextrakten in der Zellkultur, im Tiermodell und in klinischen Studien begonnen. Auch die Inhaltsstoffe wurden aufgeklärt und es fanden sich im Wesentlichen Flavonoide (zum Beispiel Hyperosid, Quercetin, Vitexin) und oligomere Procyanidine (OPC, bestehend aus Catechin- und Epicatechin-Einheiten), ferner Triterpene, Hydroxyzimtsäure-Derivate und Amine (2). Alle diese Inhaltsstoffe sind auch in anderen Pflanzen weit verbreitet.
Mehrere Stoffklassen wirkungsbestimmend
Die meisten Untersuchungen und klinischen Studien wurden mit einem der zwei auf dem Markt verfügbaren, gut charakterisierten Extrakte durchgeführt, nämlich WS® 1442 (Schwabe) oder LI 132 (Lichtwer, jetzt MCM Klosterfrau). Hierbei handelt es sich um sogenannte quantifizierte Trockenextrakte mit einem Droge-Extrakt-Verhältnis von circa 4-7:1, die durch ein wässrig- alkoholisches Auszugsmittel (45-prozentiger Ethanol beziehungsweise 70-prozentiger Methanol) gewonnen werden und entweder auf einen bestimmten Gehalt an OPC (WS® 1442) oder Flavonoiden (LI 132) eingestellt werden.
Die Unschlüssigkeit, auf welche Substanzen der Extrakt einzustellen ist, zeigt, dass bisher nur sogenannte wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffe gefunden wurden. Das sind Stoffe, die einen Teilbeitrag zur Gesamtwirkung leisten, alleine aber nicht in der Lage sind, die volle Wirkung des Extrakts hervorzurufen. Derzeit wird also davon ausgegangen, dass sowohl OPC also auch Flavonoide für die Wirkung von Weißdorn wichtig sind.
Monographien würdigen positive Effekte
Welche pharmakologischen Effekte zeigen Weißdorn-Extrakte? Sie bewirken eine Steigerung der Kontraktionskraft des Herzens (positive Inotropie), führen zu einer Erweiterung der Koronargefäße und damit zu einer Verbesserung des Koronarflusses und haben antiarrhythmische und kardioprotektive Effekte (1). Diese positiven Befunde wurden in verschiedenen Monographien gewürdigt, auf deutscher (Kommission E), europäischer (ESCOP) und globaler Ebene (WHO). Die ESCOP- und WHO-Monographien unterscheiden gemäß dem evidenzbasierten Kenntnisstand bei den Indikationsangaben ganz klar zwischen der Verwendung eines wässrig-alkoholischen Extrakts und der eines Tees oder eines anderen, vom wässrig-alkoholischen Auszug abweichenden Weißdorn-Präparats.
Die Extrakte werden gestützt auf klinische Daten bei »nachlassender Leistungsfähigkeit des Herzens entsprechend Stadium II der New York Heart Association (NYHA)« verwendet, also bei milden Formen der Herzinsuffizienz. Dem Tee oder anderen Präparaten wird naturgemäß nur die traditionelle Verwendung gegen nervöse Herzbeschwerden und zur Stärkung der Herzfunktion zugebilligt.
Klinische Studien mit Weißdorn
Sieht man sich die S3-Leitlinie zur Herzinsuffizienz aus dem Jahr 2006 an, die momentan überarbeitet wird, so stellt man fest, dass von der Verwendung von Weißdorn abgeraten wird, da Wirkungsnachweise fehlen. Sind hier aufgrund des Alters der Leitlinie aktuelle Studienergebnisse außen vor geblieben? Die Nationale Versorgungs-Leitlinie zur chronischen Herzinsuffizienz (Version 7, 2013) erwähnt Crataegus-Extrakte nicht. Ist dies gerechtfertigt? Um hier zu einer Einschätzung zu kommen, muss man sich die Datenlage der klinischen Studien näher ansehen.
Die Cochrane Collaboration veröffentlichte 2008 eine Metaanalyse der damals zugängigen randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien (3). Die Autoren fanden zehn auswertbare Studien, die insgesamt 855 Patienten mit NYHA Stadium I bis III umfassten und in denen ausschließlich die beiden Extrakte WS® 1442 oder LI 132 verwendet wurden. Die Dosierungen schwankten zwischen 160 und 1800 mg pro Tag. In fast allen Studien wurden die Extrakte als adjuvante Therapie zu einer oft nicht näher definierten Medikation eingesetzt. Trotz der niedrigen Patientenzahl, der unterschiedlichen NYHA-Schweregrade und des breiten Dosierungsbereichs konnten die Autoren ein positives Fazit ziehen. Sie bescheinigten den Weißdorn-Extrakten, sowohl die Symptome als auch verschiedene Parameter der Herzfunktion positiv zu beeinflussen.
Die größte Studie zur klinischen Wirksamkeit von Weißdorn ist die ebenfalls im Jahr 2008 erschienene SPICE-Studie (Survival and Prognosis: Investigation of Crataegus Extract WS® 1442 in Chronic Heart Failure). Sie untersuchte die Wirkung des Extrakts in der Dosierung 900 mg pro Tag über zwei Jahre an 2681 Patienten mit Herzinsuffizienz der Schweregrade NYHA II und III, die leitliniengerecht therapiert wurden (4). In dieser Studie wurde vor allem der Einfluss von Weißdorn auf die Mortalität und Morbidität untersucht. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Die Behandlung mit Weißdorn hatte keinen Einfluss auf die Zeit bis zum ersten kardialen Ereignis, definiert als Tod, Herzinfarkt oder Hospitalisierung aufgrund einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Nur in einer bestimmten Untergruppe, deren Herzfunktion weniger gravierend eingeschränkt war, zeigte sich eine leichte mortalitäts-senkende Tendenz. Immerhin erwies sich der Extrakt in der Studie insgesamt als sehr gut verträglich.
Weißdornextrakte sind nicht verschreibungspflichtig. Ihre traditionelle Anwendung in der Selbstmedikation bei »nervösen Herzbeschwerden« oder zur »Stärkung der Herzfunktion« gehört in den Bereich der Beratungskompetenz des Apothekers. Herzinsuffizienz hingegen ist eine schwerwiegende Erkrankung, bei der die Verwendung von Crataegus-Extrakten voraussetzt, dass die Diagnose durch einen Arzt sichergestellt ist und der Patient leitliniengerecht überwacht und mit prognoseverbessernden Medikamenten versorgt wird. Quantifizierte Weißdorn-Extrakte stellen hier ganz klar eine adjuvante, also ergänzende Therapie dar.
Grenzen der Selbstmedikation
Weißdorn scheint die Symptome der Herzinsuffizienz und die Herzfunktion positiv beeinflussen zu können, wirkt sich aber wohl nicht verbessernd auf die Prognose der Erkrankung aus. Es bleibt der gemeinsamen Entscheidung von Arzt und Patient anheimgestellt, Weißdorn bei Herzinsuffizienz zu verwenden. Sicherheitsbedenken bestehen keine. Dem Apotheker kommt hier die wichtige Aufgabe zu, die Gesamtmedikation des Patienten im Auge zu behalten und im Bedarfsfall beratend einzugreifen. /