Präparate auf dem Prüfstand |
30.03.2010 10:44 Uhr |
Von Bettina Sauer, Berlin / Halten Anti-Aging-Produkte und Haarwuchsmittel, was sie versprechen? Die Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) hat beide Präparategruppen unter die Lupe genommen. Bei ihrer Jahrestagung in Berlin präsentierte sie die gewonnenen Erkenntnisse
Das Sortiment ist riesig, die Werbung verheißungsvoll, der Nutzen aber nicht unbedingt gegeben – schließlich benötigen Anti-Aging-Produkte gegen Hautalterung wie alle Kosmetika keine Zulassung, also auch keinen so strengen wissenschaftlichen Wirksamkeitsbeleg wie etwa Arzneimittel. Um in dieser Grauzone mehr Klarheit zu schaffen, hat die Gesellschaft für Dermopharmazie (GD) eine Leitlinie entwickelt, die sie bei ihrer Jahrestagung vom 22. bis 24. März in Berlin vorstellte. »Sie soll Apotheker und andere Fachleute bei ihrer Beratung unterstützen«, sagte Dr. Joachim Kresken, Inhaber einer Apotheke in Viersen und GD-Vorsitzender, bei der Tagungs-Pressekonferenz. Doch auch interessierten Laien stehe sie fortan auf der Website der GD (www.gd-online.de) als Orientierungshilfe zur Verfügung.
Der Lack bröckelt: Der Markt für Anti-Aging-Produkte boomt – ihre Wirksamkeit ist jedoch selten belegt.
Foto: Stihl024/Pixelio
Erarbeitet wurde sie von der Fachgruppe Dermokosmetik der GD. »Dafür haben wir Literaturrecherchen in medizinischen Datenbanken, insbesondere in pubmed, durchgeführt und auf dieser Grundlage die Inhaltsstoffe von topischen Anti-Aging-Produkten in drei Kategorien eingeteilt«, erklärte Fachgruppenleiterin Dr. Tatjana Pavicic, Leiterin der Abteilung Ästhetische Dermatologie an der Hautklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München, bei der Pressekonferenz.
Klassifikationssystem für Wirkstoffe
Die erste, am meisten zu empfehlende Kategorie umfasst Substanzen mit klinisch bestätigter, also am Menschen belegter hautverjüngender Wirksamkeit. In entsprechenden Studien dienen als Messwerte oft die Faltentiefe, beziehungsweise die Oberflächenstruktur, Rauigkeit und Elastizität sowie der Feuchtigkeitsgehalt der Haut. Je nach Methodik unterteilen Pavicic und Kollegen die Kategorie in zwei Untergruppen.
Die eine umfasst Substanzen, für die Belege aus placebokontrollierten Doppelblindstudien, dem Standard in der medizinischen Forschung, vorliegen. Dazu gehören laut Leitlinie Vitamin A (Retinol), seine verschreibungspflichtige biologisch aktive Form (all-trans-Retinsäure) sowie verschiedene Vitamin-A-Derivate, Vitamin C, Alpha-Liponsäure und ein Vertreter der Polypetide mit dem langen Namen »Palmitoyl-Lysin-Threonin-Threonin-Lysin-Serin« (pal-KTTS). Polypeptide scheinen die Bindegewebszellen in der Haut zur Produktion straffender und regenerierender Eiweiße anzuregen. Die übrigen Substanzen zählen zu den Antioxidanzien, die freie Sauerstoffradikale abfangen sollen und deshalb zu den großen, aber derzeit nicht unumstrittenen Hoffnungsträgern in der gesamten Anti-Aging-Medizin gehören.
Zwar nicht durch placebokontrollierte Doppelblindstudien, aber immerhin durch objektivierbare Messmethoden am Menschen bestätigt, ist der Leitlinie zufolge die Wirksamkeit einiger weiterer antioxidativer Substanzen, nämlich von Vitamin E, Vitamin B3 (Niacinamid) und 2-Dimethylaminoethanol (DMAE). Das gilt auch für Hyaluronsäure-Fragmente, die in der Haut Feuchtigkeit binden, und für Phytohormone, namentlich Isoflavone. Letztere scheinen ähnliche Wirkungen zu erzielen wie Estrogene, die vor allem die Haut von Frauen jugendlich halten, aber nach Ablauf der fruchtbaren Lebensphase stark abfallen.
Weniger bis gar keine Evidenz
Die zweite Kategorie in der Leitlinie umfasst Wirkstoffe, für die bislang lediglich Anti-Aging-Belege aus Zellversuchen existieren. Dazu gehören zahlreiche Polyphenole (etwa Anthocyane, Flavonoide und Katechine), die normalerweise Pflanzen vor Oxidation schützen und zum Beispiel in Ginkgo, Trauben, Weintrauben, Beeren, Tee und Kakao vorkommen, sowie das ebenfalls antioxidative Coenzym Q10 (Ubichinon). »Das hat mich schon erstaunt«, kommentierte Pavicic. »Schließlich findet es sich in Anti-Aging-Cremes und Co außerordentlich oft.«
Zudem verfüge die »überragende Mehrheit« der Substanzen auf dem Markt gemäß Datenbankrecherche über gar keinen Wirksamkeitsbeleg, falle also in die Kategorie drei. Häufig stünden solche Produkte unter Patentschutz und leiteten sich von Vorbildern aus der Natur ab.
Mehr klinische Studien gefordert
Doch hänge die Bewertung einer Zubereitung nicht nur von der Wirksamkeit der Wirkstoffe ab, sondern auch von ihrer, in der Leitlinie nicht detailliert bewerteten, Verträglichkeit, vom Hauttyp und anderen persönlichen Besonderheiten des Anwenders sowie vom Einfluss der Trägersubstanzen. »Idealerweise braucht jedes Präparat einen individuellen Wirksamkeitsbeleg durch placebokontrollierte Doppelblindstudien.« Ein großer Wunsch, vor allem in Anbetracht wenigen klinischen Prüfungen, die Pavicics Datenbankrecherche überhaupt zutage brachte und die zudem oft nur eine ziemlich geringe Teilnehmerzahl umfasst.
Erblich bedingter Haarausfall bei Frauen: Wissenschaftlich gut dokumentiert sind lediglich die topische Therapie mit Minoxidil-Lösung sowie bestimmte verschreibungspflichtige systemische Hormonpräparate.
Foto: McNeil
Kritische Journalisten bemängelten, dass längst nicht alle Kosmetikkonzerne ihre Studienergebnisse in internationalen Fachjournalen veröffentlichten. Pavicic bestätigte diese Einschätzung, hielt aber dagegen: »Unsere Gesellschaft will eine evidenzbasierte Dermokosmetik, und deshalb stützen wir uns auf ein möglichst hochrangig dokumentiertes Wissen.« Insgesamt handele es sich bei der Leitlinie um eine Momentaufnahme ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Mit wachsendem Erkenntnisgewinn könnten Inhaltsstoffe aus Anti-Aging-Kosmetika zwischen den drei Kategorien auf- oder absteigen. Deshalb plane die Fachgruppe regelmäßige Aktualisierungen der Leitlinie.
Haarige Erkenntnisse
Auch eine zweite Präparate-Gruppe mit großer wirtschaftlicher Bedeutung hat die GD genauer unter die Lupe genommen. Bei ihrer Jahrestagung präsentierte sie eine Stellungnahme zum Management des erblich-hormonellen Haarausfalls. Dieser sogenannten androgenetischen Alopezie liegt eine genetisch bedingte Überempfindlichkeit der Haarwurzeln gegenüber Testosteron, beziehungsweise seiner Wirkform Dihydrotestosteron zugrunde. Das äußert sich bei Männern unter anderem als Geheimratsecken oder Glatze, bei Frauen durch eine Verbreiterung des Scheitels. »Etwa 50 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen bekommen im Laufe ihres Lebens eine solche Form des Haarausfalls, und vielfach leiden sie erheblich darunter«, sagte Professor Dr. Hans Wolff, Leiter der Haarsprechstunde an der Hautklinik der LMU München und federführender Autor der GD-Stellungnahme, bei der Pressekonferenz. Das mache die Betroffenen leicht zum »Freiwild für Nepper, Schlepper, Bauernfänger«. Unzählige angeblich haarwuchsfördernde Präparate zur innerlichen und äußerlichen Anwendung fänden sich in Deutschland auf dem Markt. »Doch die wenigsten verfügen tatsächlich über ausreichende klinisch-wissenschaftliche Daten zur Wirksamkeit.«
Entsprechend überschaubar mutet die Liste der Empfehlungen an, die die GD-Stellungnahme gibt. Demnach eignet sich bei Männern eine systemische Therapie mit dem verschreibungspflichtigen 5-α-Reductase-Hemer Finasterid (Propecia und Generika), der die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron unterbindet. Dagegen bieten sich bei Frauen verschreibungspflichtige empfängnisverhütende Hormonpräparate an, die ein antiandrogenes Gestagen enthalten. Einige cyproteronacetat- und chlormadinonacetat-haltige Präparate sind zur Therapie der androgenetischen Alopezie zugelassen, darunter Androcur, Diane-35 sowie Neo-Eunomin.
Beide Geschlechter profitieren laut Stellungnahme zudem von der lokalen Behandlung mit der rezeptfreien Minoxidil-Lösung (Regaine). »Diese drei medikamentösen Therapieoptionen – und nur diese – verfügen derzeit über einen guten, klinisch belegten Nutzen«, betonte Wolff.
Er äußerte die Hoffnung, dass sich diese Empfehlung weit herumsprechen möge. Die GD stellt sie ebenfalls auf ihrer Homepage öffentlich zur Verfügung. »Zudem wünsche ich mir«, sagte Wolff, »dass Betroffene nicht irgendwelche Therapien auf eigene Faust erproben, sondern möglichst früh Rat bei einem Heilberufler suchen.« Dabei seien Apotheken eine wichtige Anlaufstelle. Das pharmazeutische Personal solle Kunden mit Haarausfall unbedingt zur genauen Abklärung zu einem auf dieses Gebiet spezialisierten Arzt, in der Regel einem Dermatologen, schicken. Zur Besserung der Therapietreue seien Patienten über Nebenwirkungen der Präparate aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass sie die Behandlung nicht ohne Rücksprache unterbrechen oder beenden sollten. Denn meist schreite dann der Haarausfall sofort weiter voran. /