Alles Ansichtssache? |
08.04.2008 17:37 Uhr |
Alles Ansichtssache?
Von Lars Hilbig, Frankfurt am Main
Trotz umfangreicher Gesetze beschäftigen sich Gerichte immer öfter mit den sogenannten Borderline-Produkten. Dabei stehen oft weniger die Interessen des Verbrauchers, als vielmehr wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Aber wann stellt sich beispielsweise die Frage, ob es sich bei einem Produkt um ein Arzneimittel oder ein Medizinprodukt handelt?
Nach deutschem Recht gemäß § 2 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind grundsätzlich erst einmal alle »Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper (zum Beispiel) Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen [...]« Arzneimittel, sofern sie nicht nach Absatz 3 explizit von der Regelung ausgenommen werden. Hierunter fallen unter anderem Lebensmittel, kosmetische Mittel, Tabakerzeugnisse und auch die Medizinprodukte.
Was unter Medizinprodukten verstanden wird, ist im Medizinproduktegesetz (MPG) § 3 Absatz 1 geregelt, wobei wichtig ist, dass die »bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.«
Im Klartext heißt es, dass Medizinprodukte in erster Linie auf physikalischem Wege wirken, während Arzneimittel pharmakologische, immunologische beziehungsweise metabolische Wirkungen entfalten. Wie umfangreich sich dabei über eine »Wirkung« diskutieren lässt, zeigt sich schon in der Definition des Medizinproduktebegriffes. Wer genau liest, stellt fest, dass hier nicht gesagt wird, wie ein Medizinprodukt wirkt, sondern nur, wie es nicht wirkt.
Noch diffiziler wird die Sache bei Betrachtung des europäischen Arzneimittelbegriffes, der im deutschen Gesetz zwar nicht auftaucht, bei der Rechtsprechung aber berücksichtigt wird. Nach Artikel 1 Nr. 2 des Gemeinschaftskodex, werden zwei Fälle unterschieden. Den Anfang machen die sogenannten Präsentationsarzneimittel, bei denen der Kunde im Hinblick auf die Bezeichnung beziehungsweise Deklaration davon ausgehen kann, dass es sich um ein Arzneimittel handelt. Dabei ist es unerheblich, ob und welche pharmakologischen Wirkungen vorliegen. Das Zweite sind die Funktionsarzneimittel, die in jedem Fall tatsächlich eine Wirkung auf die Körperfunktionen ausüben.
Arzneimittel oder Medizinprodukt? Die Antwort liefert die Wirkung nicht immer. Dennoch ist die Einteilung nicht reine Ansichtssache. Entscheidend ist, was der Hersteller verspricht. Die Behörden orientieren sich daran. Denn die bestimmungsgemäße Wirkweise ist entscheidend, nicht die Hauptwirkung.
Einzelfallentscheidung
Ein Beispiel ist Dexpanthenol. Wird die Unterstützung der Wundheilung in den Vordergrund gestellt, werden Zubereitungen damit zum Arzneimittel. Hebt man die pflegenden Eigenschaften hervor, zum Beispiel Erhöhung des Feuchthaltevermögens der Haut, kann es in Medizinprodukten ebenfalls zum Einsatz kommen. Natürlich spielen hier auch Dinge wie Konzentration und galenische Formulierung mit hinein - hier wird von Einzelfall zu Einzelfall entschieden.
Solche Produkte, die sich auf der Grenze zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt bewegen, werden Borderline-Produkte genannt. Aus Sicht des Verbrauchers hat es dabei wenig Relevanz, wozu sein »Medikament«. nun gezählt wird. Wichtig ist ihm in erster Linie, dass es hilft.
Wie bereits erwähnt, ergeben sich Unterschiede hauptsächlich für den Hersteller, welcher finanzielle und wettbewerbliche Überlegungen in den Vordergrund stellt. So darf ein Arzneimittel erst nach einem aufwendigen und kostenintensiven Zulassungsverfahren auf den Markt kommen. Bei Medizinprodukten geht es nicht nur schneller, sondern ist auch mit weniger Kosten verbunden. Es entfallen zum Beispiel die besonders teuren klinischen Studien. Zudem dürfen sie grundsätzlich durch das CE-Kennzeichen im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum vertrieben werden, was bei Arzneimitteln erst nach erfolgreicher EU-Zulassung der Fall ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Heilmittelwerbegesetz, das ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen beiden Klassen macht. So sind bei Medizinprodukten im Gegensatz zu Arzneimitteln beispielsweise bestimmte bildliche Darstellungen, beispielsweise eine Gegenüberstellung von vorher und nachher, zulässig.
Die gleichen Überlegungen lassen sich ebenfalls auf die Grenze zwischen Kosmetika und Arzneimittel anwenden. Heilsversprechen sind bei Kosmetika nicht möglich. Deshalb versuchen die Hersteller dieser Produkte oftmals, aus dem juristischen Grenzbereich hinaus, die Vermutung auf Heilung beim Verbraucher zu nähren, ohne dies darzustellen. So könnten unter die auf der Umverpackung einer Creme beschriebenen Hautunreinheiten ja durchaus auch die Pusteln des Krankheitsbildes Akne vulgaris fallen. Glaubt der Anwender dies, wird es den Hersteller kaum stören.