»AMNOG braucht eine Lernkontrolle« |
22.03.2017 09:50 Uhr |
Von Jennifer Evans, Berlin / Die Versorgungsqualität und das Patientenwohl von Diabetikern sind in Gefahr, wenn das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) nicht bald nachgebessert wird. Darin waren sich die Experten vergangenen Donnerstag bei der Jahreskonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) einig. Vorschläge hatte die DDG gleich parat.
»Das AMNOG braucht eine Lernkontrolle«, forderte DDG-Vizepräsident Professor Dirk Müller-Wieland. Im Ausland gebe es mittlerweile ein größeres Therapiespektrum für Diabetiker als in Deutschland. Derzeit sind laut DDG hierzulande mehr als sechs Millionen Menschen von der Krankheit betroffen. Und jedes Jahr kommen etwa 270 000 Neuerkrankungen hinzu.
Das Nutzenbewertungsverfahren hat Schwachstellen, meint die DDG. Sie hält daher eine regelmäßige Lernkontrolle für sinnvoll, um das System zu verbessern.
Foto: iStock/CherriesJD
Müller-Wieland führt die mangelnde Therapievielfalt auf »einen Verfahrensfehler« der Nutzenbewertung im AMNOG zurück. Grundsätzlich bemängelt er die Nichteinbeziehung wissenschaftlicher Fachgesellschaften bei der Definierung des medizinischen Standards nach Sozialgesetzbuch V. Dazu gehöre etwa die Übereinkunft über die sogenannte zweckmäßige Vergleichstherapie, die Festlegung klinischer Endpunkte sowie die derzeit geheimen Preisverhandlungen zwischen Pharmaunternehmen und der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Ende der Preisgestaltung
Das AMNOG beendete im Jahr 2011 die freie Preisgestaltung der pharmazeutischen Industrie bei neuen Medikamenten. Seitdem müssen Hersteller und Kassen ein Jahr nach Markteinführung den Erstattungspreis für ein Medikament aushandeln. Ausschlaggebend dafür ist das Ergebnis der Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Auf der Basis dieses Ergebnisses entscheidet der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) über den Zusatznutzen eines Medikaments gegenüber der bisherigen Standardtherapie. Wird einem neuen Arzneimittel kein Zusatznutzen bescheinigt, gilt der Preis der entsprechenden Vergleichstherapie. »Der liegt bei Diabetes mellitus oft im Cent-Bereich. Das führt häufig dazu, dass ein Medikament vom Markt verschwindet«, sagte Müller-Wieland.
Das ist dem DDG-Vize zufolge etwa bei der Fixkombination von Gliptinen geschehen. Demnach sei die Gabe der Wirkstoffkombination bei der Nutzenbewertung schlechter ausgefallen als die Gabe der Einzelsubstanzen. Folglich ist die Einnahme der einzelnen Substanzen anerkannt, das Kombinationspräparat aber nicht. Es sei ein Missverständnis, dass ein nicht vorhandener Zusatznutzen bedeute, dass ein Medikament schlecht sei oder nicht wirke, betonte Müller-Wieland. »Das ist medizinisch nicht plausibel. Gerade bei multimorbiden Patienten ist es wichtig, dass diesen so wenige Tabletten wie möglich gegeben werden«, erläuterte der DDG-Chef. Dies führe nachweislich zu besserer Einnahmetreue und damit zu besseren Ergebnissen hinsichtlich klinischer Parameter.
Von der Gliptinen-Fixkombination können laut DDG in Deutschland 1,5 Millionen Patienten profitieren. Nehmen diese nun statt einer Tablette dauerhaft zwei Tabletten ein, steigt automatisch die Gefahr von Fehleinnahmen und deren möglichen Folgen. Das führe dann zu mehr Kosten und sei damit weder im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgedanken des AMNOG noch im Sinne der Patienten, so Müller-Wieland.
Medizinische Kontrolle
Deshalb fordert die DDG am Ende des Nutzenbewertungsverfahrens eine medizinische Plausibilitätskontrolle. Denn für einen prozentualen Anteil von Patienten könnten neue Medikamente durchaus einen Zusatznutzen haben. Zudem sollte bei chronischen Krankheiten auch die Patientenstimme zählen. Bislang sitzen diese der Gesellschaft zufolge zwar im G-BA, haben aber kein Stimmrecht. /