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Bernhard-Nocht-Institut

Malaria auf St. Pauli

21.03.2011  17:06 Uhr

Von Daniela Biermann / Im Keller schlummern Ebola-Viren, auf dem Dachboden summen Anopheles-Mücken: Im Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin am Hamburger Hafen findet sich die wohl größte Artenvielfalt auf St. Pauli. Im Mittelpunkt steht Plasmodium falciparum, der Erreger der Malaria tropica. Mehrere Forschergruppen berichten der PZ über die Suche nach Impfstoffen und Medikamenten.

Wer den Dachboden des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNI) betritt, fühlt sich in die Anfänge des mehr als hundert Jahre alten Forschungsinstituts versetzt. Altes Gebälk, Staub, Dunkelheit. Nur ein fensterloser Quader steht dort, wie eine Miniaturausgabe der Container im benachbarten Hafen. Im Prinzip ist es ein Gewächshaus. Doch statt Pflanzen werden hier Mücken gezüchtet – Anopheles-Mücken, die Überträger der Malaria.

Dem Besucher schlägt tropisch-feuchtwarme Luft entgegen. 28 Grad Celsius, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit, so die genau überwachten Bedingungen. Links eine Reihe Plastikschalen mit Larven, daneben eine Dose Fischfutter. Rechts Käfige mit sehr feinen Maschen für die entpuppten Tiere.

 

Noch sind diese Mücken, Anopheles stephensi, malariafrei und ungefährlich. Damit ist es jedoch vorbei, sobald sie im Labor auf infizierte Mäuse losgelassen werden. Beim Blutsaugen nehmen sie Malariaparasiten auf, die sich im Mitteldarm der Mücken vermehren und sogenannte Sporozoiten bilden. Für einige Experimente isolieren die Wissenschaftler die Sporozoiten aus den Speicheldrüsen der Mücken. Dabei handelt es sich um den Erreger der murinen Malaria (Maus-Malaria), Plasmodium berghei. Dieser ist für Menschen vollkommen ungefährlich – im Gegensatz zum eigentlichen Forschungsobjekt der BNI-Wissenschaftler: Plasmodium falciparum.

 

Malaria von allen Seiten

 

Am Institut arbeiten rund 70 Prozent der mehr als 200 Wissenschaftler, Doktoranden und Hilfskräfte an Malaria. »Im Prinzip gibt es drei Ansätze«, erläutert Professor Dr. Rolf Horstmann, Leiter des BNI. »Vom Erreger, vom Patienten und von der Bevölkerung aus.«

 

So untersuchen die Wissenschaftler Fragen aus Biologie, Klinik, Epidemiologie, Genetik, Immunologie und verwandten Disziplinen. »Wir experimentieren viel.« Ziel seien konkrete Präventionsmaßnahmen, Medikamente und Therapien.

»Malaria zählt nach der Definition der Weltge­sund­heitsorganisation (WHO) mit HIV und Tuberku­lose zu den drei großen Infektions­krankheiten«, so Horstmann. »Als Tropeninstitut sehen wir es als unsere Aufgabe, uns besonders um Armutskrankheiten zu kümmern. Zwar ist die Sterblichkeit in den betroffenen Ländern nicht so groß wie die Summe aller Atemwegs- oder Durchfall­erkrankungen – aber als Einzelerkrankung ragt Malaria weit heraus.«

 

Gefährlich fürs Gehirn

 

Laut Welt-Malaria-Report der WHO erkrankten 2009 schätzungsweise 225 Millionen Menschen an Malaria. 781 000 starben, überwiegend afrikanische Kinder unter fünf Jahren. So gesehen ist die schwere Malaria eine Kinderkrankheit.

Plasmodium falciparum verursacht die schwerste und gefährlichste Form der Erkrankung, die Malaria tropica (Falciparum-Malaria). Im Gegensatz zu Infektionen mit den anderen humanpathogenen Plasmodienarten (P. vivax, ovale und malariae) finden sich hohe Parasitenzahlen im Blut. Die Fieberschübe treten unregelmäßig auf. Daher darf eine Malaria nie allein nach dem klassischen Fieberrhythmus diagnostiziert werden.

 

Plasmodium falciparum ist nicht nur der gefährlichste, sondern auch der häufigste Malaria-Erreger. Er kommt vor allem in Afrika südlich der Sahara vor und ist für fast alle Todesfälle weltweit verantwortlich. »Das liegt an einer Besonderheit«, erklärt Horstmann. Die Parasiten richten sich in ihren Wirtszellen, den roten Blutkörperchen, häuslich ein. Dabei ändern die Erythrozyten ihre Elastizität und Form von einem Diskus hin zur Kugel. Eigentlich würde eine solche Zelle bei der regelmäßigen Passage des Bluts durch die Milz eliminiert.

Das verhindern die Parasiten mit einem gefährlichen Trick: Plasmodium falciparum produziert bestimmte Proteine und transportiert sie an die Oberfläche der befallenen Erythrozyten, sodass diese an den Wänden kleiner Blutgefäße haften bleiben.

 

Damit entziehen sie sich der Elimina­tion in der Milz. Doch es stört die Mikro­zirkulation und löst eine Entzündung aus. Das Anhaften passiert bevorzugt im Gehirn. Die Folgen sind schwere Organschäden bis hin zum Tod. »Die zerebrale Malaria ist die schlimmste Form«, so Horstmann. »Jedes fünfte Kind stirbt.« Wie lässt sich das verhindern?

 

 

Feldforschung in Ghana

 

Wichtige Informationen sammeln die Wissenschaftler in Ghana. Im Kumasi Centre for Collaborative Research in Tropical Medicine (KCCR) kooperiert das BNI eng mit der Universität von Kumasi, der zweitgrößten Stadt des Landes. Dort werden beispielsweise klinische Studien zur Medikamentenanwendung oder genetische Untersuchungen bei Kindern durchgeführt. Und natürlich epidemiologische Studien.

 

Diesen Bereich leitet der Arzt Professor Dr. Jürgen May. »Das KCCR in Ghana ist unser wichtigster Arbeitsplatz in Afrika. Zurzeit untersuchen wir, welche Erkrankung Kleinkinder, die mit Fieber ins Krankenhaus kommen, wirklich haben. Daraus wollen wir eine Art Leitlinie für die lokalen Krankenhäuser erarbeiten. Denn die Realität sieht so aus, dass jedes Kind unter fünf Jahren, das mit Fieber ins Krankenhaus kommt, erst einmal gegen Malaria behandelt wird.« Selbst wenn die Parasiten im Blutausstrich gefunden werden, heißt das nicht, dass die Infektion das Fieber hervorruft.

 

»Um herauszufinden, was die Kinder wirklich haben, ist eine sehr aufwändige und teure mikrobiologische Labordiagnostik notwendig«, so May. In Kumasi gibt es nun ein entsprechendes Labor, in dem Blutproben auf zahlreiche Infektionserreger getestet werden. »Wir können mittlerweile sagen, dass rund 70 bis 80 Prozent der schweren fieberhaften Erkrankungen wirklich Malaria sind«, berichtet der Epidemiologe. Die restlichen 20 bis 30 Prozent der Kinder haben häufig eine bakterielle Infektion, etwa zur Hälfte Salmonellen. »Die Kinder brauchen also eine vollkommen andere Therapie«, so May. Um eine Therapieentscheidung auch ohne Labor besser fällen zu können, arbeiten die Forscher nun an Behandlungsempfehlungen.

 

Zwischendurch zur Prophylaxe

 

Auch klinische Studien laufen am KCCR. In einer großen, multizentrischen Studie mit Beteiligung mehrerer deutscher Universitäten wurde untersucht, ob bei einheimischen Kindern eine Chemoprophylaxe wie bei Reisenden möglich ist. »Es gab die Beobachtung, dass sofort nach Ende der Prophylaxe ein Rebound auftritt und die Kinder noch häufiger an Malaria erkranken«, so May. »Theoretisch müsste man die Prophylaxe also lebenslang fortsetzen, aber das geht nicht. Unser Ansatz war nun die intermittierende präventive Behandlung von Kleinkindern mit dem Antimalariamittel Sulfadoxin-Pyrimethamin (Fansidar).«

 

Die Eltern kamen mit ihren Säuglingen dreimal im Abstand von sechs Monaten zu den Routineimpfungen wie Tetanus und Polio in die Ambulanz. Dabei bekamen die Kinder jeweils auch eine Tablette des Antimalariamittels, getestet gegen Placebo. »Es war sehr aufwendig. Wir haben 1070 Kinder monatlich betreut. Insgesamt kamen wir auf rund 20 000 Besuche.«

 

Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Maßnahme schützte ein Viertel (24 Prozent) der Kinder – ohne Reboundeffekt. Inzwischen empfiehlt die WHO diese Maßnahme in Ländern mit hoher Malaria-Inzidenz im äquatorialen Afrika.

 

Eine Frage der Gene

 

Ebenfalls in Kumasi hat das BNI eine große genetische Studie durchgeführt. »Wir suchen bei Kindern nach genetischen Varianten, die ihnen Schutz vor lebensbedrohlicher Malaria bieten«, erklärt Dr. Christian Timmann. Die Wissenschaftler verglichen in rund 6000 Blutproben systematisch das Erbgut von Kindern mit lebensbedrohlicher Malaria mit der DNA von gesunden Kindern.

 

Mittlerweile wurden im Laboratorium der Firma Affymetrix in den USA bei 2500 Kindern jeweils 1 Million über das gesamte Genom verteilte genetische Marker, sogenannte Small Nucleotide Polymorphisms (SNPs), bestimmt. Am BNI suchten Mitarbeiter mit statistischen Methoden nach Unterschieden zwischen kranken und gesunden Kindern. »Bisher kannten wir nur genetische Varianten, die anderweitig krank machen und deshalb auffielen, aber therapeutisch nicht nutzbar sind«, so Timmann. Prominentes Beispiel ist die Sichelzell-Anämie. Das krankhafte Sichelzell-Hämoglobin schädigt die Plasmodien. Dies schützt Menschen, die nur eine krankhafte Variante des Gens von einem Elternteil geerbt haben. Mit zwei veränderten Allelen (von beiden Elterteilen geerbt) sterben die Betroffenen jedoch an schwerer Blutarmut, Durchblutungsstörungen und Infektionen, in der Regel schon im Jugendalter.

 

»Wir haben bei unserer Studie nicht nur das Sichelzell-Gen und andere bekannte Mutationen für Bluterkrankungen gefunden«, so der Genetiker. »Es waren auch unbekannte Genvarianten dabei, die wir jetzt genauer untersuchen. Ziel ist es, bislang unbekannte Stoffwechselwege des Menschen zu finden, die Schutz vor der Erkrankung bieten und als Targets für neue Formen von Impfstoffen oder Medikamente dienen.«

 

Der ewige Kreislauf

 

Der Lebenszyklus des Malariaparasiten ist relativ komplex (siehe Grafik). Beim Stich gibt die Mücke den Erreger in Form von Sporozoiten (infektiöses Stadium) in die menschliche Blutbahn. Er landet zunächst in der Leber. Dort durchwandert der Sporozoit mehrere Zellen. Er legt dabei eine falsche Fährte, denn die durchwanderten Hepatozyten sterben und locken so die Immunabwehr an. Der Parasit nistet sich in der Zwischenzeit in einer gesunden Leberzelle ein. Dort entwickelt sich ein einzelner Sporozoit zu bis zu 30 000 Nachkommen, den Merozoiten.

Eine der prominentesten Entdeckungen von BNI-Forschern betrifft folgenden Schritt: Statt einfach zu platzen, schnürt die Leberzelle kleine, mit Tausenden Merozoiten gefüllte Kügelchen ab, sogenannte Merosomen. Sie sind umgeben von der Leberzellmembran, die wie ein Tarnmantel wirkt. Erst im Blutstrom werden die Merozoiten aus den Merosomen freigesetzt. Dieses Stadium von Malariaparasiten beschrieb die Arbeitsgruppe von Professor Dr. Volker Heussler 2006 im Fachjournal »Science«.

 

Im Blutstrom kapern die ausströmenden Merozoiten rote Blutkörperchen. Jetzt wird der einzelne Erreger als Blutschizont bezeichnet. Im Falle von Plasmodium falciparum bleiben die infizierten Erythrozyten an den Wänden der kleinen Blutgefäße haften. Dort produziert ein Blutschizont jeweils bis zu 32 Nachkommen, wieder Merozoiten genannt. Der Erythrozyt platzt und setzt die Tochterzellen frei, die wiederum neue Erythrozyten befallen. Teilweise entstehen auch Gametozyten (weibliche und männliche Geschlechtsformen des Parasiten). Wird ein Infizierter erneut gestochen, kann die Mücke diese Formen aufnehmen. Nach sexueller Vermehrung im Darm des Insekts gelangen infektiöse Sporozoiten in die Speicheldrüsen der Mücke – und es geht von vorn los.

Die BNI-Wissenschaftler wollen diesen Lebenszyklus im Detail verstehen. Daher arbeitet die Gruppe von Dr. Tobias Spielmann mit dem Blutstadium von Plasmodium falciparum. »Das ist das Stadium, das die Infizierten krank macht.« Spielmann interessiert, wie die Parasiten in rote Blutkörperchen eindringen, die Zelle verändern und dem Immunsystem entgehen. »Im Grunde ist ein Erythrozyt nichts anderes als ein Sack gefüllt mit Hämoglobin – kein Zellkern, keine Zellorganellen, keine verräterischen Antigen-präsentierenden MHC-Proteine auf der Oberfläche. Daher kann die Zelle nicht anzeigen, dass sie infiziert ist.«

 

Schöner Wohnen für Parasiten

 

Die Blutzelle ist für den Parasiten wie ein leerer Raum, den er umgestalten muss, um darin zu überleben. Innerhalb eines Tages installiert der Parasit ein eigenes Transportsystem und exportiert Mengen verschiedener Proteine in die Wirtszelle. In dieser Phase bleibt seine Größe konstant. »Aber in den nächsten 24 Stunden wächst er dann unheimlich schnell und bildet bis zu 32 Tochterzellen«, erklärt Spielmann. »Das hat bis jetzt niemand an einem einzelnen Malariaparasiten beobachten können.« Mit einer neuen Technik konnten Spielmann und sein Team nun erstmals in 3D über die Zeit beobachten, wie bei einem einzelnen Parasiten ein Stadium aus dem anderen hervorgeht. Auch den Proteintransport konnten sie verfolgen. Der Fachartikel erschien im Januar 2011 in »Nature Communications«.

 

»So gut wie alle Proteine, die der Parasit für den Umbau der Wirtszelle verwendet, kommen im Menschen nicht vor«, so Spielmann. »Dies macht die Arbeit mit diesen Proteinen schwieriger, da man keinen Vergleich zu bekannten Proteinen ziehen kann. Sie stellen aber auch seine Achillesferse dar.« Denn richtet sich ein Arzneistoff gezielt gegen ein solches Protein, so ist es wahrscheinlich, dass er nur auf den Erreger wirkt.

Auch Professor Dr. Iris Bruchhaus hofft, solche Strukturen zu finden. Ihre Arbeitsgruppe erforscht, wie Plasmodium falciparum sich an die Gefäßwände hängt – eine komplizierte Angelegenheit. Der Parasit transportiert dazu eigene Proteine an die Oberfläche der Wirtszelle, darunter das sogenannte PfEMP1 (Plasmodium falciparum Erythrocyte Membrane Protein 1). »PfEMP1 vermittelt die Bindung an verschiedene Endothelrezeptoren«, erklärt Bruchhaus. »Ein Infizierter bildet auch Antikörper gegen PfEMP1, die ihn vor dem Erreger schützen könnten.«

 

Aber: Der Erreger exprimiert bei jedem Vermehrungszyklus im Blut eine andere Variante des Moleküls; die Immunabwehr läuft somit schon nach 48 Stunden ins Leere. Die zugehörige Genfamilie (var-Gene) umfasst 60 Varianten von PfEMP1 – für jeden einzelnen Erregerstamm. Bei der nächsten Infek­tion mit einem anderen Stamm können die var-Gene wieder ganz anders aussehen. »Es gibt vermutlich Milliarden an Kombinationsmöglichkeiten«, so Bruchhaus. Außer PfEMP1 vermitteln noch weitere Proteine eine Bindung an die Zellwand, was die Variabilität weiter potenziert. Das macht die zielgerichtete Impfstoff- und Medikamentenentwicklung immens schwierig.

Welches var-Gen wann angeschaltet wird, scheint genau festgelegt zu sein. Darauf deuten jetzt erstmals Untersuchungen von Bruchhaus’ Team hin. Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern weltweit untersuchen sie die PfEMP1-Expression nicht an Malariaparasiten, die im Labor gezüchtet werden, sondern in Blutproben, die von Patienten in den ersten Tagen der Behandlung entnommen werden.

 

Da das BNI zusammen mit dem Universitätsklinikum Eppendorf auch erkrankte Reisende behandelt, kommen die Forscher im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder an frisches Blut. »Ein Tourist wird vermutlich nur einmal von einer infizierten Mücke gestochen, ist also nur mit einem Erregerstamm infiziert«, sagt Bruchhaus. »Somit müssen wir höchstens 60 var-Gene untersuchen. Dabei haben wir zu unserem Erstaunen festgestellt, dass ein Infizierter Millionen Erreger im Blut hat, die alle synchron die gleiche Genvariante einschalten.«

Sollten die Anfangsvarianten identisch sein, könnten die Wissenschaftler Wirkstoffe und Antikörper gegen diese bestimmte PfEMP1-Struktur entwickeln und so direkt zu Beginn der Infektion eingreifen.

 

Immunabwehr auf Hochtouren

 

Was nach der Bindung von PfEMP1 passiert, sieht sich die Gruppe von Privatdozent Dr. Thomas Jacobs genauer an. »Wir untersuchen die Regulation des Immunsystems bei einer Malariainfektion und forschen auch an neuen Impfansätzen.« Bei zerebraler Malaria entsteht eine schwere Entzündung im Gehirn durch Überaktivierung der Immunabwehr. Ärzte können zwar den Parasiten bekämpfen, aber das Herunterfahren der Immunabwehr dauert zu lange. Somit ist die Krankheit selbst mit den Standards europäischer Intensivmedizin schwer zu kontrollieren.

 

Wenn die infizierten Erythrozyten in den Gehirnkapillaren anhaften, wird das Endothel stark aktiviert. Auch Immunzellen bleiben dort hängen. Fresszellen kommen hinzu und schütten Zytokine aus. »Das Abschalten der Immunabwehr ist genauso wichtig wie das Anschalten«, sagt Jacobs. »Wir wollen den Vorgang stoppen, bevor das Gehirn zu Schaden kommt.«

111 Jahre Bernhard-Nocht-Institut

1900 nahm nach einem Beschluss der Bürgerschaft Hamburg ein neues Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten seine Arbeit auf, direkt oberhalb der Landungsbrücken am Hamburger Hafen. Begründer war der Hafenarzt Bernhard Nocht (1857 bis 1945), der acht Jahre zuvor aufgrund einer großen Cholera-Epidemie in die Hansestadt gekommen war. 111 Jahre später sieht sich das BNI weiterhin der Erforschung von Tropenkrankheiten verpflichtet, neben der Malaria auch von anderen Parasiten-, Wurm- und Viruserkrankungen. Dabei gilt weiterhin Bernhard Nochts Leitspruch »Forschen, Heilen und Lehren«. Das BNI unterstützt dabei auch wissenschaftliche Einrichtungen in Entwicklungsländern. Einer der größten Forschungserfolge war 2003 die Entdeckung des SARS-Virus, parallel zu einer US-amerikanischen Gruppe. Noch heute ist die Erfindung eines BNI-Mitarbeiters weltweit in Gebrauch: 1904 entwickelte der Apotheker, Chemiker und Bakteriologe Gustav Giemsa die nach ihm benannte Färbung, um Malariaparasiten im Blutausstrich unter dem Mikroskop sichtbar zu machen.

Der Königsweg wäre jedoch, mit einer Impfung zu verhindern, dass es überhaupt zu Blutstadien und klinischen Symptomen kommt. »Im Leberstadium ist das Immunsystem nur leicht aktiviert«, erklärt Jacobs. »Der Patient zeigt noch keine Symptome. Doch sobald die Blutphase beginnt, ist das Immunsystem stark aktiviert, was nicht unbedingt zum Schutz beiträgt. Unser Ansatz ist nun, das Immunsystem während der Leberphase durch eine gezielte Aktivierung von CD8-positiven T-Zellen zu unterstützen.«

 

Als Goldstandard für eine Vakzine gelten laut Jacobs attenuierte Sporozoiten. Der Ansatz stammt bereits aus den 1960er-Jahren. »Eine amerikanische Firma zum Beispiel versucht derzeit, infizierte Mücken zu kultivieren, die Sporozoiten aus ihrem Speichel zu extrahieren und durch Bestrahlung abzuschwächen. Das funktioniert auch, ist jedoch nicht praktikabel für eine Massenimpfung.«

»Im Tiermodell konnten wir diesen Ansatz bereits mit einer gentechnologischen Methode nachempfinden«, so der Immunbiologe. Dazu verwenden die BNI-Forscher einen Salmonellenstamm mit einem modifizierten Plasmodien-Gen. Dieses kodiert für das sogenannte Circumsporozoiten-Protein (CSP). Die Sporozoiten benötigen es, um in die Hepatozyten einzudringen. Die Leberzellen zerteilen dieses Protein und präsentieren es dem Immunsystem stückweise an ihrer Oberfläche mittels MHC-Molekülen. Dort erkennen es T-Zellen und leiten eine Abwehrreaktion ein.

 

Mithilfe der gentechnisch veränderten Salmonellen soll die Immunabwehr nun ohne vorherige Infektion der Hepatozyten alarmiert werden. Dendritische Zellen attackieren die Salmonellen, sobald diese per Schluckimpfung in den Darm gelangen. Die Salmonellen übertragen das CSP auf die Abwehrzellen. Diese wandern in die Lymphknoten und präsentieren die aufgenommenen Antigene den CD8-positiven Killerzellen. »Die CD8-positiven Zellen sind besonders wichtig, um die Leber vor einer Plasmodien-Infektion zu schützen«, erklärt Jacobs. »Im Tierversuch erreichte die Schluckimpfung eine sehr hohe Effizienz, doch der Schutz verschwindet zu schnell. Und eine Impfung, die nur sechs Wochen hält, ist nicht praktikabel.«

 

RTS,S-Vakzine macht das Rennen

 

Umgekehrt ist es bei dem weltweit am weitesten entwickelten Impfstoff, der RTS,S-Vakzine (Mosquirix®). Hier ist die Schutzwirkung bislang mäßig, hält jedoch vermutlich einige Monate bis Jahre. Auch dieser von Glaxo-Smith-Kline und der PATH Malaria Vaccine Initiative entwickelte Impfstoff enthält CSP. In einer Phase-II-Studie konnte die Impfung rund 50 Prozent der geimpften Kinder vor einer schweren Falciparum-Malaria bewahren – mehr, als man ihr zunächst zugetraut hatte, aber zu wenig, um den Großteil der Kinder zu schützen.

Am BNI überlegt daher Jacobs’ Arbeitsgruppe, wie verschiedene Vakzine-Strategien kombiniert werden könnten, um eine hohe Effizienz und eine lange Schutzwirkung zu erhalten. »Wir müssen CSP dem Immunsystem auf unterschiedliche Weise präsentieren«, so Jacobs.

 

Nur durch immer neue Versuche können die Wissenschaftler viel versprechende Impfstoff- und Medikamentenkandidaten entwickeln. Wie wichtig dabei die Forschungsfreiheit ist, betont BNI-Vorstand Horstmann: »Die RTS,S-Vakzine wurde eigentlich nur getestet, um Zentren für klinische Impfstudien aufzubauen.« Der Kandidat habe in präklinischen Tests wenig vielversprechend ausgesehen. Von den klinischen Ergebnissen waren alle überrascht. Derzeit wird die Vakzine an rund 16 000 afrikanischen Kindern untersucht, unter anderem am KCCR in Kumasi. 2013 könnte sie als erste Impfung gegen Malaria zugelassen werden. »Das zeigt uns, dass wir unsere verschiedenen Kandidaten bis in die klinischen Studien treiben müssen, um ihre Wirksamkeit beurteilen zu können«, so Horstmann. »Doch das kostet viel Geld.«

 

Bei der Entwicklung neuer Malariamedikamente hat sich das BNI bereits aus der Grundlagenforschung heraus gewagt. Professor Dr. Carsten Wrenger und seine Arbeitsgruppe haben 2004 eine potenzielle Achillesferse von Plasmodien entdeckt: den Vitamin-B6-Stoffwechsel.

 

Vitamin B6, in seiner aktivierten Form Pyridoxalphosphat genannt, ist ein wichtiger Cofaktor für mehr als 100 Enzyme. Während der Mensch Vitamin B6 mit der Nahrung aufnehmen muss, stellt der Malariaparasit es selbst her. Entscheidend ist dabei ein Komplex aus zwei Enzymen, fanden Wrenger und seine Kollegen. »Der Komplex wurde im Laufe der Evolution hochgradig konserviert. Und das nicht nur bei Plasmodien, sondern auch bei anderen Infektionserregern, zum Beispiel dem Tuberkuloseerreger. Im besten Fall sind unsere Wirkstoffkandidaten rundum einsetzbar.« Ein Vorteil für die Finanzierung der Entwicklung und für viele Malariakranke, die an Koinfektionen leiden.

 

In Zusammenarbeit mit dem BNI untersuchte die Firma European ScreeningPort rund 300 000 Komponenten in vitro auf ihre hemmende Wirkung gegen den Enzymkomplex. Davon blieb nur ein Bruchteil an Substanzen übrig, die im nanomolekularen Bereich wirken. Die Kandidaten befinden sich derzeit im Toxizitätstest an menschlichen Zellen. Bald sollen Versuche am Mausmodell folgen. »Das sind meines Wissens die ersten Kandidaten aus dem BNI, die es soweit geschafft haben«, sagt Wrenger.

 

»Doch die Finanzierung ist ein elementares Problem.« Denn die klinische Testung kann Unsummen verschlingen. Daher verfügt das BNI über viele Patente im Bereich Malaria; bis zur Marktreife treibt es eigene Produkte jedoch nicht allein. Wie die meisten Forschungsinstitute setzt es auf Kooperation und sieht seine Stärke in der Grundlagenforschung.

 

Hochsicherheitstrakt für Mücken

 

Ohne Hochsicherheitsinsektarium dürfen die Wissenschaftler nur mit Mücken arbeiten, die den für Menschen ungefährlichen Mäusemalaria-Erreger in sich tragen. Das Modell hat jedoch einige Schwächen. Plasmodium ist eben nicht gleich Plasmodium. »Stellen Sie sich mal vor, was auf St. Pauli los wäre, wenn da eine Plasmodium-falciparum-infizierte Mücke entkommen würde«, so BNI-Vorstandsvorsitzender Horstmann.

 

Ganz neue Möglichkeiten soll demnächst das neue Hochsicherheitsinsektarium bieten. Dann werden die Anopheles-Mücken vom Dachboden umziehen und sich statt mit Mäusemalaria künftig auch mit humanen Erregern infizieren. Unter sehr strengen Sicherheitsauflagen können die Forscher dann erstmals am gesamten Zyklus von Plasmodium falciparum arbeiten. Denn im Gegensatz zu Merozoiten, den Stadien im menschlichen Blut, ist die Zucht von Sporozoiten in Kultur nicht möglich. Dafür braucht es die Mücken als Wirt.

 

Die Arbeitsgruppe von Iris Bruchhaus möchte in Zukunft zum Beispiel an frisch mit menschlichem Malariaerreger infizierten, humanisierten Mäusen testen, ob wirklich immer das gleiche PfEMP1-Protein zu Beginn einer Infektion exprimiert wird. Und Thomas Jacobs hofft, neue Impfstrategien an Modelltieren und mittelfristig sogar am Menschen zu testen. Es summt also weiter auf Sankt Pauli. /

Die Autorin

Daniela Biermann studierte Pharmazie an der Philipps-Universität, Marburg. Nach einem sechsmonatigen Forschungsaufenthalt an der National University of Singapore legte sie eine Diplomprüfung im Fach Pharmazeutische Biologie ab. Der Approbation folgte 2007 ein Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung. Mittlerweile ist sie für die PZ-Redak­tion in Hamburg tätig.

 

biermann(at)govi.de

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