Kopf und Körper in Bewegung |
08.03.2016 13:21 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Sie ist zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten: die Feldenkrais-Methode, ein Bewegungstraining, das sanft, aber nachhaltig gegen Schmerzen helfen kann und die Körperwahrnehmung verbessert. Erklärungen, wie die Methode wirkt, kommen heute aus der Hirnforschung.
Ihr Begründer Moshé Feldenkrais (1904 bis 1984) war promovierter Physiker, Ingenieur und begeisterter Kampfsportler. Schon als Jugendlicher verließ Feldenkrais seine russische Heimat mit Ziel Palästina, um hier beim Aufbau des Landes mitzuhelfen. Sein Weg führte ihn weiter nach Paris ins Radium-Institut des Ehepaares Joliot-Curie und nach Schottland in die geheime Anti-U-Boot-Abteilung Churchills.
Häufige Beschwerden am Bewegungsapparat: Viele Musiker, Tänzer und Schauspieler schätzen die Feldenkrais-Methode.
Fotos: Feldenkrais-Verband Deutschland
1949 kehrte er zurück nach Israel. Schon früh lernte und unterrichtete Feldenkrais Jiu-Jitsu – hier liegen die Grundlagen seiner Bewegungsmethode. 20 Jahre war er Judolehrer und trug als einer der ersten Europäer den Schwarzen Gürtel. Durch eine eigene, vermeintlich unheilbare Knieverletzung entdeckte Feldenkrais, was Gehirnforscher seit wenigen Jahren auch wissenschaftlich belegen können: dass Körper und Geist untrennbar zusammen gehören und dass das Gehirn durch bestimmte Bewegungsabläufe beeinflusst werden kann. Feldenkrais erkannte das Zusammenspiel von Bewegung, Geist, Gefühl und Seele und beobachtete, dass ein bewusster Umgang mit dem Körper und eine bessere physische Haltung Auswirkungen auf fast alle anderen Lebensbereiche hatten. Lernte der Körper neue Bewegungen, änderte sich der ganze Mensch.
Seine Knieverletzung fesselte Feldenkrais manchmal wochenlang ans Bett. Bestimmte Bewegungen verschlimmerten seine Schmerzen, jedoch nicht immer. Er vermutete, dass unbewusste Aspekte zu seinen Beschwerden beitrugen, die er nur dann korrigieren konnte, wenn er »Bewusstheit« dafür entwickelte. Hunderte Male experimentierte er mit winzigen Bewegungen, um auch die feinsten Verbindungen in seinem Körper aufzuspüren und zu erkennen, wo Schmerz und Einschränkungen herkamen. Durch intensive Selbstbeobachtung, seine fundierten Judo-Kenntnisse und das Wissen in Physik, Biologie und Neurowissenschaften, mit denen er sich intensiv beschäftigt hatte, schaffte er es schließlich, seine Bewegungsgewohnheiten so weit zu analysieren und zu verändern, dass er wieder schmerzfrei gehen konnte.
Systemische Sicht auf den Menschen
Nicht spirituelle Philosophie, sondern das Wissen über Anatomie und die Fragen »Wie lernt der Mensch? Wie lernt das Nervensystem?«, sind die Basis seiner Methode. Es sei unmöglich, einen Körperteil zu bewegen, ohne dass alle anderen von dieser Bewegung beeinflusst würden, erkannte Feldenkrais. Seine systemische Sicht auf den Menschen unterschied seinen Ansatz deutlich von anderen Arten der Körperarbeit. »Schon das kleinste Ausstrecken eines Arms oder das Heben eines Fingers führt dazu, dass sich Muskeln im Unterarm zusammenziehen, während andere Muskeln im Rücken diese Muskeln stabilisieren und wiederum Reaktionen im Nervensystem und Körper hervorrufen, die vorwegnehmen, wie die Bewegung das Gesamtgleichgewicht ein wenig ändert«, schreibt der Psychiater und Hirnforscher Norman Doidge in seinem neuen Buch »Wie das Gehirn heilt«. Mit Blick auf die Feldenkrais-Forschungen beschreibt er hier unter anderem die Heilungsprozesse schwerer Hirnschäden durch bewusstes Bewegen.
Viele Bewegungsprobleme und Schmerzen sind Folge schlechter Gewohnheiten und Zwänge, die einen ein Leben lang unbewusst begleiten. Wer gelernt hat, beim Sitzen immer die Beine übereinander zu schlagen, hat wahrscheinlich irgendwann Schmerzen in Knien und Hüfte. Auch Ausweichbewegungen und falsche Gewichtsverteilungen durch Verletzungen und Operationen können Fehlhaltungen nach sich ziehen. Bei sich selbst beobachtete Feldenkrais, dass schlechte Haltungsgewohnheiten die Beschwerden seines Problemknies verschlimmerten.
Gehen konventionelle Behandlungen eher davon aus, dass das Funktionieren des Körpers von seiner Grundstruktur und ihren Grenzen abhängig ist, zeigte Feldenkrais, dass körperliche Schwierigkeiten auch davon abhängen, wie das Gehirn lernt, sich an diese Grenzen anzupassen. Um eingeschliffene Prozesse und unbewusste Routine aufzulösen, entwickelte er die Idee, Bewegungen in neue, ungewohnte Kontexte und Positionen zu bringen. Die verschiedenen Bewegungsvariationen sollen dem im Nervensystem abgespeicherten Bewegungsprogramm neue Impulse setzen, was dazu führt, alte Verhaltens- und Haltungsmuster nachhaltig zu verändern. Grundlage dafür ist die Fähigkeit des Gehirns, Bewegungsverhalten um- oder neu zu programmieren.
Veränderung durch Aufmerksamkeit
Geübt wird dabei nicht nur die Bewegung selbst, sondern vor allem die Wahrnehmung der Bewegung. Feldenkrais sprach von »kinästhetischer Bewusstheit«, also der Wahrnehmung von Körperbewegung und -lage im Raum. »Man lernt bei Feldenkrais, dass die hochgezogenen Schultern auch etwas mit der Gewichtsverteilung beim Sitzen auf dem Stuhl und der Stellung der Füße zu tun haben.
Eine von Hunderten möglichen Lektionen für mehr Beweglichkeit
Aber nicht, weil jemand das sagt, sondern weil man es durch die Lektionen spürt«, erklärt Corinna Eikmeier vom Feldenkrais- Verband Deutschland (FVD). Das funktioniere nicht von heute auf morgen. Für die Feldenkrais-Arbeit brauche man Zeit.
Trainiert wird in Einzelunterricht oder in der Gruppe, was Feldenkrais »funktionale Integration« und »Bewusstheit durch Bewegung« nannte. Die Ziele sind dieselben: die ursprüngliche Körperkoordination wiederzufinden, die jeder als Kind einmal hatte und eingeschränkte Bewegungsräume wieder zu erweitern. Das Training verläuft dabei sanft, ohne überflüssige Muskelanstrengung. Die Kombination aus Einzel- und Gruppenarbeit sei ideal, sagt Eikmeier, die als Feldenkrais-Lehrerin und Musikerin auch viele Musiker unterrichtet, bei Überlastungsschmerzen ebenso wie zur Optimierung der Atmung. Schauspieler, Sänger und Tänzer sind seit Jahrzehnten Anhänger der Methode, die helfen kann, jede Art von Bewegung zu beeinflussen und zu optimieren. Auch in der Arbeit mit zum Beispiel entwicklungsverzögerten Kindern, im Sport und Gesundheitsbereich. Speziell älteren Menschen helfen die flexiblen und mäßig anstrengenden Lektionen, ihre Alltagsaktivitäten leichter zu bewältigen.
Beeindruckende Einzelfallschilderungen aus der Praxis belegen immer wieder die Effektivität der Methode, die Anzahl wissenschaftlicher Studien über ihre Wirkung aber ist überschaubar. Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin wurde 2015 eine neurowissenschaftliche Untersuchung zum Feldenkrais-Bewegungstraining abgeschlossen. Das Experiment sollte zeigen, was bei der Stimulierung der Fußsohle im Gehirn geschieht.
21 Studienteilnehmer lagen dafür im MRT, während ein Feldenkrais-Trainer mit einem speziellen Holzbrett Druck auf Fußsohle und Zehen der Probanden ausübte – in zwei unterschiedlichen experimentellen Settings. Der Therapeut stimulierte entweder nur lokal Fuß und Knöchel oder versuchte – global – von der Fußsohle aus den ganzen Körper durch Druck mit dem Brett zu beeinflussen. In der Praxis werden beide Behandlungsformen in Kombination angewandt. Das Holzbrett empfahl Feldenkrais unter anderem für die Arbeit mit entwicklungsverzögerten Kindern, um Muskelgruppen und Sinneszellen im ganzen Körper zu stimulieren. Aber vielleicht nicht nur dort. Denn die Ergebnisse der Berliner Studie unterstützen die Hypothese, dass die globale Stimulierung an der Fußsohle mithilfe des Bretts bestimmte neuronale Prozesse im motorischen Cortex des Gehirns aktivierten.
Solche Einzelergebnisse gelten im traditionellen Wissenschaftsbetrieb erst mal wenig. Auch Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Feldenkrais-Methode in der Regel nicht.
Dennoch finden viele Menschen zu Feldenkrais – meistens weil Schmerzen sie quälen. Und sie bleiben auch dann weiter dabei, wenn die Schmerzen längst wieder weg sind. /
Quellen und Literatur