Der »Weiße Ritter« fordert den Zehnten |
05.03.2007 11:19 Uhr |
Der »Weiße Ritter« fordert den Zehnten
Von Irena Güttel und Sascha Meyer
Der Rauch der Übernahmeschlacht hielt sich lange. Nach dem Kauf der Schering durch Bayer im vergangenen Jahr blieben die Beschäftigten über Monate im Unklaren über ihre Zukunft. Jetzt liegen die Karten auf dem Tisch: 6100 Arbeitsplätze sollen der Fusion mit der Pharmasparte des Bayer-Mutterkonzerns zum Opfer fallen, darunter rund 1500 in Deutschland.
Die tiefsten Einschnitte treffen den Schering-Stammsitz Berlin, der allein 1200 Stellen verlieren soll. Mit »unvermeidlichen« Maßnahmen müsse die Basis für Wachstum und neue Jobs gelegt werden, erläutern die Manager. Unter den Mitarbeitern herrschen Wut und Zukunftsängste.
An der Fassade der Hauptverwaltung von Bayer Schering Pharma im Berliner Arbeiterstadtteil Wedding hängen am Freitag Zettel als stummer Protest: »Arbeitsplätze für Berlin - Keine Kündigungen!« ist Buchstabe für Buchstabe in Fenstern neben dem Eingangsportal zu lesen. Lautstark machen dagegen viele Mitarbeiter ihrem Unmut über die Pläne Luft, die bei Betriebsversammlungen an mehreren Standorten vorgestellt werden - unter dem Tagesordnungspunkt »Aktueller Stand Integration/Synergien und Personalanpassungen«.
Zur Versammlung in Berlin sind allein 2000 Beschäftigte gekommen. »Es ist schon eine ziemliche Schweinerei, vor allem, dass Zusagen nicht eingehalten werden«, schimpft ein Techniker, der seit 24 Jahren bei Schering arbeitet. Im Saal hat Vorstandsmitglied Werner Baumann einen schweren Stand, als er die Pläne erläutert. »Meine Damen und Herren, glauben Sie mir, es fällt mir nicht leicht, heute hier zu stehen«, eröffnet er seine Rede unter Pfiffen und Buhrufen. »Die Großen schieben sich alles unter den Nagel, und die Kleinen bleiben auf der Strecke«, meint ein Mitarbeiter der Logistik. Der Abbau sei verantwortungslos, vor allem Ältere dürften schwer neue Jobs finden.
Mit versteinerter Miene schließen sich viele danach einem Protestzug zur Konzernzentrale an. Dabei hatten zuerst auch die Beschäftigten aufgeatmet, als im Frühjahr 2006 der Bayer-Konzern als gut meinender »Weißer Ritter« auftrat und eine feindliche Übernahme-Attacke des Darmstädter Rivalen Merck abzuwehren half. Der damalige Schering-Chef Hubertus Erlen warb für die 17-Milliarden-Euro-Offerte aus Leverkusen, auch wenn dadurch die Eigenständigkeit nach 155 Jahren verloren ging. Im Herbst besiegelten die Aktionäre die Fusion zum neuen deutschen Marktführer Bayer Schering Pharma. Der Wert der Anteilsscheine vervielfachte sich während des Übernahmepokers.
Der Stellenabbau sei »unglücklich, aber unvermeidbar«, erläutert der Chef von Bayer Schering Pharma, Arthur Higgins, in der Berliner Zentrale, während die Betriebsversammlungen noch laufen. Und Ziel seien sozialverträgliche Lösungen. Doppelt vorhandene Funktionen vor allem in Verwaltung und Marketing sowie parallele Niederlassungen im Ausland seien aber nicht zu halten. Die Maßnahmen, die rund eine Milliarde Euro kosten, sicherten dauerhaftes Wachstum. Die Rechnung: Von 2009 an soll die »verschlankte« Struktur jährliche Einsparungen von 700 Millionen Euro einbringen. Mittelfristig könnten dann auch wieder neue Jobs entstehen.
An die ferne Zukunft mag unter den Beschäftigten aber erst einmal kaum jemand denken. Der Betriebsrat in Berlin kündigt Widerstand gegen die Abbaupläne an und schließt auch Streiks nicht aus. Dass der Vorstand die Fusion in der Versammlung mit dem Zusammenziehen zweier Haushalte vergleicht, bei dem man auch nicht alles behalten könne, stößt jedenfalls auf Empörung. »Beim Zusammenziehen werden die Kinder normalerweise mitgenommen«, ruft eine Mitarbeiterin, die an einem Außenlautsprecher vor dem überfüllten Saal steht. Und ein Kollege ergänzt: »Wir sind ja nicht aus Liebe zusammengegangen, sondern wurden aufgekauft.«
Freiheit hat ihren Preis, heißt es. Als Bayer zum sogenannten »Weißen Ritter« wurde, weil Schering damit die feindliche Übernahme durch Merck verhindern wollte, dürfte Realitätssinn durch Naivität ersetzt worden sein.
Zu keiner Zeit hatte Bayer ein anderes Interesse als Merck. Nur Merck ist letzten Endes schneller zu Geld gekommen als Bayer. Die Fusionsgemeinschaft made in Leverkusen und Berlin muss Jobs abbauen, um Kasse zu machen. Nur das rechtfertigt die Fusion im nachhinein.
Bayer muss auch deswegen Kasse machen, weil der Kaufpreis über dem lag, was seinerzeit Marktanalysten empfohlen hatten. Wie gesagt: Merck machte Kasse, Bayer bezahlte zwar für den Deal, will sich aber nun in Form von Erträgen das Geld zurückholen. Wer jetzt jammert, übersieht, dass diese Strategie schon mit dem Kauf absehbar war. Die Augen vor den Realitäten des Marktes zu verschließen, hat schon wieder nichts gebracht.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion