Idursulfase und Ranibizumab |
26.02.2007 11:56 Uhr |
Idursulfase und Ranibizumab
Von Brigitte M. Gensthaler und Kerstin A. Gräfe
Im Februar sind zwei neue Arzneistoffe auf den Markt gekommen. Mit Idursulfase steht erstmals eine kausale Therapie für Patienten mit der Stoffwechselerkrankung Morbus Hunter zur Verfügung. Der Antikörper Ranibizumab kann das Sehvermögen von Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration erhalten.
Mit Idursulfase wurde die erste Enzymersatztherapie zur Langzeitbehandlung von Patienten mit Morbus Hunter zugelassen (Elaprase® 2 mg/ml, Shire Human Genetic Therapies). Die wöchentlich verabreichte Infusion ersetzt das kaum vorhandene oder fehlende Enzym Iduronat-2-Sulfatase.
Morbus Hunter, auch Mukopolysaccharidose (MPS) Typ II genannt, ist eine seltene, erblich bedingte Stoffwechselerkrankung. Sie wurde erstmals 1917 von dem schottischen Arzt John Hunter beschrieben. Ursache ist ein defektes Gen auf dem X-Chromosom, das für die Iduronat-2-Sulfatase kodiert. In der Folge können Glykosaminoglykane (GAG) nicht mehr abgebaut werden. Sie sammeln sich nach und nach in den Zellen an und schädigen diese. Dadurch kommt es zu zahlreichen Symptomen, vor allem zu Atemnot und massiven Gehbeschwerden.
Die Lebenserwartung bei MPS Typ II variiert stark. Patienten mit leichter Verlaufsform haben eine annähernd normale Lebenserwartung, wenn Herz und Lunge nicht zu stark betroffen sind. Schwer erkrankte Patienten erreichen selten die Pubertät.
Da der Gendefekt rezessiv auf dem X-Chromosom liegt, erkranken weitaus mehr Männer als Frauen, da diese den Defekt mit dem zweiten X-Chromosom ausgleichen können. Dies ist Männern mit dem Y-Chromosom nicht möglich. »Gesunde« Frauen können jedoch das defekte Chromosom an ihre Kinder weitergeben (»Konduktorin«).
Idursulfase ist die gereinigte Form des lysosomalen Enzyms Iduronat-2-Sulfatase. Es wird in einer menschlichen Zelllinie hergestellt und weist ein humanes Glykosylierungsprofil auf, das dem des natürlich vorkommenden Enzyms analog ist. Sein Molekulargewicht ist etwa 76 Kilodalton. Durch das Ersetzen des fehlenden oder unzureichend vorhandenen Enzyms kommt es zu einer Verbesserung oder Stabilisierung der Erkrankung.
Die Mukopolysaccharidose Typ II kann verschiedene Ausprägungsgrade zeigen:
Kinder mit schwerster Verlaufsform eines Iduronat-2-Sulfatase-Mangels zeigen schon im Kleinkindalter Symptome der Erkrankung und eine Beteiligung des Nervensystems. Diese Form eines Morbus Hunter nennt man juvenile Form oder Typ A.
Patienten mit leichter Form eines Morbus Hunter sind normal intelligent und hauptsächlich beeinträchtigt durch Einlagerungen von Speichermaterial im Herzmuskel. Diese leichte Form bezeichnet man als Typ B oder Erwachsenen-Form.
Neueste Untersuchungen aus Deutschland vermuten einen Fall von MPS Typ II auf 156.000 Geburten. Insgesamt schätzt man einen Fall von Mukopolysaccharidosen auf 29.000 Geburten.
Zur weiteren Information: Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen e. V., Pappelweg 6, 63741 Aschaffenburg, Telefon (0 60 21) 85 83 73, Fax (0 60 21) 85 83 72, E-Mail: mps-ev(at)t-online.de, www.mps-ev.de.
Das Orphan drug wird wöchentlich in einer Dosis von 0,5 mg/kg Körpergewicht intravenös über einen Zeitraum von drei Stunden gegeben. Sofern der Patient keine Infusionsreaktionen wie Ausschlag, Juckreiz, Fieber, Kopfschmerzen, erhöhten Blutdruck oder Rötung zeigt, kann die Infusion auch schneller verabreicht werden.
Die Zulassung beruht auf einer placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 96 Morbus-Hunter-Patienten. Sie erhielten 52 Wochen lang entweder wöchentlich 0,5 mg/kg (n=32), 0,5 mg/kg jede zweite Woche (n=32) oder Placebo (n=32). Primärer Endpunkt waren die Parameter Lungenfunktion (forcierte expiratorische Vitalkapazität, das heißt, die Höchstmenge an Luft, die ein Patient ausatmen kann) und die Entfernung, die ein Patient in sechs Minuten zurücklegen kann. Idursulfase verbesserte verglichen mit Placebo sowohl die Lungenfunktion als auch die Gehfähigkeit signifikant. Nach 52 Wochen konnten die Patienten unter Idursulfase in sechs Minuten 43,3 m gehen, während die Patienten unter Placebo 8,2 m zurücklegen konnten. Insgesamt 11 von 31 Patienten (36 Prozent) in der wöchentlich behandelten Gruppe gegenüber 5 von 31 Patienten (16 Prozent) in der Placebo-Gruppe hatten eine Steigerung der FEV1 von mindestens 200 ccm bei oder vor Ende der Studie, was auf eine dosisabhängige Verbesserung bei der Atemwegsobstruktion hinweist. Die Patienten in der wöchentlich behandelten Gruppe konnten am Ende der Studie eine klinisch signifikante, durchschnittlich 15-prozentige Verbesserung der FEV1 verzeichnen.
Häufigste Nebenwirkungen waren Hautreaktionen (Ausschlag oder Juckreiz), Fieber, Kopfschmerzen, Hypertonie und Schwellungen an der Infusionsstelle. Andere sehr häufige Nebenwirkungen waren Sodbrennen und Brustschmerzen. Die Reaktionen, die im Zusammenhang mit der Infusion standen, waren durch Verlangsamen oder Unterbrechen der Infusion oder mit Antihistaminika, Antipyretika, niedrig dosierten Corticosteroiden oder Beta-Sympathomimetika gut beherrschbar. Keiner der Patienten brach während der klinischen Studien die Behandlung aufgrund einer Infusionsreaktion ab.
Ranibizumab
Mit Ranibizumab steht nach Pegaptanib Natrium der zweite Inhibitor des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors A (VEGF-A) zur Therapie der feuchten Form der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) zur Verfügung. Beide Arzneistoffe werden direkt in den Glaskörper des Auges gespritzt. Eine Durchstechflasche Lucentis® (Novartis Pharma) enthält 3,0 mg Ranibizumab in 0,3 ml Lösung.
Der neue Arzneistoff ist ein Fragment eines humanisierten monoklonalen Mausantikörpers, der spezifisch gegen den humanen VEGF-A gerichtet ist und mit hoher Affinität alle bekannten Isoformen bindet. VEGF-A kommt in den Augen von AMD-Patienten in hoher Konzentration vor und fördert das Wachstum neuer Blutgefäße und das Austreten von Flüssigkeit, was die Krankheit verschlimmert (siehe auch hier).
Damit Ranibizumab seinen Wirkort erreichen kann, wird die Lösung nach lokaler Anästhesie des Auges unter aseptischen Bedingungen intravitreal gespritzt. In den ersten drei Monaten wird das Medikament monatlich injiziert. In der anschließenden Erhaltungsphase prüft der Augenarzt monatlich das Sehvermögen des Patienten mit einer standardisierten Buchstabentafel; beträgt der Sehverlust mehr als fünf Buchstaben, wird das Präparat erneut gegeben.
Der Antikörper (0,3 und 0,5 mg) wurde in drei Phase-III-Studien mit rund 1300 AMD-Patienten über 12 bis 24 Monate geprüft und mit Scheininjektionen (identisches Verfahren, aber ohne Wirkstoff und Nadel) und einer photodynamischen Therapie (PDT) mit Verteporfin verglichen. Primärer Endpunkt war der Anteil an Patienten, deren Sehschärfe gleich blieb oder weniger als 15 Buchstaben abnahm, oder die Sehveränderung über 12 Monate.
In zwei Studien blieb die Sehschärfe bei 95 Prozent der Patienten unter Ranibizumab erhalten, aber nur bei 62 bis 64 Prozent, die eine Scheininjektion oder PDT bekommen hatten. Der neue Antikörper verbesserte bei 34 bis 40 Prozent der Patienten sogar das Sehen. Dabei war die 0,5-mg-Dosis wirksamer als die 0,3-mg-Dosis. In einer Studie, in der die Patienten in den ersten drei Monaten einmal monatlich und dann alle drei Monate eine Injektion bekamen, verbesserte sich anfänglich die Sehschärfe und ging nach zwölf Monaten auf das Ausgangsniveau zurück. Auch dies war deutlich besser als nach Scheininjektion. Eine Vergleichsstudie mit Pegaptanib liegt bislang nicht vor.
Die häufigsten Nebenwirkungen bei der Ranibizumab-Therapie sind Augenprobleme wie Schmerzen, Fremdkörpergefühl, Einblutungen, Erhöhung des Augeninnendrucks oder Mouches volantes (»fliegende Mücken«) sowie Kopfschmerzen und Hypertonie. Schwerwiegend, aber selten sind eine Infektion des Augeninneren, Beschädigung der Netzhaut und Katarakt. Die Komplikationsrate ist damit gering, es ist aber zu beachten, dass der Therapieerfolg wohl nicht auf Dauer anhält. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, muss der Patient jeweils drei Tage vor und nach der Behandlung viermal täglich antibiotische Augentropfen eintropfen.