Wenn Getreide krank macht |
19.02.2010 10:19 Uhr |
Von Kerstin Pohl / Schnell zum Bäcker, sich ein Brötchen holen, das geht für Zöliakie-Patienten nicht. Betroffene vertragen das in vielen Getreidesorten enthaltene Gluten nicht und reagieren mit Durchfall, Blähungen oder Erbrechen. Sie müssen ihr Leben lang eine spezielle Diät einhalten.
Die Zöliakie (auch einheimische Sprue oder gluteninduzierte Enteropathie) ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms. Ursache ist eine Unverträglichkeit gegenüber dem im Getreide vorkommenden Klebereiweiß Gluten. Es besteht aus verschiedenen Proteinfraktionen. Als Folge entzünden sich die Schleimhautausstülpungen im Dünndarm, die sogenannten Zotten, die geschädigt werden und sich auf Dauer immer mehr zurückbilden. Dadurch nimmt die Resorptionsoberfläche für Nährstoffe ab, was zu einer Unterversorgung mit wichtigen Nährstoffen führt. Bei längerem, unentdeckten Krankheitsverlauf treten deshalb Vitamin- und Mineralstoffdefizite auf. So besteht häufig ein Mangel an Eisen, Folsäure, Calcium und auch den fettlöslichen Vitaminen D und K.
Unklare Symptome
Der genaue Mechanismus, wie Gluten die Darmschleimhaut schädigt, ist noch nicht geklärt. Die Zöliakie ist keine klassische Nahrungsmittelallergie, aber das Immunsystem ist beteiligt. Es werden sowohl Antikörper gegen Gluten als auch gegen das Darmgewebe gebildet, weshalb die Erkrankung zu den Autoimmunerkrankungen gerechnet wird.
Fest steht, dass es eine genetische Komponente gibt. Die Erkrankung tritt familiär gehäuft auf und wird in betroffenen Familien mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 bis 10 Prozent vererbt. In Europa und Nordamerika geht man laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung von einer Prävalenz von 1:100 bis 1:250 aus.
Wenn die Erkrankung schon bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt, zeigen sich die typischen Symptome: der aufgeblähte Bauch, häufige, massige und übelriechende Stühle, Entwicklungsstörungen, Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsstillstand oder -abnahme. Auffällig ist auch die Wesensveränderung. Die Kinder sind blass, weinerlich oder missmutig und haben kein Interesse am Spielen. Erste Anzeichen für eine Zöliakie treten bereits drei bis sechs Monate nach der Einführung von glutenhaltiger Nahrung beispielsweise in Form von Grieß- oder Vollkornbrei auf. Je älter die Kinder bei Erkrankungsbeginn sind, desto untypischer sind die Symptome, die Erkrankung kann sich dann in Form von Anämie, Obstipation, Zahnschmelzdefekten oder Knochen- und Gelenkschmerzen äußern.
Bei Erwachsenen zeigen einige Patienten das Vollbild einer Zöliakie, während andere zum Teil unspezifische, nicht darmbezogene Symptome entwickeln. Deshalb wird eine Diagnose manchmal erst nach Jahren gestellt. Einige Patienten sind schon 30 bis 40 Jahre alt, wenn die Zöliakie entdeckt wird. Hinweise können beispielweise ein ungeklärter Eisenmangel, Knochenschmerzen mit Osteoporose, Depressionen, Antriebslosigkeit oder eine Arthritis sein.
Dieser Artikel ist Teil der Serie Ernährung.
Die nächste Folge zum Thema »Hauterkrankungen«
erscheint in PZ 10 und ist bereits am Montag, dem 08. März,
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Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, ist neben den Symptomen ein Antikörpernachweis im Blut notwendig. Wenn dabei die zöliakietypischen Antikörper gefunden wurden, erfolgt eine Biopsie der Dünndarmschleimhaut zum endgültigen Nachweis. Dabei werden der Zustand der Dünndarmschleimhaut und der Zottenschwund untersucht. Wichtig hierbei ist, dass die Diagnose vor einer Ernährungsumstellung auf eine strikt glutenfreie Kost erfolgen sollte, da sich sonst der Zustand der Dünndarmschleimhaut bessert und die Antikörpertiter im Blut absinken, was eine Diagnose unmöglich macht.
Lebenslange Diät erforderlich
Eine Zöliakie ist nicht heilbar. Sie lässt sich auch nicht medikamentös, sondern ausschließlich diätetisch behandeln. Da das Getreideeiweiß Gluten der Auslöser ist, müssen sich Zöliakiekranke konsequent und lebenslang glutenfrei ernähren. Deshalb sollten folgende Getreidesorten vom Speiseplan gestrichen werden: Weizen (Gliadin), Dinkel, Grünkern sowie Roggen (Secalin) und Gerste (Hordein). Hafer (Avenin) enthält zwar nur geringe Mengen Gluten, ist aber laut den Empfehlungen der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (DZG) dennoch zu meiden (www.dzg-online.de).
Auch Produkte, die aus diesen Getreidesorten hergestellt werden, sollten nicht verzehrt werden. Hierzu zählen Brot, Gebäck und Kuchen, Nudeln, Getreideprodukte wie Flocken, Keime, Kleie, Mehl, Grieß, Grütze, Graupen, Bulgur, Couscous oder Paniermehl. Glutenhaltig sind auch alle Biersorten, Malzbier, Malzkaffee und -bonbons. Auf all dies zu verzichten, ist schon schwierig genug. Noch komplizierter wird die Ernährung für Betroffene dadurch, dass sich Gluten in vielen Produkten »versteckt«, in denen man es nicht unbedingt vermutet.
So kann es beispielsweise in Fertigsuppen und -soßen, Fischkonserven, Wurstwaren, Schmelzkäse, Tomatenketchup, Schokolade und anderem verarbeitet sein. Zwar sind die Hersteller seit der Kennzeichnungsverordnung von 2005 verpflichtet, allergieauslösende Zutaten zu deklarieren, zu denen auch Gluten zählt. Doch diese Kennzeichnungsverpflichtung beinhaltet nicht die Verunreinigung von Lebensmitteln bei der Produktion oder Lagerung. Deshalb verwenden Hersteller Warnhinweise wie »kann Spuren von ... enthalten«. Für Apotheker ist relevant, dass Gluten auch in Medikamenten enthalten sein kann.
Dem Betroffenen hilft in allen Fällen nur der sorgfältige Blick auf die Zutatenliste der Lebensmittel und bei Medikamenten der Hinweis des Apothekers. Hilfreich sind auch die Listen glutenfreier Fertigprodukte und Arzneimittel, die jährlich von der DZG aktualisiert und bei Bedarf dort angefordert werden können.
Eine glutenfreie Kost sollte strikt und lebenslang eingehalten werden, auch wenn sich die Darmschleimhaut bei einer solchen Ernährung vollständig regeneriert und die Symptome gänzlich verschwinden. Denn wenn die Diät wieder »gelockert« wird, können auch kleinste Mengen Gluten einen Rückfall auslösen. Dies bedeutet nicht nur, dass akute Symptome einsetzen, auch die Gefahr, dass sich als Spätkomplikation bösartige Tumore im Gastrointestinaltrakt entwickeln, steigt.
Da das Enzym Lactase von den Zellen der Dünndarmschleimhaut gebildet wird, geht die Zöliakie häufig mit einer Lactoseintoleranz einher (siehe dazu Nahrungsmittelintoleranzen: Keine Angst vor Milch und Früchten, PZ 6/2010). Diese Milchzuckerunverträglichkeit legt sich meist, wenn sich die Schleimhaut bei einer glutenfreien Kost wieder erholt. Deshalb sind zu Anfang der Diät meist nur kleine Mengen Lactose verträglich. Um einer Calcium-Unterversorgung vorzubeugen, müssen Betroffene darum besonders auf eine ausreichende Zufuhr des Mineralstoffs achten (siehe dazu Osteoporose und Ernährung: Knochenstarke Kost, PZ 32/2009). Hierfür sind calciumreiche Mineralwässer, angereicherte Fruchtsäfte und Calciumpräparate geeignet.
Darüber hinaus können oft das Nahrungsfett und damit die fettlöslichen Vitamine von der geschädigten Darmschleimhaut nicht ausreichend aufgenommen werden. Die Folge sind Fettstühle (Steatorrhoe). Betroffene können dann auf Spezialfette, die sogenannte MCT-Fette, ausweichen, die besser resorbierbar sind (siehe dazu Chronische Darmerkrankungen: Mangelversorgung vermeiden, PZ 38/2009).
Uneingeschränkt erlaubt
Trotz der Einschränkungen bei einer Zöliakie sollten sich Betroffene möglichst abwechslungsreich ernähren, um den Bedarf an essenziellen Nährstoffen zu decken. Auch wenn manche Lebensmittel tabu sind, können andere uneingeschränkt verzehrt werden. Dazu zählen die unverarbeiteten Grundnahrungsmittel Obst, Gemüse, Kartoffeln, Reis, Fleisch und Fisch. Auch Milch und Milchprodukte, Eier, Nüsse und Samen sind glutenfrei, ebenso wie Honig, Zucker, Sirup, Marmeladen, Pflanzenöle und Margarine.
Alternativen zu glutenhaltigem Getreide stellen Kartoffeln, Reis, Mais, Hirse, Buchweizen, Quinoa, Amaranth, Esskastanien und Soja dar. Bei Wildreis ist noch umstritten, ob er glutenhaltig ist oder nicht. Als Ersatz für Weizenmehl und -stärke können beispielsweise Johannisbrotkern- und Sojamehl sowie Mais-, Kartoffel- und Reisstärke verwendet werden. Beim Backen können statt Mehl auch geriebene Nüsse oder Mandeln eingesetzt werden. Zudem gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von glutenfreien Spezialprodukten für Patienten mit Zöliakie, wie beispielsweise Brote, Kekse, Nudeln, Pizzaboden und Mehlmischungen für verschiedene Brotarten. Sie unterliegen der Diätverordnung und somit einer besonderen Sorgfaltspflicht bei der Produktion. Die Produkte sind an einem Symbol mit durchgestrichener Weizenähre oder dem Aufdruck »glutenfrei« zu erkennen.
Neben der sorgfältigen Auswahl der Lebensmittel ist auch auf eine entsprechende Zubereitung und Lagerung zu achten, um zu verhindern, dass glutenfreie Speisen mit herkömmlichem Mehl verunreinigt werden. So müssen Arbeitsflächen und -geräte gründlich gereinigt werden und ausschließlich für die Herstellung von glutenfreien Speisen genutzt werden. Glutenfreie Brote, Zutaten und Backwaren sollten getrennt von »normalem« Brot und Mehl gelagert werden.
Prävention möglich
Bei der Entwicklung einer Zöliakie spielt die frühkindliche Ernährung offenbar eine wichtige Rolle. Studien legen nahe, dass Stillen einen präventiven Charakter hat. Die DGE empfiehlt deshalb, glutenhaltige Beikost nicht vor dem 6. Lebensmonat zu geben. Neue Studien zeigen, dass bei Säuglingen mit einer genetischen Disposition die Einführung von Gluten zwischen dem 4. und 6. Monat günstig ist, solange noch gestillt wird. Deshalb empfiehlt das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund (FKE) auch, glutenhaltige Beikost in kleinen Mengen einzuführen, bevor abgestillt wird. /
Literatur
Biesalski, H.-K., Ernährungsmedizin, Georg Thieme Verlag (2004)
Hiller, A., Zöliakie, Mehr wissen, besser verstehen, Trias Verlag (2006)
DGE-Infothek: Essen und Trinken bei Zöliakie (2007)
DGE-Beratungsstandards (2007)
DGE-Info, Ernährungstherapie bei Zöliakie (11/2009)
DGE-Info, Prävention der Zöliakie und frühkindliche Ernährung (06/2008)