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Kolorektalkarzinom

Neue Waffen im Kampf gegen den Krebs

08.04.2008  17:26 Uhr

Kolorektalkarzinom

Neue Waffen im Kampf gegen den Krebs

Von Karin Bracht

 

Der März ist auch im Jahr 2008 als Aktionsmonat dem Darmkrebs gewidmet. Dies bietet eine gute Gelegenheit, um Patienten und Kunden zu informieren und ihnen dabei auch die Angst vor Früherkennungsuntersuchungen zu nehmen.

 

Darmkrebs ist bei Männern und Frauen die zweithäufigste maligne Erkrankung, mit einem Anteil von 16,3 beziehungsweise 17,4 Prozent an allen Krebsneuerkrankungen im Jahr 2002. Dies entspricht etwa 71.400 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland (1) und etwa 670.000 pro Jahr weltweit (2). Auch bei den Krebssterbefällen ist das kolorektale Karzinom mit 12,8 Prozent bei Männern und 14,9 Prozent bei Frauen die zweithäufigste Todesursache (1). Durchschnittlich werden die Betroffenen mit 69 (Männer) und 75 (Frauen) Jahren diagnostiziert. Es handelt sich also um eine vergleichsweise spät auftretende Erkrankung. Bei familiärer Veranlagung manifestiert sich das kolorektale Karzinom oft bereits in der ersten Lebenshälfte.

 

Während die Inzidenzrate in den letzten 30 Jahren kontinuierlich zugenommen hat und sich nun auf einem relativ stabilen Plateau befindet, ist die Mortalität stetig gesunken (1). Hierin spiegelt sich der Erfolg wider, der mit Früherkennung und verbesserten Behandlungsstrategien erzielt wurde. Derzeit überleben 56 Prozent der Erkrankten die ersten fünf Jahre nach Diagnosestellung; die Rate kann jedoch je nach Schweregrad der Erkrankung zwischen 8 und 93 Prozent liegen (3).

 

Fast alle kolorektalen Tumoren gehören zu den Adenokarzinomen, das heißt es handelt sich um Gewebewucherungen, die von drüsenhaltigen Epithelialgeweben oder Schleimhäuten ausgehen. Sie sind zunächst als polypöse Masse erkennbar, bevor sie in die Darmwand infiltrieren und durch sie hindurch ins Lymphsystem gelangen. Dort werden zunächst lokale, später auch entfernte Lymphknoten befallen. Schließlich entstehen Metastasen (2, 4). Es wird dabei die Sequenz normales Gewebe - benigner Polyp - Adenom - Karzinom - Metastasen durchlaufen (5). Auf dieser Reihenfolge pathologischer Merkmale basiert auch das Staging.

 

1932 wurde die sogenannte Dukes-Klassifikation eingeführt und als Astler-Coller-System weiterentwickelt, das in die Stadien A bis D unterscheidet. Dieses wird heute noch verwendet, jedoch durch die präzisere TNM-Klassifikation zunehmend verdrängt (Tabelle 1). Sie unterteilt die Stadien I bis IV und beruht auf der Betrachtung des Tumors (T), der Lymphknoten (N, nodal) und vorhandener Metastasen (M). Diese Kategorien sind weiter unterteilt je nach Eindringtiefe des Tumors in die Darmwand, die Anzahl der betroffenen Lymphknoten und das Vorliegen entfernter Metastasen (3, 6). Eine genaue Einstufung eines Karzinoms ist meist erst nach einem chirurgischen Eingriff und der Begutachtung des entnommenen Gewebes durch den Pathologen möglich.

Tabelle 1: Staging kolorektaler Karzinome; nach (3, 6). Erläuterungen im Text

TNM-Einteilung TNM-Einteilung Dukes Definition relatives FJÜ
(in Prozent)
T0, N0, M0 frühestes Stadium; der Tumor befindet sich nur in der Mucosa (intramukosales Karzinom)
I T1 oder T2, N0, M0 A Wachstum bis in die Submucosa oder die daran anschließende Muskelschicht, keine Lymphknoten betroffen, keine Metastasen 93
IIA T3, N0, M0 B Wachstum durch die gesamte Darmwand, keine Lymphknoten betroffen, keine Metastasen 85
IIB T4, N0, M0 B Wachstum bis in das den Darm umgebende Gewebe, keine Lymphknoten betroffen, keine Metastasen 72
IIIA T1-2, N1, M0 C Wachstum bis in die Submucosa oder die daran anschließende Muskelschicht, 1 bis 3 Lymphknoten befallen, keine Metastasen 83
IIIB T3-4, N1, M0 C Wachstum durch die gesamte Darmwand oder bis in das umliegende Gewebe, 1 bis 3 Lymphknoten befallen, keine Metastasen 64
IIIC T1-4, N2, M0 C 4 oder mehr Lymphknoten befallen, keine Metastasen 44
IV T1-4, N1-2, M1 D Metastasen in entfernten Geweben wie Leber, Lunge, Peritoneum, Ovarien 8

FJÜ: Fünf-Jahres-Überleben

Über die Häufigkeit der Lokalisation im Darm gibt es in der Literatur unterschiedliche Angaben. Es steht aber fest, dass mehr als die Hälfte der kolorektalen Karzinome im Sigma-Rektum-Abschnitt entstehen.

 

Die Symptome zu Beginn der Erkrankung sind unspezifisch: Diarrhö und/oder Konstipation, unerklärter Gewichtsverlust, Schwäche, Flatulenz, Anämie, abdominale Schmerzen und Krämpfe oder okkultes (»verstecktes«) Blut im Stuhlgang. Alle Beschwerden können auch durch weniger bedrohliche Krankheiten verursacht werden Bei fortgeschrittener Darmkrebs-Erkrankung kann es jedoch zu einem Ileus oder einer Peritonitis infolge einer Darmperforation kommen (3, 6, 7).

 

Screening zeigt frühe Tumoren

 

Die Symptome machen sich teilweise erst nach einem Krankheitsverlauf von mehr als zehn Jahren bemerkbar. Wie wichtig eine rechtzeitige Diagnosestellung ist, zeigen die relativen Fünf-Jahres-Überlebensraten (Tabelle 1). Keine andere Krebsart kann in frühen Stadien so gut geheilt werden wie Darmkrebs. Jedoch wird nur etwa ein Zehntel aller Erkrankungen im Stadium Dukes A diagnostiziert (6). Daher wurde in den letzten Jahren immer mehr Wert auf die Früherkennung, das Screening, gelegt (8).

 

Regelmäßiges Screening kann das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, um 16 Prozent reduzieren (9). Das älteste Verfahren ist der Test auf okkultes Blut im Stuhl (FOBT), den die gesetzlichen Krankenkassen bei Männern und Frauen zwischen 50 und 55 Jahren einmal jährlich bezahlen. Da der Nachweis auch noch möglich ist, wenn die Proben getrocknet sind, kann man sie zu Hause in privater Umgebung sammeln. Es werden mehrere Stuhlproben über einige Tage entnommen, um sicherzustellen, dass die nicht permanent blutenden Läsionen auch gefunden werden. Der Test wird anschließend zur Auswertung an ein Labor gesandt. Dieses Verfahren erhöht sicherlich die Akzeptanz und Compliance der Patienten. Der jährliche FOBT alleine reduziert die Darmkrebsmortalität um etwa 20 Prozent (10).

 

Darüber hinaus haben Versicherte ab 55 Jahren seit 2002 das Anrecht auf eine Koloskopie alle zehn Jahre. Hierbei untersucht ein spezialisierter Arzt den gesamten Dickdarm endoskopisch und kann eventuelle Polypen, die Frühstadien der Erkrankung, direkt entfernen. Diese äußerst effektive Methode kann die Mortalität um etwa 75 Prozent reduzieren (10). Dabei muss man beachten, dass diese sehr guten Ergebnisse in gezielten Studien gewonnen wurden, die durch eine bessere Screeningrate und geringere Drop-out-Quote der Probanden naturgemäß bessere Resultate erbringen. Leider ist die Koloskopie bei den Patienten höchst unbeliebt. So haben sich zum Beispiel in Hessen laut Kassenärztlicher Vereinigung nur knapp 9 Prozent der berechtigten Männer und gut 10 Prozent der berechtigten Frauen seit Oktober 2002 diesem Eingriff unterzogen (11).

 

Die Koloskopie wird bei Bedarf unter Analgesie, Sedation und muskelrelaxierender Medikation (12) in circa 15 bis 30 Minuten durchgeführt und verliert bei angemessener Aufklärung hoffentlich ihren Schrecken. Die Vorteile überwiegen deutlich die Risiken: Blutungen 1:100, Perforation der Darmwand 1:1500 und Tod 1:10.000 (9).

 

Personen mit erhöhtem Risiko sollten sich früher zu diesen Maßnahmen entschließen. Ein überdurchschnittlich hohes Risiko besteht bei früherer Erkrankung an Darmkrebs oder adenomatösen Polypen, für Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, bei familiärer Vorbelastung oder dem Nachweis von erblichen Darmkrebssyndromen in der Familie (3, 5). Als erblich belastet gilt, wer Verwandte ersten Grades hat, bei denen im Alter unter 60 Jahren Darmkrebs oder Polypen diagnostiziert wurden, oder bei betroffenen Verwandten zweiten Grades unabhängig vom Alter bei der Diagnose. Zu einem allgemeinen Test auf Mutationen wird derzeit noch nicht geraten. Diese Form des Screenings wird jedoch teilweise bei erblichen Kolorektalkarzinomen angewandt (4).

 

Stahl und Strahl

 

Wie bei fast allen Krebserkrankungen ruht auch beim kolorektalen Karzinom die Therapie auf den drei Säulen Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Im Vordergrund, vor allem bei kurativem Ansatz, steht die Operation (2). Unter Öffnung der Bauchhöhle wird das Tumorgewebe bei größtmöglicher Schonung des gesunden Gewebes möglichst vollständig entfernt. Dazu ist eine genaue Diagnosestellung unter Zuhilfenahme von endoskopischen, bildgebenden und sonografischen Methoden nötig (7, 13). Wenn die Tumoren noch sehr klein und entsprechend günstig lokalisiert sind, ist auch eine minimal-invasive Laparoskopie oder ein transanaler Eingriff möglich (2, 14).

 

Weitere Operationen können bei einem metastasierten Karzinom erforderlich sein. So kann die Entfernung eines Leberlappens bei immerhin 30 Prozent der Patienten kurativ sein, wenn die Metastasen auf diesen Lappen begrenzt sind (2). Die 30-Tage-Gesamtmortalität nach Operation liegt bei etwa 10 Prozent; dies schließt auch jene Notfalleingriffe ein, die mit einem für den Patienten größeren Risiko behaftet sind und zumeist in fortgeschrittenem Krankheitsstadium nötig werden (15).

 

Karzinome der Klassifikation Dukes C und D sollten zusätzlich mit adjuvanter Chemotherapie behandelt werden (13), sofern nicht zwingende Kontraindikationen vorliegen. Im Stadium Dukes B erfolgt die Therapie nach individueller Nutzen-Risiko-Abschätzung. Dabei schließt sich eine medikamentöse Behandlung an die operative Tumorentfernung an, um die Entwicklung von Rezidiven und Metastasen zu verhindern, die aus Mikro-Metastasen entstehen können (2).

 

Sofern möglich sollten die Patienten in klinische Studien aufgenommen werden. Zum einen können sie hier von innovativen Therapieansätzen und strenger Qualitätskontrolle in verschiedenen Zentren profitieren, zum anderen ermöglichen größere Fallzahlen in den Studien genauere Aussagen über das Studienergebnis und sind somit vorteilhaft für das Kollektiv der Patienten.

 

Die Radiotherapie, sowohl adjuvant als auch neo-adjuvant und in Kombination mit Chemotherapie, wird vor allem bei rektalen Karzinomen eingesetzt, da hier aufgrund schwierigerer Operationsbedingungen und relativ einfacherer Ausbreitung des Tumors die Gefahr von Rezidiven deutlich größer ist (2). Dabei kommen sowohl kürzere (25 Gy in fünf Behandlungen in einer Woche) als auch längere (40 bis 45 Gy in 20 bis 25 Behandlungen über vier bis fünf Wochen) Bestrahlungszyklen vor dem chirurgischen Eingriff zum Einsatz (13). Das zuletzt genannte Schema wird auch postoperativ empfohlen. Eine kombinierte adjuvante Radio-Chemo-Therapie kann zu einer etwa 30 Prozent höheren Heilungsrate führen (20).

 

Etablierte Chemotherapien

 

Zur Behandlung kolorektaler Tumoren steht eine Reihe von etablierten und neueren Arzneistoffen zur Verfügung (Tabelle 2).

Tabelle 2: Profile der zur Darmkrebsbehandlung eingesetzten Chemotherapeutika

Arzneistoff (INN), Handelsname (Beispiel) Wirkung Zulassung Dosierung Nebenwirkungen
5-Fluorouracil (5-FU), Neofluor® Hemmung der DNA-Synthese fortgeschrittenes/ metastasiertes kolorektales Karzinom, adjuvante Therapie im Stadium III nach Resektion des Primärtumors 370 bis 600 mg/m2 KOF als i. v. Bolus; 200 bis 700 mg/m2 KOF als i. v. Infusion; Calciumfolinat Alopezie, Hand-Fuß-Syndrom, Enzephalopathien, Mukositis, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Leberschäden, Myelosuppression
Tegafur, UFT (Tegafur + Uracil) 5-FU-Prodrug metastasiertes kolorektales Karzinom 300 mg/m2 KOF p. o. Schwäche, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Myelosuppression, Alopezie, Leberfunktionsstörungen
Capecitabin, Xeloda® 5-FU-Prodrug adjuvante Therapie im Stadium III nach Resektion des Primärtumors, Firstline-Monotherapie bei meta-stasierendem Kolorektalkarzinom 2500 mg/m2 KOF verteilt auf zwei Gaben p. o. über 14 Tage Anorexie, Diarrhö, Erbrechen, veränderte Leberfunktion, Myelosuppression, Hand-Fuß-Syndrom
Oxaliplatin, Eloxatin® DNA-Querver­netzun­gen Kombination mit 5-FU/Folinsäure bei metastasiertem koloretalen Karzinom und adjuvant im Stadium III 85 mg/m2 KOF als i. v. Infusion allergische Reaktionen, Neuropathien, Übelkeit, Erbrechen, Mukositis, Diarrhö, Myelosuppression, Ototoxizität
Irinotecan, Campto® Hemmung der Topoisomerase I und dadurch Störung der DNA-Replikation Kombination mit 5-FU/Folinsäure bei fortgeschrittenem metastasierten kolorektalen Karzinom ohne vorhergehende Chemotherapie, als Monotherapie bei Nicht-Ansprechen auf 5-FU 180 mg/m2 KOF als i. v. Infusion bei Kombinationstherapie, 350 mg/m2 KOF als i. v. Infusion bei Monotherapie schwere Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Myelosuppression, Leberfunktionsschäden, Alopezie, akutes cholinerges Syndrom
Cetuximab, Erbitux® monoklonaler chimärer Antikörper gegen EGFR (epidermal growth factor receptor) Kombination mit Irinotecan bei EGFR-exprimierendem Dick-/Mastdarmkrebs bei Nicht-Ansprechen auf Irinotecan-haltige Therapie; plus Antihistaminikum initial 400 mg/m2 KOF als i. v. Infusion, danach 250 mg/m2 KOF; einmal wöchentlich Konjunktivitis, Hautreaktionen, Nagelveränderungen, Übelkeit, Erbrechen, Transaminasenanstieg, Atemnot
Bevacizumab, Avastin® monoklonaler humanisierter Antikörper gegen VEGF (vascular endothelial growth factor) Kombination mit (Irinotecan), 5-FU/Folinsäure als Firstline-Therapie bei metastasiertem kolorektalen Karzinom 5 mg/kg KG alle 14 Tage als i. v. Infusion Magen-Darm-Perforation, Blutungen, Thromboembolien, Diarrhö, Übelkeit, Schmerzen, Hypertonie, Proteinurie
Panitumumab, Vectibix® rekombinanter, humaner monoklonaler Antikörper gegen EGFR Monotherapie bei metastasiertem EGFR-exprimierenden Kolorektal-karzinom mit KRAS-Wildtyp-Gen nach Versagen klassischer Chemotherapie 6 mg/kg KG einmal alle 14 Tage als i. v. Infusion Hautreaktionen, Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Hypomagnesiämie/-kalzämie/-kaliämie, Husten, Kopfschmerzen, Konjunktivitis, Scheimhautentzündungen

nach (18, 51); die genaue Dosierung richtet sich nach dem jeweiligen Behandlungsprotokoll; KOF: Körperoberfläche, KG: Körpergewicht

Das am häufigsten verwendete und am längsten etablierte Chemotherapeutikum ist 5-Fluorouracil (5-FU) in Kombination mit Folinsäure (Leucovorin). Der Antimetabolit, der eine Hemmung der DNA-Synthese verursacht (16), wird dabei entweder alle vier Wochen an fünf aufeinander folgenden Tagen oder einmal wöchentlich, jeweils über sechs Monate verabreicht (2). Da die perorale Gabe in stark schwankenden Plasmaspiegeln resultiert, wird gewöhnlich die intravenöse Bolusinjektion bevorzugt.

 

Seit einiger Zeit werden auch der Platinkomplex Oxaliplatin und der Topoisomerase-I-Hemmer Irinotecan eingesetzt. Die zusätzliche Applikation von Oxaliplatin zu einer 5-FU/Folinsäure-Therapie hat die Rezidivrate statistisch signifikant um 24 Prozent vier Jahre nach Abschluss der Therapie reduziert (17).

 

Capecitabin und Tegafur sind die peroral verfügbaren Prodrugs von 5-FU und in ihrer klinischen Effektivität mit 5-FU gleichwertig. Sie werden wie Oxaliplatin in der adjuvanten Therapie bei Dukes C oder als First-line-Monotherapie beim metastasierten Kolorektalkarzinom eingesetzt (17, 18). Der Vorteil beider Wirkstoffe liegt vor allem in der peroralen Applikation. Tegafur wird neben Folinsäure auch im Verhältnis 1:4 mit Uracil kombiniert, was die schnellere Metabolisierung von 5-FU zu unwirksamen Metaboliten verhindern soll (16). Capecitabin als Nukleosidanalogon wird vor allem im Tumorgewebe in die aktive Wirkform umgewandelt, da die beteiligten Enzyme hier in höherer Konzentration vorkommen (16).

 

Neuere Arzneistoffe sind die beiden monoklonalen Antikörper Bevacizumab und Cetuximab, die immer mit klassischen Zytostatika kombiniert werden. Bevacizumab ist ein humanisierter Antikörper gegen den von den Zellen sezernierten VEGF (Vascular endothelial growth factor). Seit Januar 2005 ist er in Deutschland für Patienten mit nicht vorbehandeltem metastasierten Darmkrebs zugelassen; der Antikörper wird dabei mit 5-FU/Folinsäure sowie gegebenenfalls Irinotecan infundiert. Durch die Bindung an VEGF wird der Angiogenese, also der Neubildung von Blutgefäßen, ihr wichtigster Faktor entzogen und dem Tumor die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen abgeschnitten. Das Karzinomwachstum wird dadurch gehemmt und die Bildung von Metastasen eingeschränkt (5).

 

Cetuximab ist ein chimärer monoklonaler Antikörper gegen den Endothelial growth factor receptor (EGFR) (19). Durch eine »Neutralisation« des Rezeptors können die Signale von Wachstumsfaktoren nicht weitergeleitet werden; es kommt zur Hemmung des Tumorwachstums. In Deutschland ist der Antikörper in Kombination mit Irinotecan bei Patienten mit fortgeschrittenem Darmkrebs in der Zweit- oder Drittlinientherapie zugelassen. In den USA wird Cetuximab bereits in der Monotherapie des metastasierten Kolonkarzinoms eingesetzt.

 

Bei stark fortgeschrittener Krankheit kann eine palliative Radio- und/oder Chemotherapie in Betracht gezogen werden, wenn diese für den Patienten einen Nutzen hinsichtlich Schmerzfreiheit, Lebensqualität oder Lebenszeit bietet (13).

 

Postoperative Nachsorgeuntersuchungen tragen dazu bei, Rezidive und Metastasen rechtzeitig, möglichst im operablen Stadium zu erkennen und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Im ersten Jahr nach der Therapie erfolgt die Überwachung engmaschiger (FOBT, Koloskopie, Röntgenaufnahmen, Computertomografie), danach werden die Zeitabstände größer (14).

Abkürzungen

AKT: Proteinkinase B

APC: adenomatous polyposis coli, Tumorsuppressor-Gen

BLM: Bloom-Gen, kodiert eine Helicase

BRAF: Protoonkogen, kodiert eine Serin-Threonin-Proteinkinase

EGFR: Epidermal Growth Factor Receptor

FAP: Familial adenomatous polyposis

Fz: Frizzled (Wnt-Rezeptor)

HNPCC: Hereditary non-polyposis colorectal cancer

KRAS: Onkogen, kodiert die GTPase Kras

MSI: Mikrosatelliteninstabilität

p53: Tumorsuppressor-Gen, kodiert das Tumorprotein 53

PI3K: Phosphoinositol-3-Kinase

PTEN: Phosphatase and Tensin Homolog; Phosphatase

RTK: Rezeptor-Tyrosin-Kinase

STK11: Serin-Threonin-Proteinkinase

Wnt: »wingless and NT1«, Ligand

Genetische Grundlagen

 

Insgesamt 65 bis 85 Prozent aller kolorektalen Karzinome treten spontan auf, das heißt es liegt keine vererbte Ursache zugrunde. Jedoch sind viele genetische Risikofaktoren bekannt und etwa zehn Prozent der Darmkrebserkrankungen werden durch vererbbare Mutationen verursacht (4, 21). Zu diesen vererbbaren Erkrankungen zählen (21):

 

FAP (familiäre adenomatöse Polyposis): etwa 1 Prozent aller Darmkrebserkrankungen; charakteristisch sind eine Vielzahl von Polypen, das Auftreten der Erkrankung in der ersten Lebenshälfte und eine Mutation im APC-Tumorsuppressor Gen;

HNPCC (hereditärer nicht-polypöser

Kolorektalkrebs): etwa 2 bis 10 Prozent aller Darmkrebserkrankungen; tritt ebenfalls in der ersten Lebenshälfte auf; Hauptursache sind Verluste der DNA-Reparaturfähigkeit;

Peutz-Jeghers-Syndrom: eine Vielzahl präkanzeröser und benigner Polypen, vor allem im Dünndarm, treten bereits in der ersten Lebenshälfte auf; 70 Prozent der Patienten tragen eine Mutation im STK11-Gen;

Bloom-Syndrom: durch Mutationen im BLM-Gen verursachter Verlust der chromosomalen Integrität; geht einher mit weiteren Merkmalen wie mentaler Retardiertheit, chronischen Lungenproblemen, Diabetes und eingeschränktem Immunsystem.

 

Sowohl bei sporadischen als auch bei familiären Kolorektalkarzinomen werden Veränderungen in den wichtigsten Signalwegen innerhalb der Zellen gefunden. Bei erblichen Erkrankungen sind zumeist Tumorsuppressor-Gene mutiert, bei spontanen Erkrankungen spielen Mutationen in den Onkogenen eine größere Rolle (4).

 

Wnt-Signalweg: Durch Bindung des Wnt-Liganden (»wnt« wird wie »Wind« gesprochen) an seinen Rezeptor Fz kommt es zur Zerstörung eines intrazellulären Komplexes, an dem APC, Axin und β-Catenin beteiligt sind. Dadurch kann freies β-Catenin in den Zellkern gelangen und dort die Übersetzung von Zielgenen aktivieren, die die Zellproliferation und Metastasenbildung bewirken und die Apoptose verhindern. Mutationen in Axin, APC oder β-Catenin fördern diesen Signalablauf. Durch die Ubiquitinierung und Degradierung von β-Catenin kann die Kaskade unterbrochen werden (22-24).

Ras-Raf-Mek-Erk-Signalweg: Dieser Ablauf wird auch MAP-Kinase-Weg genannt. Es handelt sich um ein System aus nacheinander geschalteten Kinasen, das nach der Bindung eines Wachstumsfaktors an seinen Rezeptor (RTK) aktiviert wird und durch Phosphorylierung des nachgeschalteten Partners diesen jeweils aktiviert. Die Signale enden ebenfalls in der Expression wachstumsfördernder, antiapoptotischer proinvasiver Gene. Aktivierende Mutationen in diesem System simulieren meist die Phosphorylierung einer der Kinasen und bewirken somit eine Dauerstimulation der Kaskade (25-27).

PI3K-(Phosphoinositol-3-Kinase)-Signalweg: PI3K ist als Lipidkinase an der Phosphorylierung von Phosphoinositol beteiligt. Im weiteren Verlauf kommt es zur Aktivierung von AKT und darüber zur Hemmung proapoptotischer Signale, zur Induktion der Zellproliferation und zur malignen Transformation (28). Aktivierende Mutationen in PI3K, die Überexpression von AKT und der Verlust der PTEN-Funktion (wirkt als Phosphatase als Gegenspieler zur PI3K) durch Mutationen sind die häufigsten Veränderungen in dieser Signalkaskade (29-31).

 

Daneben gibt es sowohl zahlreiche weitere Signalwege als auch Feedback-Schleifen oder Cross-talk zwischen den Kaskaden: So kann beispielsweise aktiviertes Ras auch PI3K aktivieren. Momentan arbeiten Forscher intensiv daran, diese Zusammenhänge zu verstehen und gezielte Eingriffsmöglichkeiten zu entwickeln.

 

Es gilt als erwiesen, dass eine Vielzahl von Mutationen nötig ist, um die Verwandlung einer normalen Zelle in eine Krebszelle zu bewirken. So fanden Forscher, dass kolorektale Karzinome durchschnittlich Mutationen in 90 verschiedenen Genen aufweisen (4). Es wird angenommen, dass diesen unterschiedliche Bedeutung zukommt und die Summe der Mutationen den Phänotyp der Erkrankung bestimmt.

 

Der »klassische Weg« der Tumorentstehung wird mit der Adenom-Karzinom-Sequenz beschrieben: Durch eine Serie von Mutationen in den Genen für APC, KRAS, p53 und weiteren kommt es zur Umwandlung von normalem Gewebe in ein Karzinom (32, 33). Daneben ist in den letzten zehn Jahren auch ein alternativer Ablauf beschrieben worden, der »serrated type« oder auch »MSI-pathway«. Das Wort »serrated« steht für »verzahnt« oder auch »gezackt« und bezieht sich auf histopathologische Muster innerhalb des Tumors (34). Dieser Tumortyp wird ebenfalls in diverse Unterformen unterteilt. Charakteristisch sind Mikrosatelliten-Instabilität (MSI), die zumeist durch eine Hypermethylierung des MLH1-Gens und Mutationen in BRAF verursacht wird (8, 34-37).

 

Beim »klassischen« tubulären Kolonkarzinom werden dagegen vor allem KRAS-Mutationen und eine Dysregulierung des Wnt-Signalwegs durch Mutationen im APC-Gen gefunden. Diese Erkenntnisse zeigen die Heterogenität der Erkrankung.

 

Neue Arzneistoffentwicklungen

 

Auch beim Kolonkarzinom wurde eine Vielzahl von Resistenzmechanismen entdeckt: Expression antiapoptotischer Proteine und Membrantransporter, Hypoxie und geringe Erreichbarkeit des Tumors für den Arzneistoff durch mangelnde Blutgefäßbildung (38-40). Daneben dürften die Querverbindungen zwischen den Signalwegen dazu beitragen, dass die Zellen bei Blockade eines Signalwegs durch die Therapie auf andere Kaskaden umschalten und dadurch ihr eigenes Überleben sowie Proliferation und Invasion des Tumors sicherstellen.

 

Mit Panitumumab wurde Anfang Dezember 2007 ein weiterer EGFR-Antikörper in der EU zur Behandlung des metastasierten Kolonkarzinoms zugelassen (Tabelle 2). Aufgrund der wenigen verfügbaren Daten hat die EMEA zunächst nur eine bedingte Zulassung für den bereits seit 2006 in den USA verwendeten humanen monoklonalen Antikörper ausgesprochen (41). Der Einsatz ist bisher nur bei Vorhandensein des KRAS-Wildtyps zugelassen, da bei einer Mutation dieses Gens der Ras-Raf-Mek-Erk-Signalweg stark aktiviert ist, auch wenn der EGFR-Rezeptor blockiert wird.

 

Weitere Anstrengungen konzentrieren sich vor allem darauf, Kinase-Inhibitoren für Eingriffe in die wichtigen Signaltransduktionskaskaden zu finden. Jeder große Pharmakonzern ist auf der Suche nach einem sowohl für Krebszellen als auch für eine bestimmte Kinase spezifischen Inhibitor, der eine selektive und nebenwirkungsarme Therapie ermöglichen könnte. Erste klinische Studien sind bereits auf dem Weg (31, 42, 43).

 

Unter www.clinicaltrials.gov sind momentan etwa 60 klinische Studien für Darmkrebspatienten in Deutschland gelistet; die Hälfte davon rekrutiert noch weitere Teilnehmer. Das Spektrum reicht von photodynamischer Therapie über Antikörper bis zu kleinen Molekülen. Die Antikörper sind zum Beispiel Labetuzumab (radioaktiv markierter anti-CEA) oder ImA33 (anti-A33). Bei den kleinen Molekülen findet man Pemetrexed, das die DNA-Synthese durch Hemmung von drei Enzymen verhindert und bereits bei Lungenkrebs verwendet wird. Vatalanib und Cediranib sind VEGFR-Inhibitoren (44).

 

Präventionsmaßnahmen

 

Risikofaktoren wie Alter, familiäre Vorbelastung oder entzündliche Darmerkrankungen kann der Mensch durch sein Verhalten nicht beeinflussen. Dennoch kann er durch eine angemessene und gesunde Lebensführung dem Darmkrebs vorbeugen (4, 8, 21).

 

Ernährung: Rotes Fleisch und Fett möglichst vom Speiseplan streichen und den Anteil an Gemüse und Ballaststoffen erhöhen. Auf ausreichende Folatversorgung ist zu achten.

Sport: Mangel an Bewegung kann das Erkrankungsrisiko erhöhen.

Gewicht: Übergewicht stellt einen Risikofaktor dar.

Rauchen und Alkoholkonsum: Diese bergen besonders in der Kombination und bei geringer Folatzufuhr ein erhöhtes Risiko (45).

 

Daneben wird in der Fachpresse immer wieder der Nutzen von Antioxidantien (β-Caroten, Vitamin C, Vitamin E) diskutiert, konnte jedoch in seriösen Studien bislang nicht nachgewiesen werden (4). Die chemopräventive Gabe von Folinsäure und Calcium hat die Inzidenz kolorektaler Karzinome dagegen nachweislich verringert (8).

 

Im Fokus der Forscher steht derzeit Celecoxib, ein »selektiver« Inhibitor der Cyclooxygenase-2 (COX-2). Dies liegt vor allem daran, dass im Gewebe kolorektaler Karzinome häufig eine Überexpression der COX-2 gefunden wird und alle drei genannten Signalwege auch durch COX-2 aktiviert werden können; hierdurch kommt es zur Wachstumsanregung, Verhinderung der Apoptose, Angiogenese, Migration und Invasion (46, 47). So wurde in großen Studien eine signifikant geringere Bildungsrate von Adenomen nachgewiesen, wenn die Patienten regelmäßig Celecoxib einnahmen. Die Studien wurden jedoch aufgrund des erhöhten Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen abgebrochen (4, 8). Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Chemoprotektion für bestimmte Hochrisikogruppen trotz der Nebenwirkungen durchsetzen oder zur Entwicklung neuer Arzneistoffe führen kann.

 

Vor dem Hintergrund einer erhöhten COX-2-Aktivität wurde auch die Acetylsalicylsäure als Chemoprotektivum wieder untersucht (46). ASS scheint zumindest das Risiko für COX-2-überexprimierende Tumoren signifikant zu reduzieren (48, 49), wobei eine minimale Einnahmedauer und Dosis zu bestehen scheinen, ab der protektive Effekte zu verzeichnen sind. Daneben werden weitere COX-unabhängige Wirkmechanismen für ASS diskutiert (50).

 

Vielfältige Forschungen

 

In den letzten 20 Jahren haben Forscher bedeutende Erkenntnisse in der Biologie des Darmkrebses gewonnen und konnten auf dieser Basis die Therapie und Früherkennung von Risikopatienten weiterentwickeln (8). Dazu kommen Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik und Operationstechnik. All dies hat zu einer ausgesprochenen Verbesserung der Überlebenschancen und Lebensqualität der betroffenen Patienten geführt.

 

Die Anstrengungen, die sowohl von Grundlagenwissenschaftlern als auch von der pharmazeutischen Industrie unternommen werden, lassen hoffen, dass die Therapie des kolorektalen Karzinoms weiter verbessert wird. Die vielleicht maßgeblichste Rolle dürfte jedoch der Mensch selbst spielen, indem er aktiv eine gesunde Lebensführung anstrebt und die Vorsorgeuntersuchungen annimmt.

Literatur

...bei der Verfasserin

Die Autorin

Karin Bracht studierte Pharmazie in Marburg und verbrachte ihr praktisches Jahr in einer Krankenhausapotheke in England (Torquay) und einer öffentlichen Apotheke in Hamburg. Ende 2003 erhielt sie die Approbation in Deutschland. Anschließend wurde sie in Greifswald in pharmazeutischer Chemie promoviert und arbeitet seit Februar 2007 als Wissenschaftlerin im Weatherall Institute in Oxford in einer Arbeitsgruppe, die auf Kolorektalkarzinome (genetische Ursachen, Testung neuer Arzneistoffe, Krebsstammzellen) spezialisiert ist. Dr. Bracht ist Mitglied der Royal Pharmaceutical Society of Great Britain (RPSGB).

 

 

Dr. Karin Bracht

Weatherall Institute of Molecular Medicine

John Radcliffe Hospital

Oxford, OX3 9DS

England

karinbracht(at)gmx.de

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