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Trainingsapotheke

Studenten üben Offizinalltag

02.02.2015  16:49 Uhr

Von Verena Arzbach, Mainz / In der Trainingsapotheke am Institut für Pharmazie und Biochemie – Therapeutische Lebenswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) in Mainz bekommen Studierende hautnah Einblick in die Arbeit einer öffentlichen Apotheke. Die angehenden Apotheker lernen, Patientengespräche zu führen und Kunden ausführlich zu beraten.

Wie muss der Asthmapatient den Inhalator anwenden? Welche Medikamente kann eine Schwangere bei einer Erkältung einnehmen? Und wie muss die Mutter den Trockensaft für ihr Kind richtig zubereiten? Alles Fragen, die jeder Apotheker aus dem Berufsalltag kennt – für Pharmaziestudenten sind dies jedoch meist böhmische Dörfer.

 

Die Klinische Pharmazie der Universität Mainz will die Studierenden daher schon früh an die Praxis in der öffentlichen Apotheke heranführen. Seit dem Wintersemester 2010/2011 gibt es am Institut eine komplett eingerichtete Trainingsapotheke mit Computern, »echter« Apothekensoftware und aktuellen Arzneimittel-Datenbanken. »Die Studenten lernen hier wirklich praktisch, früher gab es in der Klinischen Pharmazie ja nur Vorlesungen«, berichtet Dr. Bettina Stollhof, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie und Leiterin des Seminars.

 

Rollenspiele unter Beobachtung

Im Vorfeld bereiten die Teilnehmer des Seminars mit einem Skript pharmazeutische Themen vor: Am ersten Tag zum Beispiel soll es um Verstopfung und Bauchschmerzen gehen. Stollhof stellt zu Beginn die Beratungs-Leitlinien der Bundesapothekerkammer (BAK) vor, präsentiert einen Patientenfall, und dann geht es auch schon in medias res: In kleinen Gruppen mit drei bis vier Teilnehmern schlüpfen die Studenten abwechselnd in die Rolle von Apotheker und Patient und spielen eine Beratungssituation durch. Sie können zur Vorbereitung die vorhandene Apotheken-Software mit der aktuellen ABDA-Datenbank nutzen, um beispielsweise Interaktionen oder die korrekte Dosierung nachzuschlagen. Die Leerpackungen in der Trainingsapotheke können die Studierenden dabei wie in einer echten Apotheke abscannen.

 

Die Idee zur Trainingsapotheke – ein Lehrkonzept, das es in dieser Form an deutschen Universitäten noch sehr selten gibt – hatte eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts. Im Jahr 2010 rief sie gemeinsam mit der Leiterin der Klinischen Pharmazie, Professor Dr. Irene Krämer, die Trainingsapotheke ins Leben. Das Gutenberg Lehrkolleg in Mainz förderte das innovative Konzept. Sponsoren stellten die Apothekeneinrichtung und die Software zur Verfügung, die jeweiligen Hersteller lieferten Leerpackungen und Nachschlagewerke wie die Rote Liste oder das NRF.

 

Am Ende des Seminars präsentieren zwei Studenten den Fall als Apotheker und Patient vor der gesamten Gruppe. Die Zuschauer bekommen von Stollhof eine Checkliste und bewerten anschließend, wie der angehende Apotheker die Situation gemeistert hat. »Die Fälle, die wir durchspielen, sind aktuell und echt«, erklärt Stollhof, die regelmäßig einmal pro Monat in einer öffentlichen Apotheke arbeitet. Den Studenten bleiben auch komplizierte Fälle und schwierige Kunden nicht erspart: In den Rollenspielen müssen sie zum Beispiel auch Patienten verkörpern, die alles besser wissen, oder sehr ängstlich sind. »Während des Rollenspiels greife ich prinzipiell nicht ein«, erklärt die Seminarleiterin. »Die Studenten haben aber die Chance, einen Kommilitonen zu fragen, wenn sie nicht weiter wissen. Dann unterbrechen wir das Rollenspiel und diskutieren die Lösung gemeinsam.«

 

Insgesamt zehn pharmazeutische Themen stehen auf dem Seminarplan. Im Rollenspiel gibt es zum Beispiel einen Asthma-Patienten, der zum ersten Mal einen Inhalator verordnet bekommen hat oder einen Kunden, der seine Tabletten gegen Bluthochdruck abgesetzt hat, weil er vom Nutzen der Therapie nicht überzeugt ist. Auch die Indikation Diabetes mit den verschiedenen Insulinarten, häufige Interaktionen, Compliance, Kinderarzneimittel und Selbstmedikation in der Schwangerschaft sind Themenschwerpunkte, die die Studenten im Seminar behandeln. Zusätzlich gibt es im Rahmen des Seminars ein Kommunikationstraining und ein Bedside-Teaching, bei dem die Studenten in Kleingruppen einen Patienten auf der internistischen und chirurgischen Station des Uniklinikums kennenlernen. Im Rahmen des sogenannten virtuellen Praktikums erarbeiten die Studenten zudem in Gruppen eine Projektarbeit zu einem pharmazeutischen Thema, die sie auf einer virtuellen Lernplattform veröffentlichen.

 

Kommunikative Fähigkeiten wichtig

 

»Ein Großteil der Studenten meistert das Seminar sehr gut. Wir bekommen viel positives Feedback«, so Stollhof. »Einige haben am Anfang natürlich eine Hemmschwelle, sie haben zum Beispiel Angst vor dem Rollenspiel, das legt sich aber meist direkt«. Die Apothekerin rät den Studierenden, das Seminar als Chance zu sehen, denn hier können sie – im Unterschied zum Pharmaziepraktikum – den Umgang mit Patienten noch üben. Leider müsse das Seminar schon im sechsten Semester stattfinden, bedauert Stollhof. Die Studierenden besuchen dann parallel den Pharmakologie-Kurs, das mache es manchmal schwierig, bestimmte Themen zu behandeln, wenn der pharmakologische Hintergrund noch nicht bekannt ist. Aber im Seminar stehen ohnehin vor allem die kommunikativen Fähigkeiten der Studenten im Fokus. Das wird auch bei der Abschlussprüfung deutlich: Stollhof und ihre Kollegen bewerten zu einem Drittel das fachliche Wissen, die kommunikativen Fähigkeiten machen zwei Drittel der Bewertung aus.

 

Bei der Abschlussprüfung hat Stollhof ein neues Konzept getestet. Seit zwei Semestern führt sie gemeinsam mit ihren Kollegen eine OSCE-Prüfung (Objective Structured Clinical Examination) durch, eine Art Zirkeltraining mit verschiedenen Stationen, die der Student nacheinander absolvieren muss. Das Konzept stammt aus Schottland und kommt bislang überwiegend im Medizinstudium zum Einsatz.

 

Zehn Stationen in der Prüfung

 

Insgesamt besteht die Prüfung aus zehn Stationen, sechs mit praktischen und vier mit theoretischen Aufgaben. An den praktischen Stationen warten je ein Schauspieler und ein Prüfer auf den Studierenden, der fünf Minuten Zeit hat, die jeweilige Aufgabe zu lösen. »Nach jeder Station erhalten die Studenten ein kurzes Feedback zu ihrer Leistung, so haben sie die Möglichkeit, sich direkt während der Prüfung zu verbessern«, lobt Stollhof das Konzept.

 

Auch die Studenten bewerten die außergewöhnliche Prüfung äußerst positiv. Zunächst freiwillig angeboten, haben Stollhof und ihre Kollegen die OSCE-Prüfung nach dem Feedback nun als Pflichtprüfung angesetzt. »Die Organisation ist natürlich sehr aufwendig, deswegen können wir die Prüfung nur einmal pro Semester anbieten« so Stollhof. Wer durchfällt, kann die Prüfung daher erst im nächsten Semester wiederholen.

 

Die Trainingsapotheke macht inzwischen auch außerhalb von Mainz Schule: Andere Universitäten haben bereits Interesse bekundet und planen ebenfalls, eine solche Apotheke einzurichten. An der JGU denkt man schon weiter, denn die Trainingsapotheke ist nur ein Teil des Mainzer Lehrkonzepts. Das besteht aus mehreren Modulen, die in der Zukunft ebenfalls umgesetzt werden sollen. In Planung sind laut Stollhof unter anderem ein Journal-Club, in dem die Studierenden lernen sollen, Publikationen richtig zu lesen und zu deuten sowie weitere praktische Seminare, darunter ein Onkologie-Workshop im achten Semester.  /

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