Pharmazeutische Zeitung online
Antibiotika-Surveillance

Strategie gegen Multi-Resistenzen

04.02.2013  13:57 Uhr

Von Petra Gastmeier, Berlin / Multiresistente Erreger sind auf dem Vormarsch. Damit Antibiotika als stärkste Waffen des Menschen im Kampf gegen bakterielle Infektionen ihre Wirkung nicht verlieren, sind gezielte Maßnahmen unumgänglich.

Unter anderem die Surveillance der Resistenz­situation und Antibiotika-Anwendung dient der Vorbeugung und Kontrolle von mittlerweile auch in der Laienpresse immer wieder diskutierten Problemerregern wie MRSA (Methicillin resistente Staphylococcus aureus), VRE (Vancomycin resistente Enterokokken) oder »Extended Spektrum Beta-Laktamase« (ESBL)-bildende Bakterien.

Darüber hinaus gibt es viele neue »Super-Bakterien«, die das Resistenz­geschehen prägen, so unter anderem KPC. Das Kürzel steht für Carba­pene­mase-bildende Klebsiella pneumoniae. Besorg­nis ruft nicht zuletzt auch die zunehmen­de Zahl der Infektionen zum Beispiel durch antibiotikaresistente Erreger wie Oxacillinase (OXA-48)- oder New Dehli-Metallobetalaktamase (NDM-1)-bildende Bakterien hervor.

 

Kausaler Zusammenhang

 

Zwischen Antibiotika-Anwendung und Antibiotika-Resistenz gibt es eindeutige kausale Zusammenhänge. Das gilt sowohl für die Klinik als auch für die Praxis. Initial kann es zur Resistenzentstehung zum Beispiel durch Mutationen kommen, die zu einer Veränderung eines Erregers führen, sodass bestimmte Antibiotika nicht mehr wirken können. Solche Ereignisse sind selten.

 

Durch ungezielte Antibiotika-Anwendung kann es zur Selektion kommen, das heißt, Antibiotika-empfind­liche Erreger werden abgetötet, während die mit Resistenzeigenschaft überleben und sich nun entsprechend im Körper des Wirtes, zum Beispiel im Darm des Menschen, ausbreiten können. Das ist ein sehr häufiger Vorgang.

 

Hinzu kommt drittens, dass multi­resistente Erreger von einem Menschen auf den anderen übertragen werden und es somit zur weiteren Verbreitung im häuslichen Umfeld und auch Gesundheitseinrichtungen kommen kann.

 

Lässt der Selektionsdruck zum Beispiel durch einen rationalen Antibio­tika-Einsatz nach, kann das, wenn oft auch langsam, zu einer Verbesserung der Resistenzsituation führen. Teilweise ist der Prozess der Resistenz-Entwicklung jedoch nicht umkehrbar.

 

Eine regelmäßige Surveillance, also Beobachtung und Überwachung der Antibiotika-Anwendung in Krankenhäusern, wird nicht nur sehr empfohlen. Sie ist inzwischen in vielen Bundesländern durch die Landeshygiene-Verordnungen auch vorgeschrieben. Einen »schnappschussartigen« Überblick über die Antibiotika-Anwendung in einem Krankenhaus bieten Querschnitt- oder Prävalenzstudien.

 

Die erste und bislang einmalige nationale Prävalenzstudie zu nosokomialen Infektionen (NI) und zur Antibiotika-Anwendung (ABA) in repräsentativ ausgewählten Krankenhäusern, die NIDEP (Nosokomiale Infektionen in Deutschland – Erfassung und Prävention)-Studie, wurde 1994 in Deutschland durchgeführt (1,2). Auch in vielen anderen europäischen Ländern wurden in den letzten 20 Jahren einmalig oder mehrmals nationale Prävalenzstudien organisiert (2).

 

Inzwischen hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) ein einheitliches europäisches Protokoll für die Durchführung von Punkt-Prävalenz-Studien (PPS) erarbeitet. Es wurde in einer Pilotstudie getestet. Alle europäischen Länder wurden aufgefordert, im Zeitraum 2011/12 nationale Punktprävalenzstudien zum Vorkommen von NI und zur ABA zu starten (3).

 

Mit der Umsetzung des Projektes in Deutschland wurde das Nationale Referenzzentrum (NRZ) für die Surveillance von nosokomialen Infektionen in Kooperation mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) betraut, um die Daten für die Bundesrepublik zu erheben und in pseudonymisierter Form an das ECDC zu übermitteln.

 

Das in deutsche Sprache übersetzte Studienprotokoll ist auf der Website des NRZ zu finden (www.nrz-hygiene.de). Für die Dokumentation der Antibiotika-Anwendung wurde die »Anatomical Therapeutic Chemical« (ATC)-Klassifikation der WHO verwendet (4). Antivirale Medikamente und Tuberkulostatika wurden nicht erfasst.

 

Studie in Krankenhäusern

 

Die Datenerhebung erfolgte in Deutschland von September bis Oktober 2011 durch vorher geschulte Mitarbeiter der beteiligten Krankenhäuser. Dabei besuchten das Hygieneteam beziehungsweise andere trainierte Mitarbeiter des Krankenhauses sukzessive die Stationen der ausgewählten Häuser, um durch Akteneinblick und gegebenenfalls Rückfragen an das Stationspersonal die erforderlichen Daten zu erheben.

 

Insgesamt beteiligten sich 132 Krankenhäuser an dieser Untersuchung, in die 41 539 Patienten eingeschlossen waren. Am Untersuchungstag erhielten 26,1 Prozent dieser Patienten Antibiotika (5). Da sich die Methoden der NIDEP-Studie und der ECDC-Studie nur geringfügig unterscheiden, werden diese in Tabelle 1 vergleichend gegenübergestellt.

Tabelle 1: Vergleich der Prävalenz der Antibiotika-Anwendung der ECDC-/NIDEP-1-Studie (5)

Parameter Studie nach ECDC-Protokoll NIDEP-1-Studie
Krankenhäuser 132 72
Median Bettenzahl 359 < 400
Patienten 41 539 14 966
Prävalenz der Antibiotika-Anwendung 26,06% (24,93-27,21%) 17,7%

Bei der Interpretation des scheinbaren Anstiegs der Antibiotika-Anwendungsraten ist zu beachten, dass das Durchschnittsalter der Krankenhaus­patienten inzwischen signifikant gestiegen und es gleichzeitig zu einer signifikanten Reduktion der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Patienten im Krankenhaus von mehr als vier Tagen gekommen ist (6).

 

Mit Blick auf die Indikationen ergab die Datenerhebung, dass die meisten Patienten (48 Prozent) Antibiotika wegen mitgebrachter Infektionen erhielten (Tabelle 2). Fast jeder Dritte wurde prophylaktisch mit Antibiotika therapiert. Nahezu jeder Fünfte erhielt diese zur Bekämpfung nosokomialer Infektionen. Die Werte haben sich seit 1994 kaum verändert.

Tabelle 2: Vergleich der Indikationen zur Antibiotika-Anwendung in der ECDC- und der NIDEP-1-Studie (5)

Ursache der Antibiotika-Anwendung­ in Krankenhäusern Studie nach ECDC-Protokoll (%) NIDEP-1-Studie (%)
ambulant erworbene Infektion 48,0 47,9
NI 18,3 16,9
Prophylaxe 29,3 35,1

Als Gründe für prophylaktische Antibioti­ka-Anwendungen wurden in 30,7 Prozent der Fälle nicht operative Indikationen wie zum Beispiel Antibiotikaprophylaxe bei hämatologisch-onkologischen Patienten genannt. Bei Begutachtung der (peri-)operativen Prophylaxe, also des Einsatzes von Antibiotika im Rahmen chirurgischer Eingriffe, fällt auf, dass diese zu einem sehr hohen Grad (14 Prozent aller ABA) über den OP-Tag hinaus betrieben wurde, obwohl die wissenschaftliche Evidenz ganz klar belegt, dass die Weiterführung der (peri-)operativen Prophylaxe nach Operationsende keinen weiteren Vorteil bringt. Bei einem relativ großen Teil der Antibiotika-Anwendungen (28 Prozent) war in den Patientenunterlagen nicht dokumentiert, warum die Applikation erfolgte.

 

Am häufigsten wurden Zweitgenerations-Cephalosporine (17,6 Prozent), gefolgt von Penicillinen mit Betalakatamase-Inhibitor (15,2 Prozent), Fluorchinolonen (13,6 Prozent), Drittgenerations-Cephalosporinen (11,4 Prozent) und Carbapenemen (6,7 Prozent) eingesetzt.

 

Kontinuierliche Kontrolle

 

Bei den Intensivpatienten betrug die Prävalenz der Antibiotika-Anwendung im Jahr 2011 circa 52 Prozent, eine Surveillance der Antibiotika-Anwendung ist in dieser Pa­ti­en­ten­gruppe somit besonders wichtig. Für die kontinuierliche Kontrolle der Intensivstationen existiert seit mehr als 10 Jahren das Surveillance-System SARI (Surveillance der Antibiotika-Anwendung und Resistenzsituation auf Intensivstationen, www.antibiotika-sari.de; 7).

Mehr als 100 (Intensiv-)Stationen liefern inzwischen regelmäßig ihre Daten an SARI. Dadurch haben sie die Möglichkeit, sich in Bezug auf die Antibiotika-Anwendung und die Resistenzsituation mit anderen deutschen (Intensiv-)Stationen zu vergleichen.

 

Gemäß des »Antibiotika-Resistenzatlas Germap 2012« als Gemeinschaftsprodukt des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebens­mittel­sicher­heit (BVL), der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie und der Infektiologie des Uniklinikums Freiburg werden 85 Prozent der in Deutschland in der Humanmedizin eingesetzten Antibiotika im ambulanten Bereich eingesetzt (8). Im europäischen Vergleich liegt der ambulante Antibiotika-Verbrauch in Deutschland mit 14,9 DDD (Defined Daily Doses) im unteren Mittelfeld (9).

 

Studien des wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und der Universität Freiburg besagen, das bereits 2001 jede dritte Antibiotika-Verordnung auf ein Reserve-Antibiotikum entfallen ist. Dieser Trend hat sich in den letzten 10 Jahren weiter fortgesetzt (10).

 

Die Daten der »European Surveillance System of Antibiotic Consump­tion« (ESAC)-Studie zeigen zudem einen deutlichen Anstieg der Chinolone, der Dritt- und Viertgenerations-Cephalosporine und Makrolide (9). Das entspricht auch aktuellen Ergebnissen einer Untersuchung aus dem Land Brandenburg zur Anwendung von Antibiotika im ambulanten Bereich (11). Von Hausärzten und Internisten wurden Makrolide, gefolgt von Chinolonen (jeweils circa 30 Prozent) und Tetracyclinen am häufigsten verschriebenen.

 

Ganz oben auf der Verordnungs-Rangliste von Urologen standen Chinolone (> 60 Prozent), gefolgt von Fol­säureantagonisten und Nitrofurantoin. Kinderärzte verschrieben vorrangig Makrolide (> 50 Prozent), sodann Drittgenerations-Cephalosporine und Aminopeniciline.

In der Praxis kamen Antibiotika vor allem zur Therapie der akuten Bronchitis und anderer akuter Infektionen der oberen Atemwege sowie in der Folge zur Behandlung akuter Tonsillitis beziehungsweise von Harnwegsinfektionen zum Einsatz (11). Circa 50 Prozent der Antibiotika-Verschreibungen in der Praxis werden als nicht notwendig angesehen (11).

 

Meldung an Datenbank

 

Mit Blick auf die Auswahl der Antibiotika im Rahmen der kalkulierten Antibiotika-Therapie ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt weiß, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Antibiotika-Therapie nicht greift. Diese Wahrscheinlichkeit wird durch den Anteil der gegenüber einem bestimmten Antibiotikum resistenten Erreger bezogen auf alle Erreger dieser Spezies annähernd beschrieben.

 

Um in diesem Sinne ständig aktuelle bundesweit repräsentative Daten zu generieren, hat das Robert-Koch-Institut in den letzten Jahren eine Datenbank im Rahmen des Antibiotika-Surveillance-Systems (ARS) aufgebaut (12), in der die Daten mikrobiologischer Laboratorien zur Resistenzsituation im stationären und ambulanten Bereich gesammelt werden. Tabelle 3 zeigt eine Auswahl von »Schlüsselresistenzen« für stationäre und ambulante Patienten.

Tabelle 3: Resistenzsituation ausgewählter Infektionsträger (stationär und ambulant; nach ARS-Daten 2011)

Resistente Erreger Im Krankenhaus (%) In der Praxis (%)
MRSA (Methicillin-resistente S. aureus) 23,4 12,2
Vancomycin-resistente E. faecium (VRE) 18,3 15,4
Cefotaxim-resistente K. pneumoniae (ESBL) 11,6 6,1
Cefotaxim-resistente E.coli (ESBL) 9,9 5,1
(www.ars.rki.de)

Nach einem konstant hohen Resistenzniveau von mehr als 20 Prozent ist 2011 erstmals der Anteil der MRSA-Isolate im gesamten Krankenhausbereich, auf Intensivstationen und bei Blutkulturen zurückgegangen (12). Die genaue Ursache dafür ist unklar, es könnte auf die zusätzlichen Präventionsmaßnahmen zurückzuführen sein, es kann aber auch durch biologische Veränderungen bedingt sein.

 

Aus epidemiologischer Sicht ist es wichtig zu wissen, wie viel Prozent der Patienten bereits bei der Klinikaufnahme multiresistente Erreger tragen. Dazu kann das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) aktuelle Daten zur Entwicklung der letzten Jahre auf den Intensivstationen bieten (Tabelle 4).

Tabelle 4: Inzidenz multiresistenter Erreger auf KISS-Intensivstationen 2007 bis 2011

Jahr MRSA (%) VRE (%) ESBL (%) ESBL E.coli (5) ESBL Klebsiella spp.(%)
2007 1,40 0,11 0,31 0,20 0,10
2008 1,40 0,13 0,44 0,29 0,15
2009 1,43 0,21 0,59 0,43 0,16
2010 1,50 0,19 0,74 0,51 0,23
2011 1,46 0,25 0,82 0,59 0,23
(www.nrz-hygiene.de)

Während sich die MRSA-Inzidenz in den letzten Jahren nicht verändert hat, ist es zu einem Anstieg der VRE- und der ESBL-Inzidenz im Zeitraum 2007 bis 2011 gekommen. Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass viele Intensivstationen inzwischen dazu übergegangen sind, nicht nur Risikopatienten, sondern alle Patienten bei der Aufnahme auf MRSA zu testen, während das bei VRE und ESBL bisher kaum der Fall ist.

 

Unter den ESBL-tragenden Enterobakterien dominieren die ESBL Eschericia coli gefolgt von ESBL Klebsiella pneumoniae. Andere Enterobakterien haben bisher seltener ESBL. In vielen Kliniken hat die ESBL-Inzidenz die MRSA-Inzidenz bereits überholt. Zur Therapie der Infektionen durch Enterobakterien werden daher immer häufiger Carbapeneme eingesetzt. Es ist besonders problematisch, dass inzwischen auch die Häufigkeit der Carbapenemasen-, so auch der OXA 48 (Oxacillinase) -produzierenden Enterobakterien und KPC zunimmt.

 

Bei CPE-Infektionen sind die therapeutischen Möglichkeiten äußerst begrenzt. Ziel ist es daher, Patienten mit diesen Erregern möglichst schnell zu erkennen und strikt die Verbreitung in der eigenen Abteilung zu verhindern (13).

 

Aus dem Ausland importiert

 

Die meisten Carbapenemase-produzierenden Enterobakterien kommen nicht durch Resistenzentwicklung und Selektion im Inland zustande. Besonders Patienten, die zuvor eine Behandlung in medizinischen Einrichtungen im Ausland hatten, sind häufig mit solchen Erregern kolonisiert.

 

Risikoländer in Europa sind vor allem Griechenland und Italien. Weltweit sind auch der Nahe und Ferne Osten sowie Nordafrika Risikoregionen. Patienten, die in Gesundheitseinrichtungen der betroffenen Länder behandelt wurden, sollten bei Krankenhausaufnahme in Deutschland unbedingt auf Carbapenemase-bildende Bakterien unter­sucht werden (13).

 

Aber auch bei anderen gramnegativen Erregern ist die weltweite Reisetätigkeit ein wichtiger Risikofaktor. Beispielsweise waren nach den Daten einer kürzlich publizierten Untersuchung bei deutschen Mitarbeitern aus dem Gesundheitswesen Reisen nach Griechenland und Afrika signifikante Risikofaktoren für einen ESBL-Carrierstatus (14). Die ESBL-Prävalenz betrug hier 3,5 Prozent.

Auch bei den ESBL kommt es seltener zum nosokomialen Erwerb im Krankenhaus, meistens tragen die betroffenen Patienten diese Bakterien bereits bei Aufnahme in das Krankenhaus. Dabei resultiert der ESBL-Carrier-Status in der Regel nicht nur aus Infektionen im Rahmen von Auslandsaufenthalten, sondern auch durch den Konsum kontaminierter Nahrungsmittel.

 

Die meisten Antibiotika werden in Deutschland nicht im humanen Sektor, sondern im Veterinärbereich eingesetzt. Besonders beim Geflügel, aber auch bei anderen Tierarten spielt der Antibiotika-Einsatz eine sehr große Rolle.

 

Das gilt auch für die Niederlande, die im europäischen Vergleich nach den Daten von ESAC zwar einen sehr niedrigen Antibiotika-Verbrauch im ambulanten humanmedizinischen Sektor haben, aber mit Blick auf die Antibiotika-Anwendung im veterinärmedizinischen Bereich eine Spitzenposition einnehmen (15). Insbesondere die ESBL-Problematik hat in den Niederlanden zwischenzeitlich wie in Deutschland an Bedeutung gewonnen.

 

Multimodale Strategien

 

Inzwischen konnten niederländische Kollegen zeigen, dass Hühnerfleisch aus Supermärkten zu einem sehr hohen Prozentsatz mit ESBL kontaminiert ist (16). Dabei treten E.coli-Genotypen auf, die auch beim Menschen nachweisbar sind.

 

Auch in Deutschland ist ein großer Anteil von Geflügelfleischproben mit ESBL kontaminiert. Nach den Ergebnissen einer Studie in Berlin und Greifswald waren es 44 Prozent (17). Besonders eindrücklich ist die Beweiskette zum Zusammenhang zwischen ESBL E.coli bei Geflügelfleisch und beim Menschen in der kürzlich publizierten Arbeit von Kluytmans et al. dargestellt (18).

 

Auf der anderen Seite konnte beispielsweise gezeigt werden, dass in Australien, wo der Einsatz von Fluor­chinolonen in der Tierzucht stets verboten war, trotz intensiver, mehr als 30-jähriger Fluorchinolon-Anwendung im human­medizinischen Bereich die Fluorchinolon-Resistenz im ambulanten Bereich kaum eine Rolle spielt (circa 5 Prozent; 19). Auch Drittgenerations-Cephalosporine­ werden in Australien in der Geflügelzucht nicht eingesetzt. Man findet dort keine ESBL auf Geflügelfleisch und der ESBL E.coli-Anteil beträgt im ambulanten Bereich weniger als 3 Prozent.

 

Die Daten belegen, dass das Problem der Multiresistenz in Klinik und Praxis nicht allein im humanmedizinischen Bereich gelöst werden kann. Ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz ist notwendig, um die »Waffe« Antibiotika für die Therapie von Infektionen zu erhalten.

 

Für die Intervention sind multimodale Strategien erforderlich (20). Dazu gehören neben der Surveillance der Resistenzsituation und der Antibiotika-Anwendung auch Innovationen im Hinblick auf neue Diagnostik- und Therapie­methoden, Vermeidung von Übertragungen multiresistenter Erreger sowie selbstverständlich die rationale Anwendung von Antibiotika in der Landwirtschaft und in der Human­medizin./

Die Autorin

Petra Gastmeier leitet seit 2008 das Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Sie ist Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin. Nach Tätigkeit als Oberärztin im Institut für Hygiene der Freien Universität Berlin wurde sie im Jahr 2000 auf eine C3-Schwerpunkt-Professur für Krankenhaushygiene an die Medizinische Hochschule Hannover berufen. Gastmeier ist Expertin auf dem Gebiet der Surveillance von nosokomialen Infektionen und der Antibiotikaresistenz und hat circa 300 Originalartikel und Reviews publiziert. Sie koordiniert die Arbeit des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance von nosokomialen Infektionen, das das Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) mit mehr als 1000 teilnehmenden Krankenhäusern betreibt. Gastmeier zeichnet ebenfalls verantwortlich für die Umsetzung der Nationalen Händehygiene-Kampagne »Aktion saubere Hände«, die durch das Bundesgesundheitsministerium unterstützt wird.

 

 

Professor Dr. Petra Gastmeier, Charité Campus Benjamin Franklin, Institut für Hygiene und Umwelt­medizin, Hindenburgdamm 27, 12203 Berlin, E-Mail: petra.gastmeier(at)charite.de

Literatur

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