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USA

Die gespaltene Supermacht

05.02.2013  18:47 Uhr

Von Annette Mende, Davos / US-Präsident Barack Obama ist im vergangenen November mit unerwartet deutlicher Mehrheit wiedergewählt worden. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nation tiefer gespalten ist als je zuvor. Dieser Riss in der Gesellschaft muss sich möglichst bald schließen, denn auch Europa braucht ein handlungsfähiges Amerika. Das betonte der Journalist Claus Kleber beim Pharmacon-Kongress in Davos.

Kleber ist dem deutschen Fernsehpublikum als Moderator des »Heute-Journals« im ZDF bestens bekannt. In Davos sprach er auf Einladung der Deutschen Apotheker- und Ärztebank über das Selbstverständnis der Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Rolle in der Weltpolitik. Das Bild der amerikanischen Seele, das er dabei entwarf, illustrierte er mit persönlichen Erfahrungen, die er in 15 Jahren als USA-Korrespondent der ARD gesammelt hat.

»In Amerika ist die Frage, was für ein Kerl der Präsident ist, viel wichtiger als bei uns«, sagte Kleber. Er ging daher auf die Persönlichkeit Barack Obamas und dessen Wahrnehmung in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein. Dieser genießt bekanntlich vor allem bei jungen Menschen und Einwanderern großen Rückhalt, während ihn die Konservativen strikt ablehnen. »Obama konnte die Kritischen in den ersten vier Jahren seiner Regierungszeit nicht von seiner Linie überzeugen«, sagte Kleber. Die USA seien unter Obama nicht progressiver geworden, sondern nach wie vor ein tief konservatives Land.

 

Besonders deutlich wurde das während des Kampfes um die Gesundheitsreform, mit deren Durchsetzung Obama laut Kleber etwas »nahezu Unerreichbares« gelungen ist. Denn die allgemeine Versicherungspflicht, die mit dem »Affordable Care Act« eingeführt wurde, sehen sehr viele Amerikaner nicht als verantwortungsvolle Sozialpolitik, sondern als massiven Eingriff in die persönliche Freiheit – und die ist ihnen absolut heilig. »Die Mehrheit derjenigen, die durch das neue Gesetz dazu gezwungen werden, eine Krankenversicherung abzuschließen, könnte sich das eigentlich sehr wohl leisten, hat sich aber bislang bewusst dagegen entschieden«, so Kleber.

 

Der Leitspruch »lebe jetzt, zahle später« sei in den Köpfen tief verankert. Diese Menschen wollten ihre Prioritäten selbst setzen, und sie setzten sie in jungen Jahren eher auf ein großes Auto und ein Eigenheim als auf die Gesundheitsvorsorge. »Ich hatte einen Freund, der zwar ein schnelles Auto fuhr, aber keine Krankenversicherung hatte«, berichtete Kleber. Als dieser Mann eine Knochenmarktransplantation brauchte, konnte er sich die Behandlung nur in einer Klinik leisten, die damit wenig Erfahrung hatte. »Er ist an den Folgen gestorben«, sagte Kleber.

 

Bewegung der Überzeugten

 

Die populistische Tea-Party-Bewegung, die nicht nur die Gesundheitsreform scharf kritisierte, sei also keineswegs eine Bewegung der Dummen, sondern eine Bewegung der Überzeugten. »Diese Menschen glauben, dass sie die Fahne der amerikanischen Werte hoch halten. Sie glauben, dass es etwas Grundfalsches ist, wenn der Staat Geld von den Guten an die gibt, die es aus ihrer Sicht nicht verdienen«, erklärte Kleber. Aus diesem Grund hätten die Proteste gegen das Projekt zuletzt Ausmaße angenommen, die auf uns Europäer geradezu lächerlich wirkten.

 

In Amerika gebe es keine Solidaridee, wie sie in Europa während der Industrialisierung entstanden ist. Die amerikanische Wirtschaft sei in dieser Zeit viel stärker gewachsen als China heute, es war mehr als genug für alle da. »In Europa gab es zuerst den Staat und dann kam die Freiheit. In Amerika haben sich die Freien ihren Staat gebaut«, fasste Kleber zusammen. Deshalb gebe es ein tief sitzendes Misstrauen gegen die europäische Art und Weise, die Dinge zu organisieren. »Das beste Argument der Republikaner im Wahlkampf war, dass Obama die USA europäischer machen wolle. Das war ein harter Vorwurf«, so Kleber.

 

Allerdings sei es den Konservativen trotz der massiven Propaganda, ihrer absoluten Blockadepolitik und der Rekordsumme von 800 Millionen US-Dollar für den Wahlkampf nicht gelungen, Obama aus dem Amt zu treiben. Wichtig sei jetzt, dass sie sich aus der selbst gewählten rechten politischen Ecke wieder in die Mitte der Gesellschaft bewegten. »Die ideologischen Gräben müssen überbrückt werden, damit die USA handlungsfähig bleiben«, betonte Kleber. Daran müssten auch wir Europäer ein vitales Interesse haben, »denn wir können unsere europäischen Probleme nur zusammen mit den USA lösen«. /

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