Die Neue Deutsche Welle |
08.02.2011 16:00 Uhr |
Von Sven Siebenand / Eine Welle neuer Medikamente zur Krebsbekämpfung kündigt der Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VFA) an. Etliche stammen aus deutschen Labors. Anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar stellte der VFA einige Beispiele für Krebsmedikamente der Zukunft vor.
Sobald dem Immunsystem körperfremde Proteine, sogenannte Tumorantigene, auf der Oberfläche einer Krebszelle auffallen, greift es normalerweise ein. Killerzellen töten die Tumorzellen ab. Indem diese verhindern, dass die Killerzellen »wachgerüttelt« werden, gelingt es einigen unglücklicherweise, diesem Mechanismus zu ent-gehen. Die neue Arzneistoffruppe der CTLA-4-Antagonisten soll die Aktivierung von T-Killerzellen erleichtern. Ihren Namen verdanken sie dem Protein CTLA-4 auf der Oberfläche der Abwehrzellen.
Eine Blockade von CTLA-4 ist bei Gesunden nicht erstrebenswert, da seine Aufgabe normalerweise darin besteht, die Killerzellen an vorschnellen Aktionen zu hindern, die sonst zu Autoimmunreaktionen führen könnten. Bei fortgeschrittenen Tumoren, zum Beispiel beim schwarzen Hautkrebs, kann ein »Weckruf« an die Killerzellen durch einen CTLA-4-Antagonisten aber durchaus nützlich sein. Laut VFA befinden sich zwei CTLA-4-Antagonisten, die monoklonalen Antikörper Ipilimumab und Tremelimumab, in fortgeschrittenen Stadien der klinischen Entwicklung.
Verschärfte Kontrollen
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Das hat sich wohl auch die Natur gedacht. An drei Stellen im Zellzyklus hat sie nämlich wichtige Kontrollpunkte eingerichtet. Wenn an diesen Stellen Fehler auftauchen, die zu korrigieren sind, wird der Zyklus umgehend gestoppt. Erst nach Bereinigung kann es weitergehen. Als Kontrolleure an diesen drei Punkten fungieren die Cycline. Sie werden wiederum von den Cyclin-abhängigen Kinasen (CDK) gesteuert, das heißt an- oder ausgeschaltet.
Bei vielen Krebszellen ist mindestens eines dieser Enzyme überaktiv, wodurch die Kontrollen versagen. Es geht sozusagen ohne TÜV und ASU weiter. Die Zellen vermehren sich, obwohl sie das eigentlich gar nicht dürften. CDK-Inhibitoren sollen diese Kontrollen wieder herstellen. Dem VFA zufolge untersuchen Forscher derzeit schon mehr als zehn solcher Substanzen in klinischen Prüfungen. Einer von ihnen wird zum Beispiel zur Behandlung bestimmter Haut-, Hirn- und Knochentumoren untersucht.
Eine andere Gruppe neuer Medikamente sind die Integrin-Inhibitoren. Mit Ausläufern, sogenannten Integrinen, halten Zellen normalerweise Kontakt zu ihrem Umfeld und stellen sicher, dass sie sich nur in ihrem Heimatgewebe vermehren. Tumorzellen können die Integrine jedoch missbrauchen, um sich aus ihrem Zellverband zu lösen, andernorts Tochtergeschwulste zu gründen und dort die Bildung neuer Blutgefäße zu veranlassen. Das sollen Integrin-Inhibitoren verhindern. Der Wirkstoff Cilengitide wird zum Beispiel für die Behandlung bei bösartigen Formen von Hirntumoren getestet. Der monoklonale Antikörper Volociximab, der möglicherweise bei Melanomen, Nierenzellkarzinomen und anderen soliden Tumoren zum Einsatz kommen wird, ist ein weiterer Kandidat in der Pipeline.
Schlüsseldienst für Krebszellen
Aus dieser könnte in absehbarer Zeit auch der ein oder andere HDAC-Inhibitor sprudeln. Diese arbeiten als eine Art Schlüsseldienst. Denn sie verschaffen Krebszellen wieder Zugang zu den Genen, die sie für ein Funktionieren als normale Zelle benötigen. HDAC steht dabei für Histon-Deacetylasen. Was verbirgt sich dahinter?
Um im Zellkern Platz zu finden, muss sich die fadenförmige DNA um Histone wickeln. Histon-Acetyltransferasen katalysieren anschließend die Übertragung negativ geladener Acetylgruppen auf die Histone. Dadurch stoßen sich die Moleküle stärker von der ebenfalls negativ geladenen DNA ab, wodurch die DNA-Struktur sich auflockert. Die Folge: Transskriptionsfaktoren finden Zugang zur DNA und die Gene können abgelesen werden.
Histon-Deacetylasen spalten Acetylgruppen von Histon-Molekülen ab und bewirken somit das Gegenteil: Durch die enge Bindung der Proteine an die DNA werden regulatorische Genabschnitte für die Transkription blockiert. Auf diesem Wege wird auch die Expression von Genen beeinflusst, die an der Tumorentstehung beteiligt sind, etwa wichtige Tumorsuppressorgene.
Der erste HDAC-Inhibitor, Vorinostat, ist in den USA zur Behandlung bestimmter Hautkrebsarten zugelassen. Von der europäischen Arzneimittelagentur EMA wurde dem Hersteller MSD im September 2010 eine sogenannte Orphan Designation für die Behandlung maligner Mesotheliome bewilligt. Dem VFA zufolge befinden sich noch weitere HDAC-Hemmer, unter anderem gegen Leukämie, in der Entwicklung.
Impfung als Therapie
Last but not least könnten bald auch therapeutische Impfstoffe neue Chancen im Kampf gegen Krebs bieten. Sie enthalten meistens Proteine, die für die jeweilige Krebsart typisch sind – quasi als Phantombild für die Polizeifahndung des Immunsystems. Dieses lernt, durch den Impfstoff alle Zellen zu attackieren, die über solche Proteine verfügen. Vergangenes Jahr wurde in den USA ein erster therapeutischer Impfstoff gegen Prostatakrebs zugelassen. Weitere Impfstoffe, zum Beispiel gegen Nieren-, Lungen-, Haut- oder Brustkrebs, sind in Planung. /