Eine Analyse aus Studentensicht |
28.01.2013 12:44 Uhr |
Von Daniela Kolberg / Im vergangenen Jahr hat der europäische Verein Pharmaziestudierender (EPSA) eine Umfrage initiiert. Selbstmedikation in Europa: Wie sieht sie aus, und welche Rolle hat der Apotheker? Mit sogenannten Statement of Opinions haben die Studentenvertretungen der einzelnen Länder zu diesen Fragen Stellung genommen. Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Ergebnisse in den unterschiedlichen Ländern.
In der Schweiz sei ein verstärkter Wechsel des Marktes von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hin zu OTC-Produkten zu beobachten. Der Wettbewerb zwischen OTC-Medikamenten werde größer, die Selbstmedikation erschwinglicher. Der verstärkte Einsatz der Selbstmedikation könne möglicherweise für die Gesundheitsministerien eine willkommene Tatsache sein, ein Nachteil sei aber, dass daraus größere Investitionen in Personal des Gesundheitssektors getätigt werden müssten. Die Kombination OTC-Medikament und pharmazeutische Beratung sei die beste Behandlung für bestimmte Krankheiten wie Husten und Kopfschmerzen.
Finnland und Serbien
Die Schlüsselfunktion in der Selbstmedikation nimmt die Erreichbarkeit und Qualität der Beratung ein, sagen die finnischen Studenten. Denn der Apotheker sei der wahrscheinlich einzige Kontakt von Patienten, welche Selbstmedikation für sich in Anspruch nehmen. Dazu gehöre auch, dass im Grunde größerer Einblick in die Gesamtmedikation des Patienten gewährleistet werden müsse.
Das Pharmaziestudium ist in den einzelnen europäischen Staaten unterschiedlich aufgebaut.
Foto: Fotolia/blechbox
Der Ausbildungsstand der Bevölkerung und das Bewusstsein der Verantwortung für die eigene Gesundheit würden in Finnland zwar steigen, dennoch sei der Aufklärungsgrad innerhalb der Bevölkerung längst nicht zufriedenstellend. Der Bildungsstand solle bereits während Schule und Ausbildung erweitert und den Bedürfnissen angepasst werden.
Im Zuge der Verbesserung der Selbstmedikation sei auch die engere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe zu unterstreichen. Sie stelle eine Erhöhung der Sicherheit für den Patienten dar. Die Selbstmedikation solle als fester Bestandteil der Gesundheitsvorsorge gesehen werden und nicht als Aktion von Personen außerhalb des Gesundheitssystems.
Für Patienten in Serbien sei die Selbstmedikation ein einfacher und schneller Weg der Therapie, für den Heilberufler sei sie eine Behandlungsoption, die zu Problemen führen könne, sofern sie nicht adäquat eingesetzt würde. Problematisch sei ferner, dass etwa der moderne Lebensstil wenig Zeit für den Gang zum Arzt oder Apotheker ließe, sodass Anwender zu ihren eigenen Ärzten werden (möchten). Zudem seien die Informationsflut aus dem Internet und der anschließende schnelle Gang in die Apotheke mitsamt dem neu erworbenen »Wissen« aus den Medien gefährlich, da weder Ohr noch Zeit für den Apotheker übrig blieben. So sei das Verhalten des Pharmazeuten während der Kommunikation mit dem Patienten von außerordentlicher Wichtigkeit.
Fazit der Studenten hier: Die Selbstmedikation nehme eine zentrale Position in der modernen Therapie ein. Pharmazeuten sollten die exklusive Abgabe von Arzneimitteln übernehmen; jede andere Abgabemöglichkeit sei als Profit zum Nachteil des Patienten anzusehen.
Portugal und Türkei
In Portugal würden rund 30 Prozent der täglichen Medikationen durch Selbstmedikation erfolgen und oftmals als ein Weg gesehen, die medizinische Autorität zu umgehen. Hauptgründe hierfür seien zum Beispiel die wachsende Vertrautheit mit Medikamenten seitens jüngerer Anwender und die steigende Routine im Umgang mit verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die Ausbildung zum Apotheker müsse im Zusammenhang mit den erhöhten Anforderungen an den Pharmazeuten hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedürfnisse verbessert werden. Als Ansatzpunkte schlagen die portugiesischen Pharmaziestudenten zum Beispiel die Entwicklung eines pädagogischen Models vor, welches die traditionelle Lehre ersetzt und sich zu einem Problem-basierten Ausbildungssystem entwickelt. Auch sei eine Kontrolle der kontinuierlichen Didaktik unabdingbar.
Apothekenalltag in Portugal: Einer Umfrage zufolge ist die Selbstmedikation dort sehr beliebt.
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Kommunikationsfähigkeiten sind eine maßgebliche Voraussetzung für den Erfolg in unserem Berufsstand, so die Pharmaziestudenten aus der Türkei. Hilfestellung dabei könnten Kurse in Selbstmedikation und OTC-Arzneimitteln geben, welche das Wissen des Apothekers über nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel und deren korrekte und sichere Anwendung erweitern. Die Meinung des Pharmazeuten besitze trotz der zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten über Internet und Presse einen hohen Stellenwert; das mache eine gute Ausbildung des Pharmazeuten auch im Hinblick auf Neuerungen und Innovationen notwendig.
Großbritannien und Norwegen
Auch in Norwegen wird von studentischer Seite bemängelt, dass zwar eine Menge über Medikamente gelehrt würde, jedoch nichts über deren Wissenstransfer an den einzelnen Patienten. Das Studium schließe vielfach OTC-Medikamente nicht mit in die Ausbildung ein. So würde man unglücklicherweise mit einem nur unzureichenden Wissen in die Beratung geschickt.
Auf diese Lücken reagieren studentische Aktivitäten, die das beinhalten, was das eigentliche Studium nicht abdeckt, etwa Soft-Skill-Trainings oder die Bearbeitung von Patientenfällen. Vornehmlich müssten Verbesserungsmöglichkeiten in Bezug auf Kommunikationsfertigkeiten gesucht werden. So gebe es zum Beispiel eine Kampagne, die mittels Online-Meetings eine Beratung zwischen Pharmazeut und Patient simuliert.
In die gleiche Richtung denken die Studenten in Großbritannien, welche fordern, dass OTC-Trainings ein fester Bestandteil des britischen Curriculums werden sollten.
Deutschland und Frankreich
In Frankreich sei ebenfalls eine steigende Relevanz der sicheren Selbstmedikation zu beobachten. Dies habe Auswirkung auf die studentische Ausbildung und die Weiterbildung von Approbierten in den Apotheken genommen: die Einrichtung des »Master of Community Pharmacy«. Hier werde 40 Stunden therapeutisch ausgebildet, zudem gebe es Kommunikationstrainings im Curriculum. Es gehe im Allgemeinen darum, das Phänomen »Selbstmedikation« zu verstehen. Es gebe jährlich Pflichtpraktika während des Studiums und die eingerichteten Trainingsapotheken an den Universitäten würden eine gute Übungsmöglichkeit für die Studenten darstellen.
Apothekenalltag in Finnland: Die Schlüsselfunktion in der Selbst- medikation nimmt die Erreichbarkeit und Qualität der Beratung ein, sagen die finnischen Studenten.
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In den Apotheken selbst gebe es »Dossiers pharmaceutiques« zur Registrierung der abgegebenen Medikamente. Ähnlich wie vielerorts in Deutschland auf freiwilliger Basis werde so die Selbstmedikation zum Beispiel im Hinblick auf Interaktionen zwischen Arzneimitteln vom Pharmazeuten kontrolliert.
Und wie ist der Eindruck in Deutschland? Der Apotheker wird als Unterstützer des Patienten gesehen, welcher über Interaktion, Kontraindikation und Nebenwirkungen Auskunft gebe. Darüber hinaus solle er kompetent zu diätetischen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln beraten.
Um diese Voraussetzungen erfüllen zu können, wünschen sich die Studenten mehr Unterrichtseinheiten zu Kommunikation und Beratung an den Universitäten. Fast ausschließlich werde diesen studentischen Forderungen durch eigens organisierte, externe Initiativen nachgegangen.
Die Entwicklung des Fachs der Klinischen Pharmazie und deren Inhalts ist in den vergangenen Jahren steil und durchweg positiv verlaufen. Ein Fach, das schon jetzt nicht mehr wegzudenken ist aus dem Unigeschehen und das, ginge es nach Studenten, zusammen mit der Pharmakotherapie durchaus noch einen höheren Stellenwert im deutschen Curriculum haben sollte.
Die Beratung hinsichtlich Selbstmedikamentation besitzt bereits heute eine große Gewichtung für den Apothekerberuf und wird zukünftig sicherlich noch steigen. Gleichzeitig werden die Studenten darauf drängen, dies auch in der Ausbildung sichtbar werden zu lassen.
Vergleicht man nun die Eindrücke aus Europa, so ist es unumstritten, dass Selbstmedikation und die Rolle des Apothekers darin von großer Wichtigkeit für die Sicherstellung der Gesundheit in der europäischen Bevölkerung sind. In einigen Ländern gibt es schon Modelle, wie Staat und Universität beziehungsweise Studenteninitiativen auf diese Thematik reagieren, in anderen Teilen des Kontinents wird man wahrscheinlich bald nach Input aus anderen Ländern Ausschau halten. /