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Rabattverträge

AOK nimmt Innovationen ins Visier

29.01.2008  17:06 Uhr

Rabattverträge

AOK nimmt Innovationen ins Visier

Von Daniel Rücker, Frankfurt am Main

 

Der Ärger mit Wirkstoff-Rabattverträgen ist noch nicht ganz ausgestanden, da hält die AOK schon wieder nach neuen Ufern Ausschau. Sie will nun auch mit Herstellern von patentgeschützten Arzneimitteln über Preisnachlässe verhandeln.

 

Dr. Christopher Hermann ist nicht gerade als Zauderer bekannt. Der Verhandlungsführer der Ortskrankenkassen hat in den vergangenen zwölf Monaten mit großer Hartnäckigkeit Rabatte für Generika ausgehandelt. Dabei hat er sich weder von juristischen Differenzen, noch vom Unmut der Patienten und der Apotheker abschrecken lassen. Aus seiner Sicht hat sich der Einsatz auch gelohnt: »Wir haben das Generikaoligopol aufgebrochen«, sagte Hermann am Montag bei einer Euroforum-Veranstaltung in Frankfurt am Main. Der Marktanteil der drei großen Generikahersteller sei zwischen Januar und November 2007 von 62,2 auf 36,6 Prozent gesunken. Kleinere Unternehmen hätten dagegen deutlich hinzugewonnen.

 

Nur eine Zwischenstation

 

Ausruhen will sich Hermann auf diesen Zahlen jedoch nicht: »Die aktuellen Generikaverträge sind nur eine Zwischenstation.« Die Ortskrankenkassen wollten nun auch bei den Herstellern patentgeschützter Arzneimittel Rabatt aushandeln. Einige Krankenkassen haben damit bereits begonnen. Am bekanntesten sind die Vereinbarungen mit den Herstellern kurz wirksamer Insulinanaloga. Sie waren die Voraussetzung dafür, dass die Krankenkassen diese wieder bezahlt, obwohl sie eigentlich teurer sind als herkömmliches Insulin. Ähnliche Verträge gibt es auch für den Cholesterinsenker Sortis.

 

Dass sich die AOK und andere Krankenkassen nun für die patentgeschützten Arzneimittel interessieren, ist kein Wunder. Wegen ihres hohen Preises sind sie bei einem Verordnungsanteil von 20 Prozent für stolze 52 Prozent der GKV-Arzneimittelkosten verantwortlich. Zudem stellen die Innovationen seit Jahren das nach Umsatz am stärksten wachsende Marktsegment. Nach AOK-Zahlen verursachten Medikamente mit einem Packungspreis von mehr als 500 Euro im vergangenen Jahr 4,97 Milliarden Euro. Im Jahr 2001 waren es nur 1,87 Milliarden Euro. Verständlich, dass hier bei den Krankenkassen Begehrlichkeiten entstehen.

 

Hermann weiß aber auch, dass die Verhandlungen über patentgeschützte Arzneimittel mit den bisherigen über Wirkstoffe nicht zu vergleichen sind. Bei tatsächlichen Innovationen mit einem Alleinstellungsmerkmal macht er weniger Hoffnungen. Den Herstellern fehlt in der Regel die Motivation, einen Preisnachlass zu gewähren.

 

Weitaus besser sieht es dagegen bei der bislang von Krankenkassen verteufelten Gruppe der Analogpräparate aus. Für den Hersteller etwa eines Statins könnte es durchaus interessant sein, einen Vertrag mit einer Krankenkasse zu schließen.

 

Dabei gibt es neben dem klassischen Rabattvertrag weitere Optionen. In einem sogenannten Erstattungsvertrag kann der Hersteller gegenüber einer Krankenkasse auf die Mehrkosten gegenüber einem anderen Präparat verzichten. Prominentes Beispiel dafür sind die Insulinanaloga. In einem »Risk-share-Vertrag« kann sich ein Hersteller verpflichten, das Geld zurückzuerstatten, wenn ein bestimmtes Therapieziel nicht erreicht wird. Erst vor wenigen Wochen hat Novartis einen solchen Vertrag mit Ersatzkassen ausgehandelt. Wenn Patienten, die mit dem Bisphosphonat Aclasta versorgt werden, innerhalb des ersten Jahres einen Oberschenkelhalsbruch erleiden, muss das Unternehmen zahlen. Novartis versucht auch, den Krankenkassen mit einer garantierten Kostenobergrenze von 315 Millionen das extrem teure Medikament Lucentis zur Behandlung von Glaumkompatienten schmackhaft zu machen.

 

Hermann gab sich in Frankfurt zuversichtlich, Pharmahersteller und Ärzte für solche Verträge zu gewinnen. Die Ärzte könnten so auch im patentgeschützten Markt garantiert wirtschaftlich verordnen. Der Rabattstatus erspare es ihnen, sich um die Preise der Medikamente zu kümmern. Zudem könnten die Patienten mit eigentlich hochpreisigen Medikamenten versorgt werden.

 

Vorteile sieht er auch bei den Unternehmen. Sie könnten über Rabattverträge ihre neuen Medikamente schneller im Markt etablieren und gleichzeitig ihre hohen Listenpreise halten. Dies ist wichtig, weil sich viele andere europäische Länder an den deutschen Preisen orientieren. Ein Rabatt ist damit für international operierende Unternehmen günstiger als eine Preissenkung.

 

Die größten Vorteile haben natürlich die Krankenkassen. Sie erhalten teure Medikamente billiger und greifen gleichzeitig immer stärker in den Markt ein. Hermann: »Wir werden vom Versicherer zum Versorger.« Zudem können sie ihren Versicherten Innovationen anbieten, die andere Krankenkassen weniger gern erstatten, und verbessern so ihre Wettbewerbsposition.

 

Sollten sich Rabattverträge mit Herstellern patentgeschützter Arzneimittel durchsetzen, dann werden sich auch die Steuerungsinstrumente im Arzneimittelmarkt verändern. Festbeträge oder Importregelung seien dann obsolet, erwartet Hermann. Dasselbe gelte für Zuzahlungsbefreiungsschwellen.

 

Es steht außer Frage, dass diese Entwicklung vor allem im Sinn der großen Versorgerkrankenkassen wäre. Mit ihrer Marktmacht können sie bessere Konditionen aushandeln als kleine Betriebskrankenkassen.

 

Hermann sieht am Ende der Entwicklung einen neuen Rahmen für den Arzneimittelmarkt. Die Krankenkassen behielten dann zwar einen einheitlichen Leistungskatalog für Arzneimittel. Über Arzneimittelvergleichsgruppen könnten die Kassen jedoch mit eigenen Positivlisten die kassenspezifische Erstattung regeln. Viele andere Regulierungen würden überflüssig.

 

Ob sich diese Art der Verträge tatsächlich durchsetzt, muss sich aber noch zeigen. Bei der Veranstaltung in Frankfurt äußerte Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim Gemeinsamen Bundesausschuss, Zweifel. Vereinbarungen über patentgeschützte Arzneimittel schränkten die Therapiefreiheit des Arztes noch stärker ein als im Generikamarkt. Faktisch gehe es hier nicht mehr um Aut-idem-Substitution, sondern um Aut simile. Er vermutet, dass die Ärzte deswegen zurückhaltender seien.

 

Im Gegensatz zu den Wirkstoff-Rabattverträgen können die Apotheker bei Innovationen den Lauf der Dinge weitgehend entspannt verfolgen. Sie sind nur Zaungäste und müssen nicht einmal wissen, ob dem Patienten ein Rabattarzneimittel verordnet wurde. Sie müssen nur das Rezept beliefern. Es sei denn, der Hersteller hat Lieferprobleme.

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