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Grünes Licht für Impftablette

30.01.2007  15:07 Uhr

Grünes Licht für Impftablette

Von Christiane Berg, Hamburg

 

Zur spezifischen Immuntherapie bei Gräserpollen-Allergie stand bisher nur die subcutane beziehungsweise sublinguale Hyposensibilisierung mit Tropfen zur Verfügung. Mit einer Impftablette, die standardisierte Allergene aus Gräserpollen von Wiesenlieschgras enthält, ist nun eine weitere Option auf dem Markt.

 

Die lyophilisierte Vakzine ist im September 2006 in 27 Ländern Europas im gegenseitigen Anerkennungsverfahren zugelassen worden. Am 15. November wurde die Gräser-Impftablette Grazax® von der Firma ALK-Scherax zur Therapie der Gräserpollen-induzierten Rhinitis und Konjunktivitis bei Erwachsenen mit klinisch relevanten Symptomen und positivem Prick- beziehungsweise spezifischem IgE-Test auf Gräserpollen in Deutschland eingeführt.

 

»Die sorgfältige Diagnostik eines Allergologen ist eine wichtige Voraussetzung für den Therapieerfolg«, betonte Professor Dr. Claus Bachert von der Universitätsklinik Gent auf einer Presseveranstaltung des Unternehmens. Nachgewiesen sei, dass die Sublingualtablette bei täglicher Anwendung eine systemische kompetitive Antikörperreaktion und protektive Immunantwort auf Gräserpollen induziert und zur Zunahme des spezifischen IgG führt.

 

Die Behandlung mit der Impftablette, so Bachert, sollte schon vor dem Start der Gräserpollensaison beginnen. Zudem sollte die erste Tablette unter Aufsicht eines Arztes unter die Zunge gelegt werden, damit dieser das Ausmaß eventueller Nebenwirkungen beobachten kann. Denn circa 70 Prozent der Patienten klagen für Minuten bis Stunden über lokale Reaktionen wie Brennen im Hals oder Juckreiz in den Augen oder an den Ohren, Handflächen und Fußsohlen. Nur in den seltensten Fällen sei allerdings die Anwendung symptomatischer Antiallergika erforderlich. Die Nebenwirkungen gehen meist innerhalb von ein bis sieben Tagen von selbst zurück. Im Falle schwerer systemischer Reaktionen, bei Angiödemen sowie bei Schluck- und Atembeschwerden, Veränderungen der Stimme und Engegefühl im Hals, zum Beispiel bei Überdosierung, muss die Therapie sofort ausgesetzt werden.

 

Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass die Lyo-Tablette mit trockenen Fingern aus dem Blister entnommen werden muss. Gekühlt werden muss das Präparat allerdings nicht. Nach der Einnahme ist Schlucken für etwa eine Minute zu vermeiden. Zudem darf fünf Minuten lang nichts gegessen oder getrunken werden. Bei chirurgischen Eingriffen in der Mundhöhle einschließlich Zahnextraktionen sollte die Therapie für eine Woche unterbrochen werden, um die Heilung der Mundhöhle zu ermöglichen.

 

Signifikanter Rückgang der Symptome

 

Wirksamkeit und Verträglichkeit der empfohlenen täglichen Dosis wurde in acht Studien bei mehr als 1700 Patienten dokumentiert, so Bachert. Die Immuntherapie mit der Impftablette sei schon in der ersten Gräserpollensaison wirksam. Das habe die multizentrische und randomisierte GT-08-Doppelblindstudie mit 634 Graspollen-Allergikern, die seit mindestens zwei Jahren an einer behandlungsbedürftigen allergischen Rhinokonjunktivitis litten, gezeigt. Über die gesamte Pollensaison hätten sich die Symptome der Probanden durchschnittlich um 36 Prozent und der Bedarf an zusätzlichen antiallergischen Medikamenten um 51 Prozent im Vergleich zu Placebo vermindert.

 

82 Prozent der Patienten hätten sich »besser« oder »viel besser« gefühlt. Der Unterschied zur Placebogruppe sei mit 49 Prozent hoch signifikant gewesen.

 

In einer weiteren Studie reduzierte die Gräser-Impftablette die Symptome in der zweiten Therapiesaison durchschnittlich um 44 Prozent. Der Medikamentenverbrauch konnte im Vergleich zu Placebo um 73 Prozent gesenkt werden. Diese Ergebnisse, so der Referent, zeigen, dass die Gräser-Impftablette voraussichtlich eine lang anhaltende Wirkung zeigt, wenn die Behandlung, wie empfohlen, ganzjährig über drei Jahre durchgeführt wird.

 

Bachert zeigte sich überzeugt, dass die sublinguale spezifische Immuntherapie zukünftig verstärkt auch von Patienten mit Gräserpollen-Allergie angenommen werden wird, die sich aus zeitlichen oder räumlichen Gründen beziehungsweise aufgrund einer Spritzenphobie bislang lediglich auf die anderen beiden Säulen der Allergentherapie, die Allergenkarenz und symptomatische Therapeutika, stützten.

 

Beginn vier Monate vor Pollensaison

 

Auch Dr. Stefan Espenschied, Karlsruhe. wertete die Tablette als Fortschritt. Der Allergologe unterstrich, dass die SIT mithilfe der Impftablette zur kausalen Basistherapie der Rhinokonjunktivitis zukünftig an Bedeutung gewinnen und somit das Risiko eines Etagenwechsels hin zum Asthma bronchiale gesenkt werden wird.

 

Als Kontraindikationen nannte Espenschied Tumorerkrankungen und Autoimmun- beziehungsweise Immundefektkrankheiten sowie schweres Asthma. Die sublinguale Immuntherapie habe keinen oder nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Die gleichzeitige Therapie mit symptomatischen Antiallergika wie Antihistaminika, Corticosteroiden und Mastzellstabilisatoren könne die Toleranzschwelle der Patienten gegenüber der Immuntherapie erhöhen. Die Kosten der Therapie werden von den Krankenkassen erstattet. Optimal sei der Beginn der spezifischen Immuntherapie mindestens vier Monate vor der Pollenflugsaison. Wird die Therapie zwei bis drei Monate vor der Gräserpollensaison begonnen, kann zumindest eine begrenzte Wirkung erwartet werden.

Was sind SIT und SLIT?

Die spezifische Immuntherapie (SIT) beziehungsweise Hyposensibilisierung gilt als einzige Kausaltherapie allergischer Erkrankungen. Durch regelmäßige, über einen längeren Zeitraum erfolgende Zufuhr des auslösenden Allergens in unterschwelligen, meist langsam ansteigenden Konzentrationen führt sie zum schrittweisen Herabsetzen der allergenspezifischen IgE-vermittelten Reaktionsbereitschaft des Organismus. Bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) wird das Präparat zur Hyposensibilisierung in Form von Tropfen oder einer Tablette unter die Zunge gegeben. Im Gegensatz dazu wird bei der klassischen Hyposensibilisierung das Mittel subkutan injiziert. Die Bildung von Antikörpern beziehungsweise Schaffung einer verminderten Degranulationsbereitschaft der Mastzellen und basophilen Granulozyten führt letztlich zur immunologischen Toleranz der Allergene.

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