Medicare-Reform überlastet Apotheken |
31.01.2006 14:58 Uhr |
Medicare-Reform überlastet Apotheken
von Patrick Hollstein, Berlin
Bei der Einführung des Medicare-Arzneimitteltarifs sind in den USA erhebliche organisatorische Probleme aufgetreten. Zahlreiche Patienten sind in den vergangenen Wochen ohne eindeutigen Versichertenstatus in den Apotheken aufgefallen. Die Regierung sagte den überforderten Pharmazeuten jetzt Unterstützung zu.
Seit Jahresbeginn übernimmt in den USA die staatliche Krankenversicherung für Senioren, Medicare, erstmals die Arzneimittelrechnungen für ihre Mitglieder. 30 Millionen Rentner sollen von dem neuen Programm profitieren; 24 Millionen Menschen wurden in den vergangenen Wochen von Medicare erfasst. Doch nur knapp ein Zehntel der Versicherten hat sich tatsächlich freiwillig für einen entsprechenden Tarif eingeschrieben.
Bei der Mehrzahl der Senioren stößt die größte Reform in der Geschichte des amerikanischen Gesundheitswesens noch immer auf Unverständnis. Weil Medicare die Arzneimitteltarife über private Versicherungsfirmen (so genannte Pharmacy Benefit Management Companies, PBMs) anbieten lässt, müssen die Rentner in jedem Staat zwischen bis zu 40 verschiedenen Angeboten abwägen. Die Tarife variieren hinsichtlich Prämie, Eigenbeteiligung und Erstattungsgrenzen. Auch die Palette der erstatteten Arzneimittel sowie der Vertragsärzte und -apotheken müssen die Patienten bei der Auswahl berücksichtigen. Für viele Amerikaner Anlass genug, den Abschluss der Zusatzversicherung aufzuschieben.
Fehlbeträge anschreiben
Meist war es der erste Apothekenbesuch nach dem Jahreswechsel, der die Defizite in der Organisation der Jahrhundertreform zu Tage treten ließ: Rentner, die sich zu spät für einen entsprechenden Tarif entschieden hatte, waren noch nicht im zentralen Register erfasst. Nicht selten waren die Versichertenkarten noch mit der Post unterwegs. In anderen Fällen stimmten Zuzahlungsangaben nicht mit den Erwartungen der Patienten überein. Zahlreiche Versicherte, vor allem solche, die automatisch in eins der neuen Programme übertragen wurden, kannten weder ihren Versichertentarif noch den Namen ihrer Versicherungsfirma. Aus allen Landesteilen berichteten Apotheker von einem »chaotischen Albtraum«. Statt pharmazeutischer Tätigkeiten nehme die Klärung verwaltungstechnischer Angelegenheiten den Hauptteil des Tagesgeschäfts in Anspruch. »Ich fühle mich wie ein Versicherungsagent«, kommentierten zahlreiche Apotheker die Zustände der letzten Wochen. Zahlreiche Apotheken hatten in Erwartung der Umstellung sogar vorübergehend ihr Personal aufgestockt.
Doch die Aussicht auf Klärung offener Fragen war gering: Die Hotlines des Centers for Medicare & Medicaid Services (CMS) und der verschiedenen Versicherungen waren stundenlang besetzt. Einmal durchgestellt, erhielten die geradezu verzweifelten Apotheker nicht selten den Hinweis, dass vor der Belieferung der Verordnung meist Arzneimittel, welche die betroffenen Patienten bereits seit Jahren einnahmen ein zusätzliches ärztliches Attest einzuholen sei. Mitunter mussten die hilfsbereiten Pharmazeuten die Erfahrung machen, dass ihre Apotheke kein Vertragspartner der Versicherung und damit nicht zur Belieferung der entsprechenden Verordnungen berechtigt war. Denn ein Teil der Versicherungen setzt komplett auf die postalische Belieferung der Patienten durch eine vertraglich gebundene Versandapotheke oder ein eigenes Auslieferungszentrum.
In der Regel blieb den von ihren verzweifelten Patienten bedrängten Apothekern nur die Möglichkeit, die dringend benötigten Arzneimittel vorläufig abzugeben und entsprechende Fehlbeträge »anzuschreiben«. Bei Zuzahlungsdifferenzen von bis zu 100 US-Dollar war der Handlungsspielraum natürlich schnell begrenzt. Zudem mussten die Pharmazeuten stets damit rechnen, bei Medikamenten, die nicht im Erstattungskatalog eines bestimmten Tarifs gelistet waren, gänzlich leer auszugehen.
Apotheken fordern Unterstützung
In einem offiziellen Aufruf bat die National Community Pharmacists Association (NCPA) jetzt Großhändler, Hersteller und Medicare-Geldgeber um Unterstützung in Form eines Aufschubs ausstehender Zahlungen. Bereits im Vorfeld hatten Politiker die Apotheken aufgefordert, keinen Patienten ohne seine dringend benötigten Arzneimittel wegzuschicken.
Nachdem die Pharmazeuten den politischen Druck als »wenig konstruktiv« kritisiert hatten, legte Washington jetzt nach: Ein Sprecher der Bush-Regierung kündigte an, dass der Staat die Auslagen der öffentlichen Verwaltungen zur Einführung der neuen Medicare-Tarife erstatten wird. In mehr als zwei Dutzend Bundesstaaten laufen bereits entsprechende Förderprogramme.
Allein der Bundesstaat Alabama will 15 Millionen US-Dollar zur Entschädigung der Apotheken bereitstellen, in Georgia wird ein Kredit in Höhe von 6,6 Millionen Dollar locker gemacht. Mitte Februar laufen die Förderprogramme voraussichtlich aus; die Apotheken haben bis Juni Zeit, von den Versicherungen erstattete Beträge zurückzuzahlen.