Ivabradin senkt die Herzfrequenz |
25.01.2006 11:12 Uhr |
Ivabradin senkt die Herzfrequenz
von Kerstin A. Gräfe, Eschborn
Der neue Arzneistoff Ivabradin hemmt selektiv und spezifisch den If-Kanal im Sinusknoten, der die Herzfrequenz reguliert. Er ist zugelassen zur Behandlung der chronischen stabilen Angina pectoris bei Patienten mit normalem Sinusrhythmus, die eine Kontraindikation oder Unverträglichkeit für Betablocker aufweisen.
Seit Januar ist mit Ivabradin (Procoralan® 5 mg und 7,5 mg Filmtabletten, Servier Deutschland GmbH) der erste Vertreter der If-Kanalhemmer oder If-Inhibitoren auf dem Markt. Der so genannte Funny-Kanal (If) ist ein unspezifischer Ionenkanal in den Schrittmacherzellen des Sinusknotens. Der bei einer Öffnung induzierte Ioneneinstrom steuert im Sinusknoten die spontane Depolarisation, die entscheidend die Herzfrequenz reguliert. Da in den Schrittmacherzellen des Sinusknotens die Depolarisation rascher als in den übrigen Zellen des Erregungsleitungssystems erfolgt, wird der Rhythmus der Herzaktion normalerweise von diesen Zellen bestimmt (aktueller Schrittmacher). Wird der If-Kanal blockiert, sinkt die Herzfrequenz. Dadurch besteht bei Patienten mit Angina pectoris die Möglichkeit, den myokardialen Sauerstoffverbrauch zu senken und den koronaren Blutfluss infolge einer verlängerten Diastole zu steigern.
Ivabradin hemmt selektiv und spezifisch den If-Ionenstrom, wodurch ausschließlich die Herzfrequenz - um etwa zehn Schläge pro Minute - gesenkt wird. Weder das Reizleitungssystem noch die Herzmuskelkraft werden beeinflusst. Im Gegensatz zu Betablockern senkt Ivabradin die Herzfrequenz sowohl in Ruhe als auch unter Belastung, ohne eine negative Inotropie oder Vasokonstriktion zu bewirken.
Die empfohlene Anfangsdosis beträgt zweimal täglich 5 mg, die morgens und abends während der Mahlzeiten eingenommen werden sollte. Abhängig vom Ansprechen kann die Dosis nach drei bis vier Wochen auf zweimal täglich 7,5 mg erhöht, bei dauerhaften Absinken der Herzfrequenz auf unter 50 Schläge pro Minute auf zweimal täglich 2,5 mg reduziert werden. Nach oraler Einnahme wird der Arzneistoff schnell und fast vollständig resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nüchtern nach etwa einer Stunde erreicht. Eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme verzögert die Resorption um etwa eine Stunde. Um intra-individuelle Unterschiede zu vermeiden, wird daher die Einnahme während der Mahlzeiten empfohlen. Ivabradin wird weitgehend in der Leber und im Darm über Cytochrom P450 A4 (CYP3A4) metabolisiert. Der aktive Hauptmetabolit ist das N-demethylierte Derivat. Der If-Blocker wird mit einer effektiven Halbwertszeit von elf Stunden eliminiert.
Kontraindiziert ist die gleichzeitige Anwendung von starken CYP3A4-Inhibitoren wie Azol-Antimykotika (Ketoconazol, Itraconazol), Makrolid-Antibiotika (Clarithromycin, Erythromycin per os, Josamycin, Telithromycin), HIV-Proteasehemmern (Nelfinavir, Ritonavir) und Nefazodon. Da Grapefruitsaft die Ivabradin-Plasmaspiegel verdoppelt, sollten Patienten den Saft während der Behandlung nur selten trinken. CYP3A4-Induktoren wie Rifampicin, Barbiturate, Phenytoin und Johanniskraut können die Ivabradin-Konzentration und seine Wirksamkeit herabsetzen. Die gleichzeitige Einnahme von CYP3A4-induzierenden Arzneimitteln kann daher eine Anpassung der Ivabradin-Dosis erforderlich machen.
Augenbeschwerden möglich
Die Zulassung basiert auf vier doppelblinden randomisierten Studien, in denen die antianginöse und antiischämische Wirkung von Ivabradin mit Placebo, Atenolol und Amlodipin verglichen wurde. Insgesamt nahmen an den Studien 3222 Patienten mit chronischer stabiler Angina pectoris teil, 2168 von ihnen erhielten Ivabradin. Im Vergleich zu Placebo verringerte der If-Kanalblocker in einer Dosis von 5 oder 7,5 mg zweimal täglich signifikant die Anzahl der Angina-pectoris-Anfälle. Verglichen mit einmal täglich 100 mg Atenolol oder zweimal täglich 10 mg Amlodipin konnte für zweimal täglich 5 oder 7,5 mg Ivabradin in zwei großen kontrollierten Studien eine vergleichbare Wirksamkeit nachgewiesen werden. Auch hier vergrößerte Ivabradin die Dauer einer schmerzfreien Belastbarkeit, reduzierte die Zahl der Angina-pectoris-Episoden und verlängerte die Zeit bis zum Auftreten von Ischämiezeichen im Belastungs-EKG. Die Unterschiede im Vergleich zu den beiden Referenzsubstanzen waren statistisch nicht signifikant.
Häufigste Nebenwirkung in den Studien war eine Erkrankung der Augen. Da der Netzhautstrom Ih stark dem If-Strom des Herzens ähnelt, kann Ivabradin auch hier Effekte haben. So berichteten 14,5 Prozent der Patienten von so genannten Phosphenen, das heißt von lichtbedingten visuellen Symptomen, die sich als eine verstärkte Helligkeit in einem begrenzten Bereich des Gesichtsfeldes äußerten. Bei mehr als Dreiviertel der Betroffenen (77,5 Prozent) verschwanden die visuellen Symptome während der Behandlung, bei weniger als 1 Prozent führten sie zum Therapieabbruch. Wie sich eine Langzeitbehandlung über ein Jahr auf die Funktion der Netzhaut auswirkt, ist bislang nicht bekannt. Bei Patienten mit Retinitis pigmentosa ist Vorsicht angebracht. Eine schwere Bradykardie trat bei 0,5 Prozent der Patienten auf. Insgesamt wird die Therapie mit Ivabradin bislang als sicher angesehen.