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Hessen schreibt Geschichte

25.01.2006  11:12 Uhr

Universitätskliniken

Hessen schreibt Geschichte

von Daniel Rücker, Eschborn

 

Innerhalb von dreizehn Monaten hat das Land Hessen seine Universitätskliniken in Marburg und Gießen erst fusioniert und dann an einen privaten Konzern verkauft. Das ist in Deutschland ohne Beispiel. Doch das Renommierprojekt von Ministerpräsident Roland Koch hat auch Kritiker.

 

Am vergangenen Freitag hat das Bundeskartellamt dem Verkauf des Universitätsklinikums Mittelhessen an die Rhön-Klinikum AG zugestimmt, am Dienstag folgte der Hessische Landtag. Dabei stimmten nicht nur die Abgeordneten der regierenden CDU, sondern auch die der FDP für die erste Privatisierung eines deutschen Universitätsklinikums. Der Kaufpreis beträgt 112 Millionen Euro. Dafür erhält Röhn 95 Prozent des Stammkapitals.

 

Ein wesentlicher Grund für Fusion und Verkauf der Unikliniken waren die leeren Kassen des Landes. Im Laufe der Jahre war es zu einem massiven Innovationsstau gekommen. Den soll nun die Rhön AG auflösen. Der Konzern hat sich im Kaufvertrag verpflichtet, in Gießen 170 Millionen Euro in einen Neubau zu investieren. In Marburg sind sogar 197 Millionen Euro vereinbart. Während FDP und CDU in Hessen die Privatisierung als Erfolg feiern, haben sich SPD und Grüne in den vergangenen Monaten wiederholt kritisch geäußert. In einer Stellungnahme vom 19. Dezember bezeichneten die hessischen Grünen den Verkauf der Kliniken an Rhön als »Zumutung«. Der Verkauf berge enorme Gefahren für Studienplätze, Arbeitsplätze und die Krankenhausversorgung in Hessen. Zudem sei der Kaufpreis von 112 Millionen Euro »der blanke Hohn«.

 

Die hessische SPD sorgt sich grundsätzlich um das Tempo, mit dem Ministerpräsident Roland Koch vorgegangen ist. Der Ministerpräsident habe einen unbändigen Drang, Neuland zu betreten und drücke sein Projekt mit »brachialer Gewalt durch«, sagen die Sozialdemokraten. Die Privatisierung berge erhebliche Risiken und für eine Rückabwicklung gebe es keinen Plan. Die Sozialdemokraten sorgen sich unter anderem um Forschung und Lehre. Die Freiheit von Forschung und Lehre in der Hochschulmedizin seien nicht hinreichend abgesichert, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Dr. Thomas Spies nach einer Landtagsanhörung Mitte November 2005. Die Skepsis wurde ursprünglich auch vom Wissenschaftsrat geteilt. Dessen Vorsitzender Professor Dr. Karl Max Einhäupl kritisierte noch im vergangenen Jahr, dass sich der Staat immer stärker aus Forschung und Lehre zurückzieht. Bei einer Privatisierung von Hochschuleinrichtungen müsse garantiert sein, dass der Betreiber nicht zum Nachteil von Forschung und Lehre entscheiden könne.

 

Fördermittel für die Forschung

 

Am vergangenen Freitag stimmte der Wissenschaftsrat dann der Privatisierung der Universitätsklinik zu. Auch nach dem geplanten Verkauf an die Rhön-Klinikum AG werde das Krankenhaus den Anforderungen an ein Universitätsklinikums gerecht werden können, befand das Gremium. Das Land Hessen habe deutlich gemacht, wie ernst es ihm sei, auch ein privates Klinikum an den Belangen von Forschung und Lehre auszurichten. Das Plazet ist für das Klinikum nicht unerheblich. Der Wissenschaftsrat entscheidet, ob das Krankenhaus den Status einer Universitätsklinik behält und entsprechende Fördermittel bekommt.

 

Bedenken hat der Präsident des Medizinischen Fakultätentages, Professor Dr. Gebhard von Jagow. Ihm fehlen bei der Privatisierung des Uniklinikums die strategischen Konzepte. »Ich bin in großer Sorge, was die Weitsicht der hessischen Landesregierung betrifft«, sagte er im vergangenen Juni dem »Deutschen Ärzteblatt«. Es gebe zwar Absichtserklärungen, das neue Uniklinikum solle auch in der Forschung bundesweit einen Spitzenplatz einnehmen. Es fehlten aber konkrete Konzepte, wie dies sichergestellt werde. Auch die Ärztevertretung Marburger Bund (mb) glaubt nicht, dass das privatisierte Uniklinikum eine Spitzenplatz in der Forschung einnehmen wird. Klinikbetreiber hätten naturgemäß wenig Interesse an Forschung und Lehre, sagt mb-Chef Ulrich Montgomery.

 

Der Abbau der Forschung könnte begleitet werden von einem Abbau der Arbeitsplätze, führen die Kritiker der Fusion ins Feld. Von den aktuell rund 11 000 Stellen könnten zwischen 10 und 30 Prozent mittelfristig wegfallen, befürchten die Personalräte in Gießen und Marburg. Betriebsbedingte Kündigungen sind zwar bis 2010 per Vertrag ausgeschlossen, in den Kliniken gibt es jedoch eine Vielzahl befristeter Stellen.

 

Zweifel am Sinn der Privatisierung von Universitätskliniken hegen aber auch Wirtschaftswissenschaftler. So sagt der Leiter des Centrums für Krankenhausmanagement an der Universität Münster, Professor Dr. Wilfried von Eiff: »Privatisierung ist kein Allheilmittel, schon gar nicht für Unikliniken.« Die universitären Disziplinen müssten auch weiterhin unabhängig von den Interessen Dritter sein.

 

Verlierer von Fusionen dürften in der Regel auch die Krankenhausapotheken sein. Beim Klinikum Mittelhessen sollen sie in Marburg zentralisiert werden. Rund 500.000 Euro sollen allein dadurch gespart werden. In der öffentlichen Diskussion spielt dies freilich keine Rolle.

 

Da Fusion und Privatisierung der Universitätskliniken in Marburg und Gießen in Deutschland bislang einzigartig sind, bleiben die Prognosen auf Spekulationsniveau. Die nächsten Jahre werden zeigen, wer am Ende Recht behält. Eines ist aber sicher: Angesichts der angespannten Haushaltslage der meisten Bundesländer wird die Entwicklung des Universitätsklinikums Mittelhessen bundesweit aufmerksam verfolgt werden. Geschichte hat Hessen damit in jedem Fall gemacht. Es fragt sich jedoch, ob als Vorbild oder abschreckendes Beispiel.

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