Plädoyer für Atypika |
24.01.2018 10:22 Uhr |
Antipsychotika sind hoch wirksam in der Akutphase der Psychose und können in der Langzeittherapie Rückfälle verhindern. Ihr Sicherheitsprofil variiert jedoch erheblich. Patienten sollten schon bei der Ersterkrankung möglichst auf atypische Antipsychotika eingestellt werden, betonte Professor Dr. Martina Hahn von den Kliniken Vitos Rheingau.
»Vor Einführung der ersten Antipsychotika in den 1950er-Jahren litten Schizophrenie-Patienten durchschnittlich drei Jahre an einer akuten Psychose. Heute sind es im Schnitt 16 Tage«, informierte die Apothekerin. Antipsychotika seien stark und rasch wirksam und erzeugten weder Toleranz noch Abhängigkeit. Eine dauerhafte Therapie sei zudem wichtig, um Rückfälle und Klinikaufenthalte zu verhindern und den krankheitsbedingten Verlust an Hirnsubstanz aufzuhalten, sagte Hahn. Atypische oder Zweit-Generations-Antipsychotika (SGA) wie Clozapin, Olanzapin und Risperidon könnten das Volumen an grauer Hirnsubstanz dosisabhängig sogar steigern, während der Abbau unter klassischen Substanzen wie Chlorpromazin, Promethazin und Haloperidol (First Generation Antipsychotics, FGA) voranschreite.
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Unterschiedliche Risiken
Ein großes Problem sind die potenziellen Nebenwirkungen der Substanzen. Häufig lösen FGA extrapyramidal-motorische Störungen (EPS) und QTc-Verlängerung aus und verstärken die Negativ-Symptome der Schizophrenie. SGA wirkten besser als FGA, auch gegen Negativ-Symptome, so Hahn. »Mit Abstand am besten wirksam ist Clozapin, aber es ist aufgrund seiner Nebenwirkungen nicht Mittel der ersten Wahl.«
SGA hätten zwar ein geringeres Risiko für EPS, aber sie führten häufig zur Gewichtszunahme und unabhängig davon zu Diabetes und Dyslipidämie. Das gelte vor allem für Olanzapin – 30 bis 40 kg Zunahme im ersten Behandlungsjahr sind möglich – und Clozapin. Das geringste Gewichtsrisiko sei bei Haloperidol und Ziprasidon zu beobachten; bei Aripiprazol sei die Zunahme »relativ moderat«. Nur ein geringes metabolisches Risiko ist für Risperidon, Paliperidon, Aripiprazol und Ziprasidon, aber auch für Haloperidol belegt. »Das Sicherheitsprofil der Antipsychotika variiert erheblich«, fasste die Referentin zusammen. »Und mit der Verträglichkeit steigt die Adhärenz.«
Im Alltag ist diese meist mäßig: Vermutlich nehmen 50 bis 60 Prozent der ambulanten Schizophrenie-Patienten ihre verordneten Antipsychotika nicht ein und 90 Prozent sind zumindest teilweise nicht adhärent. Das liegt zum einen an der extrem komplexen Therapie, zum anderen an der kognitiven Beeinträchtigung vieler Patienten. Jedoch können bei abruptem Absetzen der Medikation starke Rebound-Psychosen, Manien, massive Agitation und andere schwere Nebenwirkungen auftreten, mahnte die Apothekerin.
Leitlinie empfiehlt Depot
In der Langzeitbehandlung sollten dem Patienten immer Depot-Antipsychotika angeboten werden, berichtete Hahn aus der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Vorteil: Depotpräparate schützen besser vor Rückfällen als eine orale Therapie. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2011 gibt es 30 Prozent weniger Rückfälle als unter Peroralia – selbst bei guter Adhärenz der Patienten.
Die Depotspritzen sind bei den Patienten jedoch gefürchtet, da ältere Substanzen wie Haloperidol, Flupentixol und Fluphenazin in Sojaöl gelöst sind und die Injektion sehr schmerzhaft ist. Dagegen liegen Antipsychotika der zweiten und dritten Generation wie Paliperidon, Olanzapin, Risperidon und Aripiprazol als wässrige Depot-Zubereitungen vor. Die Applikation sei nicht schmerzhaft und erfolge je nach Präparat alle zwei bis zwölf Wochen.