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Hörsturz und Tinnitus

Streik des Innenohrs

24.01.2017  14:30 Uhr

Kausale Therapien gegen Hörsturz oder Tinnitus gibt es nicht. Aber man kann lernen, Hörgeräusche positiv zu bewerten und Geräusche zu filtern. Für die Betroffenen bedeutet dies einen enormen Gewinn an Lebensqualität.

Plötzlich macht ein Ohr dicht, als hätte jemand den Lautstärkeregler runtergedreht: »Plötzliche einseitige und akute Innenohrhörminderungen treten in der Regel ohne erkennbare Ursache auf. Sie sind somit als idiopathisch anzusehen«, sagte Professor Dr. Gerhard Hesse vom Ohr- und Hörinstitut in Bad Arolsen. Hingegen seien Hörminderungen und auch Ohrgeräusche, die zum Beispiel nach hoher Lärmbelastung entstehen, zwar auch akut, aber einer definierten Ursache zuzuordnen. Auch entzündliche und gefäßbedingte Umstände könnten einen Hörsturz oder Tinnitus hervorrufen. Das sei allerdings sehr selten, so Hesse.

 

Hoch dosierte Corticoide

 

In der Akutbehandlung beider Erkrankungen wird eine hoch dosierte Cortisontherapie empfohlen. Die Evidenz dafür ist allerdings schwach – eine Wissenslücke, die die derzeit laufende HODOKORT-Studie schließen soll, wie Hesse informierte. In einem dreiarmigen Parallelgruppendesign werden eine intravenöse sowie eine orale Hochdosis-Glucocorticoid-Therapie (fünf Tage lang 250 mg Prednisolon intravenös beziehungsweise fünf Tage 40 mg Dexamethason oral) im Vergleich zur international empfohlenen Standarddosistherapie (fünf Tage 60 mg Prednisolon oral plus ausschleichende Dosen) verglichen.

 

Obwohl die Ohrgeräusche fast immer durch eine Schädigung des Innenohrs und damit peripher generiert werden, entstehen die Belastung und das Leiden erst durch zentrale Verarbeitung und Vernetzung im Cortex. »Die Lebensqualität der Betroffenen ist stark beeinträchtigt«, betonte Hesse. Letztlich seien es die psychosomatischen Begleiterscheinungen wie Angst und Depression, die die Behandlungs­bedürftigkeit ausmachen.

 

Wegen dieser zentralen Komponente zielen neuere Therapieansätze wie magnetische oder elektrische Stimulationen darauf ab, diese Strukturen direkt zu beeinflussen. Evidenz­basiert sind sogenannte Habituationstherapien. Sie sollen bewirkten, dass der Patient dem Ohrgeräusch weniger Bedeutung zumisst, er sich stabilisiert und sich an das Ohrgeräusch gewöhnt (Habituation). Liegen Komorbiditäten wie Depressionen oder Schlafstörungen vor, sollen diese leitliniengerecht behandelt werden. Keine Wirksamkeit zeigen Ginkgo-biloba-Extrakte, Benzodiazepine oder Betahistin. Ein Abschalten der Ohrgeräusche ist nicht möglich, wohl aber die langfristige Gewöhnung daran, so das Fazit Hesses.

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