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Diabetes und Schwangerschaft

Gute Einstellung, gesundes Kind

21.01.2013  14:01 Uhr

Von Iris Hinneburg / Wenn Frauen mit Diabetes mellitus ein Kind erwarten oder in der Schwangerschaft Störungen der Glucose­toleranz auftreten, ist eine gute Stoffwechseleinstellung besonders wichtig. Denn nur dann lassen sich die Risiken für Mutter und Kind verringern.

Ein gesundes Kind – das wünschen sich wohl alle Schwangeren. Gesundheit­liche Probleme können aber für Mutter und Kind entstehen, wenn der Blut­zucker­spiegel in der Schwangerschaft erhöht ist. Das kann sowohl bei einem bestehenden Diabetes der Fall sein als auch bei einem Diabetes mellitus, der sich erstmals während der Schwangerschaft manifestiert. Bei einem bekannten Diabetes handelt es sich in den meisten Fällen um eine Typ-1-Erkrankung. Zunehmend häufiger tritt bei Frauen im gebärfähigen Alter ein Typ-2-Diabetes auf, sodass eine Schwangere auch an dieser Form des Diabetes mellitus leiden kann (1).

 

Glucosetoleranzstörungen in der Schwangerschaft sind kein Rand­problem. Nach den Erhebungen der Peri­natalstatistik 2011 ist bei 1 Prozent aller Schwangeren vor der Empfängnis ein Diabetes bekannt. Bei mehr als 4 Prozent aller Schwangerschaften tritt ein Gestationsdiabetes auf. Experten vermuten, dass bisher viele Fälle eines Gestationsdiabetes übersehen wurden und die wahren Zahlen deutlich höher liegen (1).

 

Doch was ist ein Gestations- oder Typ-4-Diabetes? Bis vor einigen Jahren wurden dazu alle Diabetesdiagnosen während einer Schwangerschaft gezählt. Nach der neuesten Definition liegt ein Gestationsdiabetes nur vor, wenn die Blutzuckerwerte im oralen Glucosetoleranztest (oGGT) zwar die definierten Grenzwerte erreichen, aber noch nicht die Kriterien für einen manifesten Diabetes erfüllen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Grenzwerte des 75-g-oGTT für die Diagnose Gestationsdiabetes; Blutzuckerwerte gemessen im venösen Plasma; nach (3)

Zeitpunkt Grenzwerte
nüchtern ≥ 92 mg/dl (5,1 mmol/l)
nach 1 Stunde ≥ 180 mg/dl (10,0 mmol/l)
nach 2 Stunden ≥ 153 mg/dl (8,5 mmol/l)

Grenzwerte für einen manifesten Diabetes mellitus: Bei Gelegenheitsmessung beziehungsweise im oGTT nach 2 Stunden ≥ 200 mg/dl (11,1 mmol/l) oder bei Nüchternmessung ≥ 126 mg/dl (7,0 mmol/l)

Frauen, bei denen in der Schwangerschaft erstmals ein manifester Diabetes entdeckt wird, werden genauso behandelt wie Schwangere, bei denen die Erkrankung vorher bekannt war. Davon unterscheidet sich die Therapie des Gestations­diabetes (2, 3).

 

Einfluss auf den Glucosestoffwechsel

 

Eine Schwangerschaft führt zu vielen hormonellen Veränderungen, etwa bei Estrogenen, Progesteron, humanem Chorion-Gonadotropin (HCG), Prolaktin und Cortisol. Diese Hormone beeinflussen auch den Glucosestoffwechsel. In der Frühschwangerschaft verbrauchen die peripheren Gewebe und Organe vermehrt Glucose. In der zweiten Schwangerschaftshälfte verschlechtert sich dagegen die Insulinempfindlichkeit, und es entsteht eine zunehmende Insulinresistenz.

 

Das hat Folgen für die Behandlung von Frauen mit Typ-1-Diabetes. Im ersten Schwangerschaftsdrittel benötigen sie weniger Insulin, das Risiko für Hypo­glykämien steigt. Ab dem zweiten Trimenon müssen die Frauen die Insulindosis in der Regel deutlich erhöhen (2).

 

Bei Frauen mit intakter Funktion der Bauchspeicheldrüse nimmt ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel die Insulinsekretion zu. Wenn dies aber nicht ausreicht, steigt der Blutzuckerspiegel besonders nach den Mahlzeiten an. Auf diese Weise kann sich – bei bereits bestehenden latenten Störungen der Glucosetoleranz – ein Gestations­diabetes manifestieren.

 

Experten gehen davon aus, dass beim Gestationsdiabetes die gleichen Risikofaktoren eine Rolle spielen wie beim Typ-2-Diabetes: genetische Prädisposition, Übergewicht, falsche Ernährung und mangelnde Bewegung (3).

 

Der gestörte Glucosestoffwechsel birgt eine Reihe von gesundheitlichen Gefahren für Mutter und Kind. Deshalb gelten (Gestations-)Diabetikerinnen als Risikoschwangere, für die eine eng­maschige Betreuung notwendig ist. Das Apothekenteam sollte eine schwangere Frau daher auf die ange­botene Diagnostik hinweisen und bei diagnostizierter Erkrankung zur guten Compliance motivieren.

 

Folgen für das Kind

 

Abnorme Blutzuckerspiegel in der Schwangerschaft beeinflussen die Gesundheit des Kindes bereits im Mutterleib. Hyperglykämien erhöhen das Risiko für Spontanaborte, Früh- und Totgeburten. Zu niedrige Glucose­spiegel können das Wachstum des Ungeborenen bremsen (SGA, small for gestational age).

 

Je höher die Glucosespiegel der Mutter, desto mehr Insulin schüttet die kindliche Bauchspeicheldrüse aus. Anzahl und Größe der Betazellen nehmen zu. Die gesteigerte Insulinausschüttung lässt das Ungeborene stärker wachsen (LGA, large for gestational age, Makrosomie). Dadurch können Geburts­komplikationen wie eine Schulter­dystokie (fehlerhafte Einstellung der kindlichen Schulter in das Becken der Mutter nach dem Austreten des Kopfes) auftreten. Außerdem kann es nach der Geburt zu lang anhaltenden Hypoglykämien kommen.

 

Häufig leiden Neugeborene von diabetischen Müttern an Reifungsstörungen. Dazu gehören etwa Atemnotsyndrome, erhöhte Spiegel von Bilirubin und Hämoglobin sowie Elektrolyt­störungen, die Krämpfe auslösen können. Auch Fehlbildungen an Herz, Nerven­system, Skelett und ableitenden Harnwegen kommen häufiger vor, besonders wenn die Stoffwechsellage im ersten Trimenon während der Organ­bildung schlecht kontrolliert war. Diese Risiken können durch eine gute Stoffwechseleinstellung deutlich reduziert werden (2, 3).

 

Diabetes in der Schwangerschaft hat auch langfristige Folgen für das Kind. Wenn der Embryo im Uterus erhöhten Blutzuckerwerten ausgesetzt ist, steigt das Risiko, dass das Kind bereits in der Pubertät oder im frühen Erwachsenenalter Übergewicht und eine Glucosetoleranzstörung oder einen Typ-2-Diabetes mellitus entwickelt (3).

 

Folgen für die Mutter

 

Frauen mit schlecht eingestelltem Diabetes leiden häufig unter Störungen des Zyklus und der Fruchtbarkeit. Aber auch nach der Empfängnis können Probleme auftreten. Die werdende Mutter leidet häufiger an Harnwegsinfekten, schwangerschaftsbedingter Hyper­tonie und Präeklampsie. Wächst das Kind übermäßig, steigt das Risiko für eine Kaiserschnitt-Entbindung, vaginal-operative Eingriffe bei der Geburt und Geburtsverletzungen.

 

Nach der Entbindung normalisiert sich die Stoffwechsellage zwar meist rasch, doch damit ist die Gefahr nicht gebannt. Hat eine Frau in der Schwangerschaft einmal einen Gestations­diabetes entwickelt, ist die Glucose­toleranz mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in folgenden Schwangerschaften gestört. Zudem erkranken Frauen nach einem Gestationsdiabetes häufiger als Frauen ohne diese Stoffwechselpro­bleme im Lauf der nächsten Jahre an einem manifesten Diabetes mellitus, in der Regel Typ 2 (2, 3).

Prävention von Typ-1-Diabetes beim Kind

Ob ein Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt, hängt unter anderem mit genetischen Faktoren zusammen. Wenn Mutter, Vater und/oder ein Geschwisterkind Typ-1-Diabetiker sind, steigt das Risiko stark an (2). Aber auch Umwelteinflüsse spielen eine Rolle. So lässt sich bei Kindern von diabetischen Müttern das Risiko für einen Typ-1-Diabetes durch Stillen senken. Allerdings sollte die Mutter auch während der Stillzeit auf eine gute Blutzuckereinstellung achten, da ein zu hoher Glucosegehalt der Muttermilch Autoimmunprozesse beschleunigen könnte (2, 11).

 

Daneben werden andere Strategien erforscht, um das Diabetesrisiko beim Kind zu verringern. Dazu gehören verschiedene Ansätze von »Impfungen« mit Substanzen, die beim Typ-1-Diabetes Autoantigene darstellen, zum Beispiel mit Insulin oder mit dem Enzym Glutamat-Decarboxylase. Dadurch soll eine Autoimmunreaktion verhindert oder zumindest abgeschwächt werden. Dieser Ansatz ähnelt der Hyposensibilisierung, nur werden statt Allergenen körpereigene Substanzen verwendet (12).

Da die Glucoseutilisation im ersten Drittel der Schwangerschaft verbessert ist, haben Frauen mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Risiko für Hypoglykämien. Um die Energieversorgung des Fetus zu gewährleisten, sorgen die Plazenta­hormone in der Schwangerschaft für einen vermehrten Abbau von Triglyceriden und eine stärkere Bildung von Keton­körpern. Dadurch kann bei schwangeren Diabetikerinnen leichter eine Ketoazidose auftreten. Eine Ketoazidose mit einem drohenden Koma kann sich schneller als bei nicht-schwangeren Diabetikerinnen und bereits bei niedrigeren Blutzuckerwerten (ab 200 mg/dl) entwickeln. Die Stoffwechselentgleisung ist ein lebensbedrohlicher Notfall für Mutter und Kind und muss meist stationär behandelt werden.

Eine Ketoazidose bei schwangeren Diabetikerinnen kann entstehen, wenn zu wenig Insulin zugeführt wird, der Insulin­bedarf ansteigt, oder vermehrt Stresshormone ausgeschüttet werden, die die Insulinwirkung antagonisieren. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören Erkrankungen mit Erbrechen, Infektionen, Versagen der Insulinpumpe sowie die Behandlung mit Betasym­pathomimetika, etwa zur Wehenhemmung, oder Glucocorticoiden. In diesen Situationen sollte die Schwangere die Blutzuckerwerte besonders sorgfältig kontrollieren und die Insulindosis entsprechend anpassen. Bei stark erhöhten Blutzuckerwerten ist die Bestimmung von Ketonkörpern in Urin oder Blut erforderlich.

 

Das Apothekenteam sollte die typischen Symptome einer Ketoazidose kennen. Im frühen Stadium sind beschleunigte Atmung (Hyper­venti­la­tion), Schwäche, Bewusstseinsein­trübung, Austrocknung, Erbrechen und eine erhöhte Urinausscheidung (Polyurie) zu beobachten (4). Wenn schwangere Diabetikerinnen über solche Beschwerden berichten, sollte sofort der Notarzt gerufen werden (2).

 

Da die Gesundheitsrisiken für Mutter und Kind sinken, wenn der Glucosestoffwechsel gut eingestellt ist, sollten Typ-1-Diabetikerinnen eine Schwangerschaft möglichst gut planen. Bereits vor der Empfängnis sollte die Frau auf gute Blutzuckerwerte achten; das heißt, der HbA1c-Wert soll drei Monate präkonzeptionell unter 7 Prozent liegen. Gleiches gilt bei einem bestehenden Typ-2-Diabetes. Hier bestehen häufig weitere Risikofaktoren für die Schwangerschaft wie Adipositas oder Hypertonie (2).

 

Gestationsdiabetes früh entdecken

 

Um mögliche Störungen des Glucosestoffwechsels möglichst früh zu entdecken, bietet der Arzt allen Schwangeren zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einen oralen Glucose­toleranz­test (oGTT) an. Dieses Screening gehört seit Anfang 2012 zu den Routineuntersuchungen gemäß Mutter­schaftsrichtlinien.

Diabetes und Schilddrüse

Frauen mit Typ-1-Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für eine Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis). Daher wird die Bestimmung des TSH-Werts möglichst früh in der Schwangerschaft (idealerweise präkonzeptionell) sowie drei bis zwölf Monate nach der Geburt empfohlen. Dann kann bei Bedarf L-Thyroxin substituiert werden, um eine ausreichende Entwicklung des Fetus zu gewährleisten. Auch bei einer Autoimmunthy­reoiditis sollte die Schwangere ausreichend Iod zu sich nehmen (2).

Im Gegensatz zu den Empfehlungen in den Leitlinien wird in der oGTT nach den Mutterschaftsrichtlinien zwei­stufig durchgeführt. Der Vortest erfolgt mit 50 g Glucose zu einem belie­bigen Zeitpunkt (nicht nüchtern). Nur wenn der Blutzuckerwert nach einer Stunde zwischen 135 und 200 mg/dl (7,5 und 11,1 mmol/l) liegt, folgt die zweite Stufe des Tests mit 75 g Glucose. Die Diag­nose Gestationsdiabetes wird gestellt, wenn mindestens einer der drei gemessenen Werte (nüchtern, nach einer sowie nach zwei Stunden) oberhalb des Grenzwerts liegt (Tabelle 1) (5).

 

Bei Frauen mit Risikofaktoren wie Adipositas, familiärer Veranlagung für Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämien, kardiovaskulären Vorerkrankungen oder einem Gestationsdiabetes in früheren Schwangerschaften sollte der Gynäkologe den Blutzucker bereits in der Frühschwangerschaft messen und gegebenenfalls einen oGTT durchführen (3). Experten erwarten, dass durch das neu eingeführte Screening in den nächsten Jahren deutlich mehr Fälle von Gesta­tions­diabetes diagnostiziert werden (1).

 

Ist die Diagnose gesichert, beginnt für die Schwangere die Behandlung mit einer Basistherapie aus Ernährungs­umstellung und vermehrter körper­licher Bewegung. Gleichzeitig muss die Patientin ihren Blutzuckerspiegel überwachen. Dazu ist eine sorgfältige Schulung notwendig. Die aktuelle Leitlinie sieht deshalb die Beratung und Behandlung bei einem Diabetologen vor. Wenn die Blutzuckerwerte nach spätestens zwei Wochen nicht die Ziel­werte (Tabelle 2) erreicht haben, braucht die Schwangere eine Insulintherapie (3).

 

Insuline in der Schwangerschaft

 

Insulin ist das einzige Antidiabetikum, das in der Schwangerschaft zugelassen ist. Beim Gestations- oder beim Typ-2-Diabetes kann der Arzt in Ausnahmefällen Metformin verordnen, wenn die Insulinresistenz sehr stark ausgeprägt ist und der Blutzuckerspiegel nicht zufriedenstellend eingestellt werden kann. Für diese Indikationen ist Met­formin aber nicht zugelassen (off-label use). Im Normalfall wird die Pharma­kotherapie daher auch bei Schwangeren mit Typ-2-Diabetes auf Insulin umgestellt (3).

Tabelle 2: Zielwerte der Blutglucose in der Schwangerschaft bei normalem fetalen Wachstum; Werte gemessen mit plasmakalibrierten Patientengeräten; nach (7)

Zeitpunkt der Messung Grenzwerte
nüchtern, präprandial 65 bis 95 mg/dl (3,6 bis 5,3 mmol/l)
1 Stunde postprandial < 140 mg/dl (< 7,8 mmol/l)
2 Stunden postprandial < 120 mg/dl (< 6,7 mmol/l)

In der Leitlinie werden kurz oder intermediär wirksame Humaninsuline empfohlen. Auch die Gabe der kurz wirk­samen Analoga Insulin aspart oder Insulin lispro ist möglich. Ob diese allerdings patientenrelevante Vorteile gegen­über Humaninsulin haben, ist auch für die Anwendung in der Schwangerschaft umstritten (2, 3, 6). Für das kurz wirksame Insulin glulisin sowie die lang wirksamen Analoga Insulin detemir und glargin fehlen verlässliche Daten zur Sicherheit in der Schwangerschaft. Daher sollten diese Wirkstoffe nicht eingesetzt werden (2, 3).

 

Mit der Insulintherapie sollte die Mutter möglichst normnahe Blut­zucker­werte erreichen (Tabelle 2). Gleichzeitig gilt es aber auch, Hypo­glykämien und Ketoazidosen zu vermeiden. Daher empfehlen Experten eine inten­sivierte Insulintherapie oder eine Insulin­pumpe mit häufigen Blut­zucker­kontrollen (2).

Schwangerschaft und diabetische

Die aktuellen Leitlinien sehen bei Schwangeren mit insulinpflichtigem (Gestations-)Diabetes häufigere Ultraschallkontrollen vor als bei stoffwechselgesunden Schwangeren. Damit kann der Arzt neben möglichen Fehlbil­dungen auch Wachstumsrestriktionen (SGA, small for gestational age, etwa bei zu niedrigen Glucosespiegeln) und Makrosomie (LGA, large for gestational age, etwa durch erhöhte Glucosespiegel) beim Fetus frühzeitig erkennen. Dann ist eine Anpassung der Blut­zucker­ziele und der Therapie möglich (2, 3, 7).

 

Gut ernähren, viel bewegen

 

Grundsätzlich gelten für Schwangere mit Diabetes die gleichen Ernährungsregeln wie für andere Schwangere. Dies gilt beispielsweise für die Substitution von Folsäure (0,4 bis 0,8 mg/Tag) und Iod (200 μg/Tag) bereits vier Wochen vor der Empfängnis und mindestens während des ersten Trimenons. Dadurch lässt sich das erhöhte Risiko für Fehlbildungen senken (2).

Spritzt die Frau Insulin, muss sie – wie sonst auch – bei der Dosierung die Menge und Art der verzehrten Kohlenhydrate beachten. Wie bei stoffwechselgesunden Frauen sollte sich die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft am BMI vor der Schwangerschaft orien­tieren (Tabelle 3). Adipöse Schwangere sollten ihre Kalorienzufuhr begrenzen, allerdings nicht unter 1600 kcal/Tag, und auf eine ausreichende Proteinzufuhr achten. Sinnvoll ist die Kontrolle des Urins auf Ketonkörper. So kann die Frau eine ketogene Stoffwechsellage schnell erkennen und durch Steigerung der Kalorienzufuhr oder des Kohlen­hydrat­anteils beheben (3).

 

Für die Ernährungstherapie bei Gestations­diabetes ohne Insulinpflicht gelten besondere Regeln. Der Kohlenhydratanteil der Nahrung ist gegenüber den allgemeinen Empfehlungen etwas reduziert und liegt bei 40 bis 50 Prozent. Sinnvoll sind drei nicht zu große Hauptmahlzeiten sowie zwei bis drei kleine Zwischenmahlzeiten. Um einen gesteigerten Blutzuckeranstieg wegen der höheren Insulinresistenz am Morgen zu vermeiden, sollte die Schwangere zum Frühstück weniger Kohlenhydrate verzehren als mittags oder abends. Eine Spätmahlzeit kann eine überschießende Ketonkörper­bil­dung während der Nacht verringern (3).

 

Wenn keine Kontraindikationen, zum Beispiel vorzeitige Wehen, Blutungen oder Blutdruckanstieg gegen körperliche Aktivität sprechen, können Frauen mit Diabetes wie alle anderen Schwangeren Sport treiben. Sinnvoll ist ein aerobes Ausdauertraining auf leichtem bis mittlerem Niveau. Wenig geeignet sind Sportarten mit hohen Verletzungsrisiko oder Gelenkbelastung.

Tabelle 3: Gewichtsziele in der Schwangerschaft; nach (3)

BMI vor der Schwangerschaft Gewichtszunahme pro Woche im 2. und 3. Trimenon (kg) Gewichtszunahme in der Schwangerschaft gesamt (kg)
unter 18,5 0,5 bis 0,6 12,5 bis 18
18,5 bis 24,9 0,4 bis 0,5 11,5 bis 16
25,0 bis 29,9 0,2 bis 0,3 7 bis 11,5
> 30 0,2 bis 0,3 5 bis 9

Besonders Frauen mit Typ-2-Diabetes und Gestationsdiabetes profitieren von flotten, mindestens 30-minütigen Spaziergängen nach den Mahlzeiten, die die postprandialen Blutzuckerwerte senken. Körperliche Aktivität senkt die Insulinresistenz und kann dazu bei­tragen, dass weniger Insulin benötigt wird. Im günstigen Fall müssen Frauen mit Gestationsdiabetes dann nicht mit einer Insulintherapie beginnen (3, 6).

 

Empfehlenswert für Geburt und Stillzeit

 

Wird der Diabetes mit Insulin behandelt, sollte die Frau für die Entbindung ein Krankenhaus wählen, das eine Intensiv­ver­sorgung des Neugeborenen gewährleisten kann (Perinatalzentrum des Levels 2). Auch für Schwangere mit Gestationsdiabetes ist ein Krankenhaus mit angeschlossener Neonatologie sinnvoll. Um das Risiko für Geburtskomplikationen durch eine Makro­somie des Kindes zu verringern, sollte der Entbindungstermin nicht überschritten werden. Wenn das geschätzte Geburtsgewicht des Kindes über 4500 g liegt, ist in der Regel eine geplante Entbindung per Kaiserschnitt notwendig.

 

Während der Geburt werden Blut­zuckerwerte zwischen 80 und 130 mg/dl (4,4 bis 7,2 mmol/l) im kapillären Plasma angestrebt. Zu hohe Werte stimulieren die Insulinproduktion beim Kind und erhöhen das Risiko für eine kind­liche Hypoglykämie nach der Geburt. Umgekehrt hemmen zu niedrige Blutzuckerwerte die Wehentätigkeit. In der Praxis wird die Dosis des Basalinsulins verringert, der Blutzucker häufig gemessen und bei Bedarf mit kurz wirk­samem Insulin korrigiert (2). Spritzt die Frau kein Insulin, sind während der Geburt keine Blutzuckerkontrollen notwendig (3).

 

Mütter mit Diabetes sollten ihre Neugeborenen bereits 30 Minuten nach der Geburt anlegen, um Hypo­glykämien beim Kind zu vermeiden. Ist das nicht möglich, bekommt das Neugeborene peroral Kohlenhydrate in Form von Formulanahrung oder einer Maltodextrin-Lösung. Blutzuckerkon­trollen in den ersten 24 bis 48 Stunden lassen eine kindliche Hypoglykämie schnell erkennen (9).

 

Der Insulinbedarf sinkt nach der Geburt der Plazenta rapide, sodass in dieser Phase ein erhöhtes Risiko für Hypo­glykämien besteht. Auch beim Einsetzen der Milchproduktion nimmt der Insulin­bedarf in der Regel ab. Nach der Geburt und in der Stillzeit sollte die diabetische Mutter daher häufig den Blutzucker messen und die Insulindosis daran anpassen.

Bei einem Gestationsdiabetes ist in der Regel postpartal keine weitere Insulin­therapie notwendig. Das sollte durch Blutzuckerkontrollen bestätigt werden (2, 3). Besonders bei Frauen mit Typ-2-Diabetes und schlechter Blut­zucker­einstellung können Wund­hei­lungs­störungen auftreten (6).

 

Stillen wird für alle Frauen mit Diabetes explizit empfohlen. Es senkt das Risiko, dass das Kind einen Typ-1-Diabetes entwickelt oder übergewichtig wird. Auch die Mutter profitiert: Litt die Frau an einem Gestationsdiabetes, senkt Stillen ihr Risiko, später an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken (2, 3, 10). Ist eine Pharmakotherapie erforderlich, sollen in der Stillzeit wie in der Schwangerschaft keine oralen Antidiabetika, sondern Insu­line eingesetzt werden (2).

 

Und danach?

 

Ein Gestationsdiabetes ist ein Alarm­signal, dass Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes vorliegen. Daher wird sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt ein oraler Glucosetoleranztest mit 75 g Glucose empfohlen. Sind die Blutzuckerwerte normal, reichen weitere Untersuchungen im Abstand von zwei bis drei Jahren aus. Bei gestörter Glucose­toleranz (erhöhte Nüchtern- oder Postprandialwerte unterhalb der Diagnosekriterien für einen manifesten Diabetes) wird eine jährliche Diabetesdiagnostik empfohlen.

 

Wichtig ist vor allem auch eine Beratung zum Lebensstil, die die Frau zu einer guten Ernährung, viel Bewegung und Senkung des Körpergewichts motiviert. Besonders bei Frauen mit Gestationsdiabetes kann das Apothekenteam mit einer fundierten Beratung zu Lebensstilfaktoren dazu beitragen, die Risiken für Mutter und Kind zu senken. Bei weiteren Schwangerschaften sollte der Arzt die Blutzuckerspiegel bereits im ersten Trimenon überprüfen (3). /

Literatur

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Deutsche Diabetes Hilfe (DiabetesDE), Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2013. Verfügbar unter: www.diabetesde.org/fileadmin/users/Patientenseite/PDFs_und_TEXTE/Infomaterial/Dia[...]richt_2013.pdf (aufgerufen am 06.12.2012).

S3-Leitlinie Diabetes und Schwangerschaft. AWMF-Registernr. 057-023, Stand April 2008 und Praxisleitlinie.

S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus. AWMF-Registernr. 057/008, Stand August 2011.

Parker, J. A., Conway, D. L., Diabetic ketoacidosis in pregnancy. Obstet. Gynecol. Clin. North Am. 34 (2007) 533-543.

Gemeinsamer Bundesausschuss: Mutterschafts-Richtlinien (Einführung eines Screenings auf Gestationsdiabetes). Beschluss vom 15. 12. 2011. www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1424 (aufgerufen am 06.12.2012).

Kleinwechter, D. H., Schäfer-Graf, U., Typ-2-Diabetes und Schwangerschaft. Diabetologe 7 (2011) 39–50.

Kleinwechter, H., Individuelle Therapieziele bei Schwangeren mit Diabetes. Diabetologe 8 (2012) 143-148.

Schäfer-Graf, U., Schwangerschaft bei Typ-1- und -2-Diabetes mellitus. In: Palitzsch, K.-D., Haak, T. (Hrsg.), Diabetologie für die Praxis. Thieme Stuttgart 2012, S. 353-360.

S2k-Leitlinie Betreuung von Neugeborenen diabetischer Mütter. AWMF-Registernr. 024-006, Stand Mai 2010.

Ziegler, A.-G., et al., Long-term protective effect of lactation on the development of type 2 diabetes in women with recent gestational diabetes mellitus. Diabetes 61 (2012) 3167-3171.

Plagemann, A., Harder, T., Fuel-mediated teratogenesis and breastfeeding. Diabetes Care 34 (2011) 779-781.

Diabetesinformationsdienst München: Prävention und Impfung. www.diabetesinformationsdienst-muenchen.de/forschung/praevention-und-impfung/index.html (aufgerufen am 06.12.2012).

 

Die Autorin

Iris Hinneburg studierte Pharmazie an der Philipps-Universität, Mar­burg, und wurde an der Martin-Luther-Uni­ver­sität, Halle-Wittenberg, promoviert. Nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre in Halle und Helsinki (Finnland) arbeitet sie heute freiberuflich als Medizinjournalistin. Ihr Schwerpunkt ist die pharmazeutische Fortbildung. Sie ist Autorin der Bücher »Beratungspraxis Diabetes mellitus« und »Beratungs­praxis Schilddrüsenerkrankungen« und produziert die Podcasts »3 Minuten Fortbildung« sowie, gemeinsam mit Elisabeth Thesing-Bleck, »Die seniorengerechte Apotheke«.

 

 

Dr. Iris Hinneburg, Wegscheiderstraße 12, 06110 Halle (Saale), E-Mail: medizinjournalistin(at)gmx.net, http://medizinjournalistin.blogspot.com

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