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22.01.2008 13:52 Uhr |
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Von Sven Siebenand
Jährlich erkranken in Deutschland rund 150.000 Menschen an Sepsis, die Hälfte von ihnen stirbt an dieser aggressiven Form einer Infektion. Zwei kürzlich publizierte Studien stellen nun gängige Behandlungsschemata infrage.
Sepsis-Patienten haben häufig deutlich erhöhte Blutzuckerwerte. Um den Glukosespiegel zu kontrollieren, wurde bisher statt einer normalen (konventionellen) eine intensivierte Insulintherapie empfohlen. Eine Studie des Kompetenznetzes Sepsis, durchgeführt vom Team um Professor Dr. Konrad Reinhart und Dr. Frank Brunkhorst von der Universität Jena, konnte jedoch keinen Vorteil gegenüber der konventionellen Insulintherapie nachweisen. Wie die Forscher im Fachjournal »New England Journal of Medicine« (Band 358, Seiten 125 bis 139) berichten, musste die Studie mit 537 Sepsis-Patienten aus Sicherheitsgründen sogar vorzeitig abgebrochen werden. Patienten mit intensivierter Insulintherapie hatten keinen Überlebensvorteil. Was sie aber hatten, war ein erhöhtes Risiko für schwere Unterzuckerungen (Blutzucker ≤ 40 mg/dl). Während es in der Gruppe mit konventioneller Therapie bei nur 4 Prozent der Patienten dazu gekommen war, waren es unter intensivierter Insulintherapie 17 Prozent der Patienten mit schwerer Hypoglykämie. »Wir konnten nicht mehr ausschließen, dass Patienten durch die schweren Hypoglykämien zu Schaden kommen und haben die Studie daher vorzeitig abgebrochen«, sagte Brunkhorst gegenüber der PZ. Das Risiko einer potenziell lebensbedrohlichen Unterzuckerung ist um den Faktor 5 bis 6 erhöht.
Negativstudie zu Hydroxyethylstärke
Ein zweiter Aspekt der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie ist der Vergleich der Infusions-Behandlung von Sepsis-Patienten mit kolloidalen Hydroxyethylstärke-Präparaten oder Ringerlactat-Lösung. Derzeit setzen Ärzte beide Varianten des Volumenersatzes dazu ein, um Herzzeitvolumen und Sauerstoffangebot kurzfristig zu erhöhen. Die Studienergebnisse zeigten jedoch, dass es unter Hydroxyethylstärke (HES) vermehrt zum akuten Nierenversagen (35 versus 23 Prozent) kam und das auch die 90-Tages-Sterblichkeit erhöht war (41 versus 34 Prozent).
»Ein böses Erwachen«, so Brunkhorst, gab es auch bei der Auswertung der zweiten im »New England Journal of Medicine« erschienenen Studie (Band 358, Seiten 111 bis 124). Sie stellt die niedrig dosierte Therapie mit Hydrocortison infrage. »Das ist eine weltweite Standard-Therapie, die aber bislang nie in einer ausreichend großen Multicenterstudie überprüft wurde«, sagt der Mediziner. Im Rahmen der Corticosteroid Therapy of Septic Shock (CORTICUS)-Studie sollte das nun nachgeholt werden. Wissenschaftler vom Hadassah Medical Center in Jerusalem fanden heraus, dass eine niedrig dosierte Hydrocortisontherapie die Sterblichkeit der Patienten nicht senken konnte. Insgesamt wurden etwa 500 Patienten in die Studie einbezogen. Sie erhielten entweder Placebo oder fünf Tage lang 200 mg Hydrocortison. Primärer Endpunkt der Studie war die Sterberate in den ersten 28 Tagen. Zu diesem Zeitpunkt waren 31,5 Prozent der Patienten unter Placebo gestorben, während es unter Cortison 34,3 Prozent waren. Was laut Brunkhorst zudem zu denken gibt, ist die erhöhte Rate an Hyperglykämien, Hypernatriämien und Reinfektionen in der Cortison-Gruppe.
Bereits Ende der 1980er-Jahre hatten Studien keine Vorteile, dafür aber Risiken einer hoch dosierten Hydrocortison-Therapie gezeigt. Dementsprechend empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft, hoch dosierte Corticoide in der Therapie der schweren Sepsis oder des septischen Schocks nicht zu verwenden. Brunkhorst ist überzeugt, dass sich die Ergebnisse der nun veröffentlichten Studien auf die Leitlinien auswirken werden. Noch in diesem Jahr werde voraussichtlich eine Neuauflage erscheinen.
Goldene sechs Stunden
Entscheidend für den Therapieerfolg ist die möglichst frühe Diagnose der Sepsis, so Brunkhorst. Ein geeigneter Marker sei zum Beispiel Procalcitonin (PCT), da dessen Spiegel bereits frühzeitig im Blut der Patienten ansteigt. Zudem sei PCT leicht im Krankenhaus zu bestimmen und zeige auch das Ansprechen oder das Nicht-Ansprechen einer Therapie an. Der Erfolg der Behandlung sei in hohem Maße von der Therapie in den ersten sechs Stunden abhängig. Noch im Laufe der ersten Stunde einer schweren Sepsis sollte unbedingt die Therapie mit einem Breitspektrum-Antibiotikum eingeleitet werden. »Möglichst breit und immer auch Pseudomonas mit abdecken«, empfahl der Mediziner. Mit jeder Stunde, die ohne Antibiotikum vergeht, nehme die Sterblichkeit um 7 Prozent zu. Ebenfalls wichtig ist die möglichst frühe Kreislauftherapie, das heißt ausreichend Volumenersatz-Präparate, vorzugsweise Ringerlactat-Lösung.
Derzeit stütze sich die Therapie häufig nicht auf Evidenz, weitere große intensivmedizinische Studien seien notwendig, sagt Brunkhorst. »Damit kann die Sicherheit der Patienten deutlich verbessert werden.«
Die Sepsis, umgangssprachlich auch Blutvergiftung genannt, ist eine außer Kontrolle geratene Infektion. Sie wird durch Mikroorganismen und deren Toxine hervorgerufen. Wenn es dem Körper nicht gelingt, die Infektion auf ihren Ursprungsort zu begrenzen, lösen die Gifte innerhalb kurzer Zeit eine Entzündung in allen Organen aus. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung zeigt sich die Sepsis selten als roter Streifen am Arm, der zum Herzen zieht. Sie kann vielmehr als Komplikation bei allen Infektionskrankheiten, etwa Mandel- oder Lungenentzündung, auftreten. Die Sterblichkeit an Sepsis ist seit Jahrzehnten unverändert hoch. Durchschnittlich verbringen Sepsis-Patienten zwölf Tage auf einer Intensivstation. Allein die direkten Behandlungskosten der Sepsis werden in Deutschland jährlich auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt.