Neue Option bei Darmkrebs |
22.01.2008 13:52 Uhr |
Neue Option bei Darmkrebs
Von Brigitte M. Gensthaler
Für Patienten mit metastasiertem Darmkrebs, die auf eine Chemotherapie nicht mehr ansprechen, gibt es eine neue Therapieoption. Der rein humane Antikörper Panitumumab kann die Tumorprogression bei bestimmten Patienten aufhalten und die Krankheit für einige Zeit stabilisieren.
Die Hämatologie und Onkologie ist eine Domäne der biotechnologisch hergestellten Arzneimittel: Etwa die Hälfte aller Biotechnologika wird hier eingesetzt. Das liegt daran, dass Forscher die Tumorbiologie immer besser verstehen und gezielt in die Signalwege der Tumorzellen eingreifen wollen, ohne normale Zellen zu stören. Für die zielgerichtete Therapie (targeted therapy) eignen sich monoklonale Antikörper besonders gut. Seit einigen Jahren versuchen die Mediziner, die Therapie nicht nur auf den Tumortyp, sondern auch auf den individuellen Patienten und seine Erkrankung auszurichten. Diese »personalized/tailored therapy« schränkt zwar den Kreis der potenziellen Anwender ein, aber die, die das Medikament bekommen, profitieren stärker davon.
Der Begriff Theranostik beschreibt die enge Verzahnung von Diagnostik und Therapie. »Damit wird die Eignung eines Arzneimittels für eine bestimmte Krankheit bei einem individuellen Patienten erfasst«, erklärte der Pathologe Professor Dr. Thomas Kirchner von der Universität München bei der Einführungspressekonferenz von Panitumumab (Vectibix®, Amgen). Prototyp der »tailored therapy« ist die Brustkrebsbehandlung mit Trastuzumab (Herceptin®) - aber nur bei Frauen, bei deren Tumor eine HER2-Überexpression nachgewiesen wurde.
Das Ende Dezember 2007 von der EMEA zugelassene Panitumumab ist ein weiteres Beispiel für einen Arzneistoff mit einem exakt umrissenen Einsatzgebiet. Zugelassen ist er bei Patienten mit metastasiertem Kolon- oder Rektumkarzinom, die auf eine Chemotherapie nicht mehr ansprechen und deren Tumor membranständigen Epidermal Growth-Factor-Rezeptor (EGFR) und Wildtyp-KRAS exprimiert. Was bedeutet das?
Der rein humane monoklonale Antikörper bindet an den EGFR, verhindert dessen Aktivierung und stoppt damit die Signalweiterleitung ins Zellinnere. Der intrazelluläre EGFR-Ras-MAP-Kinase-Signalweg, der Proliferation, Angiogenese und Metastasierung der Tumorzelle maßgeblich steuert, kommt nicht in Gang. Letztlich stoppt das Zellwachstum und der programmierte Zelltod startet. Dieser Mechanismus funktioniert aber nur, wenn die Tumorzellen ein normales KRAS-Protein (siehe dazu Kasten) bilden. Patienten mit KRAS-Mutationen, in Studien waren es 30 bis 40 Prozent, haben keinen oder kaum Nutzen von Panitumumab. Das bedeutet, dass das Tumorgewebe des Patienten vor Therapiebeginn analysiert werden muss, erklärte Kirchner. Derzeit bieten sieben pathologische Institute in Deutschland eine qualitätsgesicherte Mutationstestung an.
Eine Phase-III-Studie mit 463 Patienten mit fortgeschrittenem EGFR-exprimierenden Karzinom in Kolon oder Rektum bestätigte das Konzept. Alle Patienten hatten auf Oxaliplatin oder Irinotecan nicht mehr angesprochen. Die Hälfte erhielt eine optimale unterstützende Therapie (best supportive care, BSC), die anderen zusätzlich alle zwei Wochen Panitumumab (6 mg/kg Körpergewicht) als Infusion. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben.
Bei 37 Prozent der Patienten wuchs der Tumor unter Antikörpertherapie nicht weiter oder bildete sich sogar teilweise zurück; in der BCS-Gruppe war dies nur bei jedem zehnten Patienten der Fall, berichtete Dr. Dirk Arnold von der Klinik für Innere Medizin der Universität Halle/Saale. Eine retrospektive Analyse zeigte, dass nur Patienten mit Wildtyp-KRAS in den Tumorzellen einen relevanten Nutzen von der Therapie hatten. »Etwa die Hälfte der Patienten mit Wildtyp-KRAS, aber nur 12 Prozent der Patienten mit Mutationen erlebten unter Panitumumab eine partielle Remission oder Stabilisierung«, fasste der Onkologe zusammen. Patienten mit Wildtyp-KRAS überlebten mit dem Antikörper 12,3 Wochen progressionsfrei, im Vergleich zu 7,3 Wochen unter BSC. Menschen mit mutiertem KRAS schnitten nicht besser ab als Patienten der BSC-Gruppe.
Nach Aussagen des niedergelassenen Onkologen Dr. Wolfgang Abenhardt, München, sprechen Menschen, die Hautreaktionen als Nebenwirkung zeigen, in der Regel gut auf die Therapie an. Panitumumab sei mindestens so wirksam wie der seit 2004 zugelassene chimäre EGFR-Inhibitor Cetuximab. In der Praxis biete der neue Antikörper einige Vorteile: Er wird nur alle zwei Wochen infundiert, die Infusionsdauer beträgt eine Stunde. Zudem sind weder eine initiale Aufsättigung noch eine Prämedikation mit Antihistaminika erforderlich.
Das KRAS-(Kirsten rat sarcoma 2 viral oncogene homolog)-Gen gehört zur Gruppe der Ras-Proto-Onkogene. Normalerweise regeln Proto-Onkogene und die dadurch kodierten Proteine das Zellwachstum. Sind sie mutiert, können sie unkontrolliertes Wachstum von Tumorzellen zulassen oder sogar fördern.
Das vom KRAS-Gen kodierte Ras-Protein hat eine Schlüsselfunktion in der zellulären Kommunikation. So stoßen viele extrazelluläre Signale einen intrazellulären Signalweg an, der letztlich die Zellproliferation, Angiogenese und Metastasierung anregt. Dieser Ablauf wird von Ras-Proteinen reguliert, die ihrerseits ebenfalls streng kontrolliert sind. Mutationen im KRAS-Gen können dazu führen, dass die Signalkaskade ohne äußeren Stimulus ständig aktiviert ist und die Zelle unkontrolliert zum Wachsen anregt. KRAS ist eines der am häufigsten aktivierten Onkogene; 17 bis 25 Prozent aller humanen Tumoren enthalten eine aktivierende Mutation. Diese tritt in normalen Zellen fast nie auf.