Verfahren ohne Sieger |
17.01.2012 15:24 Uhr |
Von Daniel Rücker / Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat in Teilen das Geschäftsmodell einer Apothekerin gebilligt, die Arzneimittel aus Ungarn in ihrer Apotheke abgegeben hat. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Pick-up-Angebote grundsätzlich erlaubt sind.
Das Konzept mutet abenteuerlich an. Einen Apothekerin aus Freilassing lässt über einen Großhändler deutsche Originalmedikamente an die Budapester Europa-Apotheke liefern. Dann bietet sie ihren Kunden an, diese Medikamente über die Freilassinger Apotheke zu bestellen und dort nach einigen Tagen abzuholen. Die Rechnung für die Arzneimittel stellt die Apotheke in Budapest. Die Beratung erfolgt in der Apotheke der Beklagten in Freilassing. Auf apothekenpflichtige Arzneimittel gab es 22 Prozent Preisnachlass, auf rezeptpflichtige Arzneimittel immerhin noch 10 Prozent. Finanziert wurde der Rabatt vor allem aus dem niedrigeren Mehrwertsteuersatz. Er beträgt in Ungarn auf Arzneimittel nur 5 Prozent.
Gericht sieht keinen Verstoß
Zwei andere Apothekerinnen aus Freilassing klagten gegen das Geschäftsmodell ihrer Kollegin und bekamen in der ersten Instanz Recht. In zweiter Instanz kippte das Oberlandesgericht (OLG) München jedoch Teile dieser Entscheidung. Das Modell sei teilweise nicht zu beanstanden. Die Einfuhr der Medikamente aus Ungarn verstoße weder gegen das Arzneimittelgesetz noch die Apothekenbetriebsordnung.
Am Ende freute sich niemand: Die Klage von zwei Apothekerinnen wiesen die Richter am Bundesgerichtshof ab und erlaubten der beklagten Apothekerin den Import von Arzneimitteln aus Ungarn. Ihr Geschäftsmodell scheitert aber daran, dass sie auf rezeptpflichtige Arzneimittel keinen Rabatt geben darf.
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Einen Sieg konnte die Apothekerin dennoch nicht feiern. Denn das OLG bewertete das Modell nicht als Versandhandel, weil die Abgabe und Beratung in der deutschen Apotheke erfolge. Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln sei deshalb die Arzneimittelpreisverordnung zu beachten. Preisnachlässe dürfe es nur auf OTC-Arzneimittel geben. Mittlerweile stellte die in der Sache beim BGH siegreiche Apothekerin das nunmehr für Kunden unattraktive Angebot ein.
Zumindest im Resultat hat sich der BGH mit seiner Entscheidung vom 12. Januar der Einschätzung des OLG München angeschlossen. Die Apothekerin habe nicht gegen das Verbringungsverbot aus § 73 des Arzneimittelgesetzes verstoßen. Zwar sei das Vertriebskonzept so angelegt, dass die Freilassinger Apotheke den Kauf der Arzneimittel aus der Budapester Apotheke nur vermittele. Tatsächlich nehme aber die Freilassinger Apothekerin die Arzneimittel an und gebe diese selbst an die Kunden ab. Damit sei die deutsche Apotheke verpflichtet, Qualität, Eignung und Unbedenklichkeit der Medikamente zu prüfen. Sie hafte auch dafür. Wie bereits das OLG München schließt der BGH aus dieser Bewertung aber auch die Konsequenz, dass deutsche Preisvorschriften beachtet werden müssen. Eine ausführliche schriftliche Urteilsbegründung liegt allerdings noch nicht vor.
Konsequenzen
Am Ende können sich also weder Klägerinnen noch die Beklagte freuen. Die beiden klagenden Apothekerinnen haben ihr juristisches Ziel nicht erreicht. Die Beklagte musste ihr Geschäftsmodell wegen mangelnder Attraktivität aufgeben, nachdem ihr Rabatte auf rezeptpflichtige Arzneimittel verboten worden waren. Dennoch sehen sich Apotheker und Juristen das Urteil sehr genau an. Sie suchen nach Anhaltspunkten dafür, welche Konsequenzen der Richterspruch für die Bewertung anderer Pick-up-Konzepte hat.
Der BGH nimmt Apotheken in die Haftung für Pick-up-Arzneimittel.
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»Auf eine uneingeschränkte Zulässigkeit von Pick-up-Konzepten lässt sich aus dem Urteil nicht schließen«, ist sich Klaus Laskowski, sicher. Der Justiziar der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) hatte beim BGH die Verhandlung persönlich verfolgt. Der BGH habe sich nicht mit allen relevanten Aspekten von Pick-up beschäftigt. Tatsächlich handelt es sich nach der Einschätzung der BGH-Richter im vorliegenden Rechtsstreit auch gar nicht um ein Pick-up-System.
Für Laskowski birgt die Sicht der Richter, wonach die Abgabe der Arzneimittel an die Patienten der Apotheke zuzuordnen ist, für Pick-up-Konzepte Sprengstoff. Vergleichbare Kooperationen zwischen ausländischen Versendern und Drogeriemärkten müssten danach gegen die Apothekenpflicht verstoßen, weil die Abgabe nicht in einer Apotheke stattfindet. Laskowski: »Mit diesem Urteil dürfte feststehen, dass ein solches Modell mit der Übernahme von für den Apothekenbetrieb wesentlichen pharmazeutischen Abläufen nicht über Drogeriemärkte laufen kann.«
Warten lohnt nicht
Aber auch die Betreiber von Pick-up-Stellen in Apotheken werden nicht jubeln. Günstigere Preise sind der einzige Vorteil, den dieses Konzept den Kunden bieten kann. Das erscheint nun in weiter Ferne, und zwar unabhängig davon, dass das Bundesgesundheitsministerium mit dem Arzneimittelrechtsänderungsgesetz regeln will, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch dann gilt, wenn ausländische Versandapotheken Arzneimittel an deutsche Kunden liefern. Für die Kunden enfällt der Anreiz, auf ein Arzneimittel zu warten.
Eine für dieses Geschäftsmodell wichtige Fragestellung hat der BGH im aktuellen Verfahren nicht behandelt: Ob Mehrwertsteuerunterschiede ausgenutzt werden dürfen, blieb offen. jetzt sind die Finanzgerichte am Zug.
Einen weiteren Aspekt hat der BGH ebenfalls zumindest im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht behandelt. Jede Apotheke, die Arzneimittel über ein Pick-up-System anbietet, hat identische Medikamente in ihrem Lager, die sofort verfügbar wären. Laskowski sieht hier die Gefahr eines Interessenkonfliktes: »Der Apotheker muss entscheiden, ob ein Arzneimittel dringend benötigt wird oder er dem Kunden empfehlen kann, das Arzneimittel vermeintlich günstiger zu beziehen, aber auch später zu erlangen.« Dabei gehe es nicht mehr allein um heilberufliche Aspekte, sondern auch wirtschaftliche Erwägungen des Apothekers in Abhängigkeit zu Dritten.
Es sei denkbar, dass ein Apotheker davon profitiert, wenn er einen Patienten länger auf ein Medikament warten lässt. Der durch das Apothekengesetz garantierte Verbraucherschutz werde so unterlaufen. Hier könne es aber gut sein, dass der BGH diese aus medizinischen Gründen wesentliche Frage aus rein formalen Gründen nicht erörtert habe. Genaueres hierzu wird verlässlich aber erst den Urteilsgründen zu entnehmen sein. /