BGH lässt Skonti freien Lauf |
11.10.2017 09:31 Uhr |
Von Daniel Rücker / Die Apotheker können aufatmen, der pharmazeutische Großhandel eher nicht. Vergangene Woche hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Großhandlungen nicht verpflichtet sind, von ihren Kunden einen Mindestpreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu fordern. Initiator des Verfahrens war die Wettbewerbszentrale in Bad Homburg.
Aus Sicht der BGH-Richter ist der Großhandel bei seinen Preisnachlässen gegenüber Apotheken frei, weil die Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) zwar eine Preisober-, aber keine Preisuntergrenze festlege, wie es in der Entscheidung heißt. Dem Urteil zufolge darf ein Pharmagroßhändler deshalb gegenüber seinen Kunden sowohl auf den in der AmPreisV festgesetzten preisabhängigen Zuschlag von 3,15 Prozent bis zu einer Höhe von 37,80 Euro sowie auf den Festzuschlag von 70 Cent ganz oder teilweise verzichten.
Keine Mindestpreise bei der Abgabe von Rx-Arzneien an Apotheken: Der Pharmagroßhandel hat laut Bundesgerichtshof bei der Höhe der Preisnachlässe freie Hand.
Foto: Phagro
Die Wettbewerbszentrale war als Klägerin davon ausgegangen, dass der Großhändler den Preis für seine Waren nicht beliebig niedrig ansetzen darf, sondern die Höhe der Nachlässe durch die AmPreisV auf maximal 3,15 Prozent begrenzt ist Grundsätzlich wollten die Wettbwerbshüter zudem klären lassen, ob Skonti als Rabatte zu sehen sind.
Der beklagte Großhändler AEP direkt zeigte sich mit der BGH-Entscheidung sehr zufrieden. »Wir sehen durch das Urteil die Rechtssicherheit bestätigt – nicht nur für den pharmazeutischen Großhandel, sondern auch für die Apotheker«, sagte AEP-Geschäftsführer Jens Graefe im Gespräch mit der PZ. Sämtliche Sachargumente, die für Großhandelsskonti sprechen, seien bestätigt worden, betonte er.
Bis zum Verfassungsgericht
Vor dem Urteil hatte der AEP-Chef angekündigt, im Falle eines negativen Bescheids aus Karlsruhe notfalls auch vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. »Wir haben schon damit gerechnet, dass das Urteil aus Bamberg nicht komplett bestätigt werden würde«, sagte er nun. Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg hatte zugunsten der Wettbewerbszentrale geurteilt und nicht zwischen Rabatten und Skonti unterschieden – ein Vorgehen, das Graefe nicht verstehen kann. »Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.«
Das BGH-Urteil ist ein klarer Erfolg für den Alzenauer Pharmagroßhändler, der 2013 mit Unterstützung der österreichischen Post in den deutschen Markt eingetreten war und mit seinem schlichten Preiskonzept in der Branche für Wirbel gesorgt hatte. AEP wirbt mit günstigen Konditionen und transparenten Rabatten: Apotheker bekommen Preisnachlässe auf Rx-Arzneimittel in Höhe von bis zu 5,5 Prozent in Form von Rabatten und Skonti. Der Großhändler bietet seinen Kunden 3 Prozent Rabatt plus 2,5 Prozent Skonto, wenn diese Produkte bis zu 70 Euro innerhalb von 10 Tagen bezahlen. Für teurere Medikamente gibt es 2 Prozent Rabatt zuzüglich 2,5 Prozent Skonto. Außerdem verzichtet AEP auf den Fixzuschlag von 70 Cent pro Packung.
Die Wettbewerbszentrale hatte allerdings Zweifel an diesem Geschäftsmodell. Im Jahr 2015 klagte sie am Landgericht Aschaffenburg gegen das Preismodell von AEP – ohne Erfolg. In nächster Instanz, dem OLG, bekamen die Wettbewerbshüter dann zwar Recht. Jedoch strebten sowohl die Wettbwerbszentrale als auch AEP eine höchstrichterliche Entscheidung beim BGH an. Dessen Urteil ist nun bekannt. Was noch fehlt, ist die Urteilsbegründung, auf diese müssen die Parteien noch ein wenig warten.
Für die Apotheker hat das BGH- Urteil große Bedeutung. Wären die Richter zu dem Schluss gekommen, dass Skonti grundsätzlich der AmPreisV widersprechen, wäre dies nicht nur ein heftiger Schlag für den Großhandel, sondern auch für die Apotheker gewesen. Nach Einschätzung von Experten hätten viele Apotheken auf Einkaufsvorteile in fünfstelliger Höhe verzichten müssen. Und dies hätte auch für Apotheken gegolten, die nicht AEP-Kunden sind.
Mit dem Urteil habe man eine lange im Raum stehende Frage klären lassen, betonte die Wettbewerbszentrale. »Insofern besteht nun für beide Branchen Rechtssicherheit: Der Großhandel darf in legitimer Weise Skonti gewähren, Apotheker dürfen sie rechtmäßig annehmen.«
Das BGH-Urteil schafft endlich Rechtssicherheit in der Frage, ob und in welcher Höhe Großhändler Apothekern Skonti auf Rx-Arzneien gewähren dürfen.
Foto: Picture Alliance
Großhandel alarmiert
Für den Pharmagroßhandel ist die BGH-Entscheidung maximal unerfreulich. Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) hält das Urteil für falsch. «Mit der Entscheidung des BGH, die Großhandelsspanne und damit auch den Festzuschlag von 70 Cent für vollumfänglich rabattierfähig zu erklären, wird § 2 der Arzneimittelpreisverordnung völlig sinnentleert«, sagte der Phagro-Vorsitzende Thomas Trümper. Der Gesetzgeber müsse umgehend klarstellen, dass der Festzuschlag von 70 Cent in der Arzneimittelpreisverordnung nicht rabattierfähig sei.
Die fehlende Preisuntergrenze ist für den Phagro indiskutabel. Er sieht »die Gefahr einer unauskömmlichen Tätigkeit des Großhandels und damit eine Gefährdung der Versorgungssicherheit«. Mit der Neuordnung der Arzneimittelpreisverordnung habe der Gesetzgeber eine auskömmliche Vergütung für den pharmazeutischen Großhandel zur Erfüllung seines gesetzlichen Sicherstellungsauftrags geregelt. Durch einen Festzuschlag von 70 Cent pro Arzneimittelpackung wolle der Gesetzgeber erreichen, dass auch niedrigpreisige Arzneimittel kostendeckend distribuiert werden können.
»Das Urteil öffnet dem Direktvertrieb und einem ungleichen Wettbewerb Tür und Tor«, befürchtet der Phagro. Diese Entscheidung treffe nicht nur den Großhandel, sondern auch viele Apotheken, denen ein unfairer Wettbewerb aufgezwungen werde. Dies habe unmittelbaren Einfluss auf die Versorgung in der Fläche und betreffe die Hälfte der Bevölkerung. »Die Schadensbegrenzung liegt jetzt in der Verantwortung der Bundesregierung«, betonte Trümper. »Es wird sonst außerordentlich schwierig, negative Folgen für die Arzneimittelversorgung in der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.«
Deutlich positiver sieht die ABDA die Entscheidung: »Deutschlands höchste Richter in Zivilsachen haben die Arzneimittelpreisverordnung bestätigt und Klarheit darüber geschaffen, unter welchen Bedingungen die Apotheken die Arzneimittel beim Großhandel beziehen dürfen«, sagte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt.
Damit habe der BGH die Erwartung von Staat und Gesellschaft bekräftigt, dass Apotheker als Freiberufler und Kaufleute möglichst effizient und rational handeln. Das Urteil ermögliche es den Apothekern, die wohnortnahe Arzneimittelversorgung zu gewährleisten sowie Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen, so Schmidt.
Hersteller begrüßen Urteil
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) begrüßt ebenfalls die BGH-Entscheidung: »Die Gewährung von Skonti ist auch in anderen Branchen üblich«, sagte BAH-Hauptgeschäftsführer Martin Weiser. Er sei zufrieden, dass für die Arzneimittelhersteller, den Großhandel sowie die Apotheken endlich Rechtssicherheit herrsche. Das Urteil wertet er als einen Schritt in die richtige Richtung, die Apotheken vor Ort zu schützen. /
Skonti für alle
Keine Frage, die Apotheker haben schon üblere Tage erlebt als den 5. Oktober 2017. Das Skonto-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe hat die Stimmung der Apothekerschaft deutlich verbessert. Ein Jahr nach der desaströsen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Boni für ausländische Versender hat der BGH ein Urteil gefällt, das eine ordentliche Stabilisierung für die Branche bedeutet. Rechtssicherheit für Skonti gibt den Apothekern Zuversicht.
Die Karlsruher Richter haben entschieden, dass Skonti und Rabatte des Großhandels kein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) sind. Mehr noch: Sie haben klargestellt, dass der Großhandel seinen Kunden Preisnachlässe gewähren kann, die über die AmPreisV hinausgehen. Die Verordnung habe eine Ober-, aber keine Untergrenze, heißt es. Die Bedeutung dieser Entscheidung kann kaum überbewertet werden. Nach Berechnungen von Ökonomen hätte ein negatives Urteil die Apotheken jährlich rund eine fünfstellige Summe kosten können. Mit der Karlsruher Entscheidung bekommen die Apotheker indirekt einen Teil dessen zurück, was ihnen der EuGH genommen hat. Leidtragender ist der pharmazeutische Großhandel.
Daher ist es kein Wunder, dass die Großhändler ziemlich angefressen auf das BGH-Urteil reagieren. Besonders stark gefährdet könnten die kleineren Großhandlungen sein. Sollte die Karlsruher Entscheidung eine neuerliche Rabattschlacht auslösen, dann wird es den Mittelständlern schwerer fallen als den großen Konzernen, sich zu behaupten. Kurzfristig wäre das für die Apotheken eine sehr komfortable Konstellation. Wenn sie langfristig aber zulasten der privaten Großhandlungen geht, dann wäre Mäßigung angebracht. Weitsicht schadet selten.
Daniel Rücker, Chefredakteur