Dr. August Oetker – Apotheker und Lebensmittelfabrikant |
05.01.2012 08:56 Uhr |
Von Christoph Friedrich, Marburg / Der Name »Dr. Oetker« ist zu einem Begriff geworden wie kaum der eines anderen Apothekers. Wenig bekannt ist hingegen, dass August Oetker (1862 bis 1918) seinen beruflichen Werdegang in einer Apotheke begann und die Produktion seines Backpulvers und des Puddingpulver zunächst in seiner Apotheke erfolgte. Im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen, einschließlich solcher der Pharmaindustrie, ist die »Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG« heute noch mit der Familie verbunden und befindet sich nach wie vor in Bielefeld, wo ihr Gründer einst seine Apotheke betrieb.
August Oetker wurde am 6. Januar 1862 in Obernkirchen, einem kleinen Ort im damaligen Fürstentum Schaumburg-Lippe, als ältestes von zehn Kindern geboren. Sein Vater, August Adolph Oetker, war Bäckermeister und betrieb sein Handwerk neben einem bäuerlichen Anwesen (1). Als ältestes Kind musste August schon früh um fünf Uhr dem Vater in der Backstube helfen, erst danach konnte er zur Schule gehen. Trotz der großen Familie – drei Kinder starben allerdings bereits im frühen Alter – stellte sich in dem gegenüber dem Ratskeller gelegenen Fachwerkhaus, in dem sich die Bäckerei befand, ein gewisser Wohlstand ein.
Geburtshaus von August Oetker in Obernkirchen, in dem der Vater seine Bäckerei betrieb
Foto: Frank Ackemann, Obernkirchen
August konnte dank seiner raschen Auffassungsgabe und seines Fleißes das Gymnasium Adolfinum in der sechs Kilometer entfernten Residenzstadt Bückeburg besuchen. 1878 begann er sechzehnjährig seine pharmazeutische Ausbildung in der Rats-Apotheke Stadthagen bei Dr. Ernst Brackebusch, der mit ihm sehr zufrieden war (2). Er stellte ihn auch dem Fürsten Adolf-Georg von Schaumburg-Lippe vor, dem Oetker bereits die Herstellung eines Backsalzes, die er ersonnen hatte, erklärte, worauf der Fürst gesagt haben soll: »August, du bist ein heller Kopf!« Der »helle Kopf« wurde später zum Symbol der Dr. Oetker-Waren. Auch mit Wilhelm Busch (1832 bis 1908), der die Rats-Apotheke besuchte, soll er Gespräche geführt haben (3).
Nach dem Abschluss der Lehrzeit 1882 konditionierte er bei Apotheker Münch in Langen bei Offenbach [4] und war danach bei Wilhelm Heraeus (1827 bis 1904) in Hanau im Labor und in der Platinschmelze tätig. In Hanau, wo er auch beim Militär das »Einjährigen-Jahr« ableistete (5), lernte er zugleich seine spätere Frau Caroline, Tochter der Witwe Jacobi, kennen, die dort ein Textilgeschäft betrieb und bei der er wohnte.
Studium und Heirat
1885 ging Oetker zum Studium der Pharmazie nach Berlin, wo er gemäß der Prüfungsordnung vom 5. März 1875 drei Semester studierte. Zu seinen Lehrern gehörten der Chemiker Adolf Pinner (1842 bis 1909), die Botaniker August Garcke (1819 bis 1904) und August Eichler (1839 bis 1887) sowie der Pharmakognost Alexander Tschirch (1856 bis 1939), die ihn für die Botanik begeisterten (6). 1887 legte Oetker das Pharmazeutische Staatsexamen mit »sehr gut« ab. Seine Promotion erfolgte 1888 an der Universität Freiburg zum Thema »Zeigt der Pollen in den Unterabteilungen der Pflanzenfamilien charakteristische Unterschiede?«
Fabrikgebäude von Dr. Oetker 1906
Ein Jahr später heiratete er und wurde 1889 Teilhaber eines Unternehmens, das Einrichtungsgegenstände für chemische Fabriken und Apotheken vertrieb, dem aber kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden war, so dass er sich mit finanzieller Unterstützung seiner Schwiegermutter als Apotheker niederlassen wollte. 1891 erwarb er die traditionsreiche ›Aschoffsche Apotheke‹ in Bielefeld. Als tüchtiger Apotheker legte Oetker Wert auf Qualität, wie er bekannte: »Den Schwerpunkt in meiner Apotheke legte ich auf die Darstellung bester Arzneimittel. Ich betrachte es als Ehrensache, daß jedes Präparat, welches ich abgebe, den höchstgestellten Anforderungen vollkommen entspricht.«(7) Diesen Grundsatz übertrug er auch auf sein Nebensortiment, das er in dem reich ausgestatteten Apothekenlaboratorium produzierte.
»Backin«
Noch 1891 begann er mit der Herstellung medizinischer Weine, von Sanitätskakao, Fußcreme, Warzentinktur und Schönheitsmittelchen.
Altersbild von Oetker (nach 1910)
Als besonders erfolgreich erwies sich aber sein Treibmittel zur Kuchenherstellung. Als Spross einer Bäckerfamilie kannte Oetker die Schwierigkeiten des Backens. Die bis dahin verwendeten Backhilfen wie Natron oder Cremor tatari (gereinigter Weinstein) besaßen erhebliche Nachteile, vor allem wegen ihres Eigengeschmacks. Bereits Justus Liebig (1803 bis 1873) hatte Backpulver zum Lockern des Teiges erfunden und unter der Bezeichnung »Liebigs selbsttätiges Backmehl« zum Verkauf angeboten. Dieses Produkt war jedoch teuer und vertrug keine lange Lagerung (8). 20 Jahre nach Liebigs Tod entwickelte Oetker in seiner zwei mal zwei Meter kleinen Kammer, in die er sich für solche Dinge zurückzog, eine innovative Rezeptur, wobei er sein Backpulver in der nahe gelegenen Bielefelder Bäckerei Müller in der Obernstraße testete. Wie sich der damalige Bäckergeselle Eduard Müller erinnerte, »brachte Dr. August Oetker drei bis vier Pappbeutel mit, die er sorgsam in seinen Taschen verwahrte. [. . .] Er stand ständig selbst dabei und überwachte argwöhnisch jeden Handgriff« (1). Bis 1892 setzte er seine Versuche hier fort, danach experimentierte er in der eigenen Küche, unterstützt von seiner Frau Caroline.
1893 gelang ihm die ideale Backpulvermischung, die »ohne Fehlzündung« funktionierte und die er »Backin« nannte. Sie erwies sich als haltbar und geschmacklos und ermöglichte das Backen eines lockeren, aufgegangenen Kuchens, wobei sich das Backverfahren stark verkürzte. Das Backpulver brachte Oetker in kleinen Tütchen auf den Markt, die jeweils für eine übliche Kuchenmenge von 500 g Mehl portioniert waren.
Promotionsurkunde von der Universität Freiburg i. Br.
Innerhalb kürzester Zeit verkaufte sich das Backpulver so gut, dass er eine Ganztagskraft zum Abfüllen beschäftigen musste. Schon bald belieferte er etliche Kolonialwarenhandlungen in und um Bielefeld mit seinem Backpulver. Die Backpulvertütchen waren mit zehn Pfennig pro Tüte sehr billig und erfreuten sich bei den Hausfrauen schnell großer Beliebtheit.
Erweiterung des Sortiments
1894 kam das von Oetker entwickelte »Vanillin«, ein Vanillezucker zum Würzen von Desserts und Gebäck, sowie auch eine »Einsiede-Hilfe«, die aus Salicylsäure und einer »Gelier-Hilfe« bestand, und schließlich das Oetker-Puddingpulver in verschiedenen Geschmacksrichtungen auf den Markt. 1898 folgte das Kindernahrungsmittel »Gustin«, das aus reiner Speisestärke bestand, sowie ein Zitronenbacköl in Fünf- Gramm-Fläschchen (7).
Schon bald reichten die Räume in der Apotheke nicht mehr aus, 21 junge Frauen drängten sich um 1900 in den zur Produktion dienenden, hinter der Offizin liegenden Räumen sowie in der darüber befindlichen Privatwohnung und im Kellergeschoss eines benachbarten Hauses [9]. Oetker hatte 1898 aus Platzgründen eine andere Wohnung auf dem Johannesberg bezogen. 1894 war im Keller eine Mischmaschine aufgestellt worden, mit der man per Hand 30 Kilogramm Pulver pro Tag mischen konnte. So wurden im Jahr 1894 600 000 Päckchen Back- und Puddingpulver, Einmachhilfe und Vanillezucker produziert (7).
Backpulver-Päckchen von 1890
Um 1900 bezogen die Produktion und die Verwaltung einen Neubau, der im gerade eingemeindeten Ortsteil Gadderbaum am Stadtrand Bielefelds errichtet worden war. Aber schon 1902 war ein zweiter Neubau erforderlich, und in den Jahren 1906 und 1907 dehnte sich die »größte Fabrik des Continents in dieser Branche« weiter aus. 1911/12 hatte Oetker eine Produktionsstätte für Backpulver bauen lassen.
Obwohl er zunächst überzeugt war, dass dies für die nächste Zeit reichen müsste, platzte der Betrieb bereits zwei Jahre später wieder aus allen Nähten und 1914 entstand das so genannte Puddingpulvergebäude. Die Anzahl der Beschäftigten betrug 1908 45, stieg 1911 auf 74, zusätzlich 157 Akkordarbeiter, und erreichte im Sommer 1914 350, wobei Außendienstmitarbeiter, die auf Provisionsbasis tätig waren, nicht mitgerechnet sind.
1906 konnte eine automatische Abfüllmaschine in Betrieb genommen werden, die per Kurbeldrehung von Hand eine bestimmte Pulvermenge durch einen Trichter in die darunter befindlichen Tütchen füllte und diese zugleich schloss und zuklebte. 1908 gab es sieben größere Kolbenmaschinen, die von einer Antriebsmaschine in Gang gesetzt wurden (7).
Werbung
Als aufstrebender Unternehmer begleitete Oetker seine Produkte von Anfang an mit Werbemaßnahmen, verteilte auch gelegentlich kostenlose Proben und selbst kreierte Backrezepte. Anregungen für die Werbung erhielt er durch den Vetter seines Vaters Louis Dohme, der in Baltimore lebte und ihn über die Backpulverherstellung in den USA informiert hatte (5). In zahlreichen Inseraten und Prospekten warb Oetker mit dem Slogan: »Ein heller Kopf nimmt stets Dr. Oetkers Fabrikate.« 1893 hatte er das Warenzeichen »Hellkopf« erfunden, das nun auf den Papiertüten samt seines Namenszuges abgebildet wurde. 1899 konnte nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb der helle Frauenkopf auf rotem Grund neu gestaltet werden. Im gleichen Jahr ließ Oetker dieses Warenzeichen beim Berliner Reichspatentamt eintragen. Neben dem Hellkopf und Namen versah er seine Packungen außerdem mit dem Zusatz »Institut für Küchenchemie«, der den Produkten eine gewisse Seriosität verleihen sollte (10).
Gebäude der sogenannten »Aschoffschen Apotheke« in Bielefeld, die Oetker ab 1891 betrieb.
Fotos: Stadtarchiv Bielefeld
Daneben veröffentlichte Oetker Kochbücher, bis 1900 waren bereits 600 000 Exemplare kostenlos verteilt worden. 1891 hatte er einen »Almanach für Kranke« geschrieben, in dem er zahlreiche Fragen seiner Patienten und Kunden beantwortete. Darin erklärte er beispielsweise den Sinn von Zahn- und Körperpflege. Eine Fortsetzung des Almanachs bildete die 1914 erschienene »Dr. Oetker-Warenkunde«, die es dem Lebensmittelkaufmann erlauben sollte, sich in dem umfangreichen Sortiment einheimischer und exotischer Waren zurechtzufinden (4).
Während des Ersten Weltkrieges konnte Oetker seine Umsätze sogar noch steigern, mit geschickten Appellen an die »deutsche Hausfrau« vermochte er die Produkte der ausländischen Konkurrenz wie beispielsweise englisches Mondamin oder amerikanisches Backpulver in Dosen zu verdrängen.
1913 verstarb Oetkers jüngerer Bruder Eduard, der die technische Leitung des Bielefelder Betriebes übernommen hatte. 1916 fiel sein Sohn, Dr. Rudolf Oetker (1889 bis 1916), in Verdun, dessen Tod für den Firmengründer ein schwerer Schicksalsschlag war. August Oetker verstarb früh mit 56 Jahren am 10. Januar 1918. Die Firma führte seine Witwe Caroline gemeinsam mit ihrem Schwager Louis Oetker (1866 bis 1933), der seit 1906 den Vertrieb geleitet hatte, und mit dem zweiten Mann ihrer Schwiegertochter Ida, Dr. Richard Kaselowsky (1889 bis 1944), weiter (4).
August Oetker zählt zu den erfolgreichen »selfmade-men«, der sein Unternehmen mit Energie, Tatkraft und Durchsetzungsvermögen, zugleich aber menschlichem Verständnis und sozialem Impetus führte. Hier kann er sicherlich in eine Reihe mit aus dem Apothekerberuf hervorgegangenen pharmazeutischen Unternehmern der ersten Stunde gestellt werden. /
Verfasser:
Professor Dr. Christoph Friedrich
Institut für Geschichte der Pharmazie
Roter Graben 10, 35032 Marburg