Gesund die Fliege machen |
05.01.2011 11:29 Uhr |
Bakterien und viele Urlauber haben eines gemeinsam: Sie lieben tropische Temperaturen. Was sich tun lässt, damit die Erreger auf Reisen nicht zum Darm-Ärgernis werden, erklärt Privatdozent Dr. Tomas Jelinek, Medizinischer Direktor des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin.
Der Präventions-Klassiker »Boil it, cook it or forget it« wird von Reisenden häufig missachtet oder ist nur schwer einzuhalten, und so ist die Reisediarrhö der häufigste ungeliebte Begleiter der Urlaubs. Zumeist verläuft er harmlos und die ständigen Toilettengänge, begleitet von Bauchkrämpfen, Blähungen oder Übelkeit, sind nach zwei bis vier Tagen vorbei. Doch weil Durchfallerkrankungen beispielsweise auf einer Safari-Pirschfahrt oder bei der Rückreise in einem vollbesetzten Flugzeug durchaus Qualen verursachen können, bekommt man sie besser erst gar nicht.
Unterschiedliche Erreger des Darm-Dilemmas unter dem Rasterelektronenmikroskop: Campylobakter mit typischer Spiralform (oben), E.-coli-Keime sind oval und formatieren sich in Gruppen (Mitte), Salmonellen bilden zahlreiche Geißeln aus (unten).
Fotos: Agricultural Research Service (oben, Mitte), United Department of Health and Human Services (unten)
»Um Reisedurchfälle vorzubeugen, ist eine orale Cholera-Impfung sehr effektiv«, sagte Jelinek im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Sie zeigt in Studien einen Schutz von immerhin 57 Prozent. Der Schutz hält allerdings nicht lange, etwa 6 bis 12 Monate. Dann müsste man mit einer neuen Impfung nachboostern. Die Impfung ist auch für Kinder ab zwei Jahren gut geeignet. Die Schutzwirkung ist eine Woche nach Einnahme der letzten Impfdosis zu erwarten.«
Der Grund für die Wirkung: Der Impfstoff gegen Cholera besitzt eine Kreuzprotektion gegenüber Toxin-bildenden enterotoxischen Escherichia coli (ETEC), den häufigsten Verursachern der klassischen Reisediarrhö. »Je nach Gegend machen sie zwischen 20 bis 70 Prozent der Durchfallepisoden aus.« Im Laufe der Evolution haben manche E.-coli-Keime das Gen von Vibrio cholerae angenommen, das zur Toxin-Produktion befähigt. Die Wirksamkeit des Cholera-Impfstoffs gegen ETEC beruht auf einer hochgradigen strukturellen und funktionellen Homologie der B-Untereinheit des ETEC- und des Choleratoxins. Deshalb können Antikörper gegen die B-Untereinheit des Choleratoxins auch die entsprechende B-Untereinheit des ETEC- Toxins erkennen und neutralisieren.
Der Wirkmechanismus erklärt, warum die Cholera-Impfung gegen die Brech-Durchfälle, die hierzulande in den Herbst-Winter-Monaten kursieren, nicht wirksam sein kann. Denn diese sind in aller Regel Viren zuzuschreiben. Bei Säuglingen und Kleinkindern sorgen meist Rotaviren für das Darm-Dilemma (auch dagegen kann man impfen, mit Rotarix®, Rotateq®). Jelinek: »Die Cholera-Impfung kann deshalb auch nichts ausrichten gegenüber Noroviren, die verschiedentlich bei umschriebenen Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen oder Hotels als Auslöser isoliert werden konnten.«
In Deutschland ist der Cholera-Impfstoff (Dukoral®) nicht zur Prophylaxe der Reisediarrhö zugelassen. Der Einsatz erfolgt also off label. Jelinek: »In der Schweiz liegt dagegen eine Zulassung für diese Indikation vor. Die EMA hat seinerzeit den Zulassungsantrag abgelehnt, mit der Begründung, dass nur zu wenige Daten vorliegen würden. Das Herstellerunternehmen ist eine kleine Biotech-Firma, der vermutlich das Geld für weitere Zulassungsstudien fehlt.« Dennoch unterstreicht auch die Weltgesundheitsorganisation die Kreuzprotektion und den sich daraus ergebenden Schutz vor ETEC-Reisedurchfall.
»Wir empfehlen Risikogruppen diese Impfung auch bei Reisen in Mittelmeerländer.« Zu diesen besonders Gefährdeten zählen alte Menschen, chronisch Kranke und solche, die wissen, dass sie leicht Durchfall bekommen. Menschen ohne Gesundheitsrisiken profitieren laut Jelinek von der Cholera-Vakzine, wenn die Reise in ein Land geht, von dem häufige Durchfallerkrankungen bekannt sind. »Bei einer Nilkreuzfahrt in Ägypten hat der Urlauber eine 85-prozentige Chance, einen Durchfall zu bekommen. Eine Rundreise in Indien bringt eine rund 80-prozentige Wahrscheinlichkeit für Durchfall mit sich. Das ist so häufig, dass wir aktiv die Impfung ansprechen.« Auch wer ein Höhentrekking plant, brauche die Impfung, denn ein durch den Durchfall bedingter Flüssigkeitsverlust begünstige eine Höhenkrankheit.
In 90 Prozent der Fälle zeichnen Enterotoxine für die akute Reisediarrhö verantwortlich. Diese Giftstoffe sondern nicht nur Escherichia-coli-Bakterien, sondern auch Salmonellen, Shigellen und Campylobacter ab. Außerdem können Salmonellen und Shigellen in die Darmschleimhaut eindringen und dort eine invasive Entzündung hervorrufen. Ein invasiv-entzündliches Krankheitsgeschehen zeigt sich etwa durch Fieber, starke Bauchschmerzen oder blutige Durchfälle.
In diesen Fällen rät Jelinek zu einem Antibiotikum. »Azithromycin sollte man im Gepäck haben, wenn die Reise in Länder geht, in denen die Versorgung mit einem Antibiotikum wegen der Gefahr von Arzneimittelfälschungen unsicher ist.« Zu diesen Ländern gehören Thailand, Vietnam oder Kenia. »Dort wird der Markt mit Fälschungen vor allem aus China überflutet. Diese enthalten entweder keinen oder nur minimale Mengen an Wirkstoff. In Vietnam haben zum Beispiel Studien ergeben, dass bis zu 64 Prozent der Präparate gefälscht waren.«
Azithromycin (wie Zithromax®) hat Ciprofloxacin als das Mittel der Wahl abgelöst, da sich in den letzten Jahren gegen das Chinolon viele Resistenzen gebildet haben. Und was ist mit Rifaximin (Xifaxan®), seit etwa zwei Jahren in Deutschland auf dem Markt? Jelinek: »Rifaximin ist nur für die unkomplizierte Reisediarrhö zugelassen. Es verkürzt zuverlässig Durchfallepisoden, sofern kein Fieber besteht oder der Stuhl nicht blutig ist.« Gegen invasive Erreger ist die Substanz nicht ausreichend wirksam, da es bei oraler Anwendung nur zu weniger als 1 Prozent resorbiert wird und somit nur lokal im Darm wirkt.«
Privatdozent Dr. Tomas Jelinek: »Mit einer Cholera-Impfung, der vorsorglichen Einnahme von Probiotika und einem Notfall-Antibiotikum ist man gegen Reisedurchfall gut ausgerüstet.«
Foto: privat
»Deshalb verordne ich im Voraus für den Notfall lieber Azithromycin. Denn bei einer Rifaximin-Empfehlung müsste ich dem Reisenden ein zusätzliches Antibiotikum für schwerere Diarrhöen mitgeben und ihm genau erklären, wie er wann was nehmen soll. Das halte ich für zu kompliziert: Bei der Reiseapotheke neige ich zu einfachen Lösungen. Denn Reisende sind in der Regel medizinische Laien.«
Handeln, wenn es losgeht
Im Übrigen sei der unkomplizierte Reisedurchfall auch gut symptomatisch zu behandeln. Prinzipiell sind Wasser- und Elektrolytverluste immer durch eine orale Rehydratationstherapie zu ersetzen. Orale Glucose-Elektrolyt-Lösungen gibt es in speziellen Formulierungen für Erwachsene (wie Elotrans®) und Kinder (wie Oralpädon®). Die Rehydratation hat allerdings keinen Einfluss auf die Krankheitsdauer.
Zusätzlich setzt Jelinek auf Tanninalbuminat-Präparate (wie Tannacomp®). Mit dem ersten ungeformten Stuhl sollten zwei Tabletten genommen werden, bei jedem folgenden ungeformten Stuhl eine weitere Tablette. »Das wirkt gut, allerdings nicht so potent wie Rifaximin. Dafür verändert es die physiologische Darmflora nicht. Unter dem Strich sehe ich für Rifaximin keine breite Indikation.«
Selbst hygienisch einwandfrei arbeitendes Personal in der Hotelküche hat keine Chance, wenn es bereits kontaminierte Nahrungsmittel
geliefert bekommt.
Foto: Fotolia/j.o.photodesign
Tannine kommen auch nicht an die Wirksamkeit von Motilitätshemmern wie Loperamid (wie Imodium®) heran. »Loperamid ist unzweifelhaft das potenteste Antidiarrhoikum.« Es ist zur symptomatischen Behandlung von akuten Diarrhöen ab 12 Jahren in der Selbstmedikation zugelassen. Kein Fall für die Selbstbehandlung ist Durchfall, der länger als drei Tage dauert. Daher ist die Einnahme von Loperamid sicherheitshalber auf zwei Tage begrenzt.
Studien belegen, dass rund 40 Prozent der Patienten in den ersten Stunden nach Therapiebeginn beschwerdefrei waren, 80 Prozent nach zwei Tagen. Dazu bindet Loperamid bevorzugt als Agonist an Opiatrezeptoren in der Darmwand und unterdrückt damit zuverlässig die erhöhte Darmaktivität für rund acht Stunden. »Aber genau dort kann auch das Problem liegen: Beim komplizierten Reisedurchfall siedeln sich potenzielle Erreger in der Darmwand an, die für Blut im Stuhl sorgen oder Fieber auslösen. Durch das Lahmlegen des Darmes fördert man eher die Infektion, und die Bakterien können sich potenziell besser im Darm ausbreiten. Unter dem Aspekt der einfachen Medikation im Urlaub – also möglichst wenige Mittel gegen Durchfall – gebe ich den Reisenden lieber Tanninalbuminat-Präparate mit, weil das auch beim komplizierten Durchfall einzusetzen ist und nicht überdosiert werden kann.«
Uzarawurzelextrakt (wie Uzara®) wirkt nicht nur antisekretolytisch und verhindert damit den Übertritt von Wasser und Elektrolyten ins Darmlumen. Die enthaltenen Glykoside hemmen auch die Peristaltik des Darms. Die ständigen Toilettengänge werden reduziert, ohne dass der Darm gelähmt würde. Vorteil: seine spasmolytische Wirkkomponente; Übelkeit und Brechreiz, die oft den Durchfall begleiten, werden gemildert. Weiteres Plus: Der Extrakt kann sogar Säuglingen gegeben werden. Jelinek: »Doch nicht alle Durchfälle auf Reisen basieren auf diesem Pathomechanismus. Uzarawurzelextrakt ist ein interessantes Mittel, das gegen einen Teil der Durchfälle seine Berechtigung hat. Es wirkt vermutlich aber nicht breit genug, um es vorsorglich mitzugeben.«
Mit Probiotika vorbeugen
Was ist von der vorbeugenden Einnahme von Rifaximin zu halten, um Durchfall im Urlaub erst gar nicht zu bekommen? In den USA liegt dagegen sogar eine Zulassung vor. »Wir in Europa tun uns schwer mit der präventiven Dauereinnahme von Antibiotika. Immerhin wird die Darmflora bei so langer Einnahmedauer erst recht geschädigt. Dass Rifaximin nur die pathogenen E.-coli-Keime attackieren und die physiologischen unbehelligt lassen soll, bezweifele ich. Zumindest kenne ich dazu keine Studien.«
Probiotika, etwa Saccharomyces-Präparate (wie Hamadin®, Perenterol®), seien dagegen sinnvoll, um sich vor einer Diarrhö zu schützen. Studien bescheinigen ihnen einen 10-prozentigen Effekt gegenüber Placebo. Der Reisemediziner empfiehlt Probiotika überdies zusätzlich zur Antibiotika- oder nach einer Durchfalltherapie, um die Darmflora wieder zu stabilisieren. Probiotische Bakterien können auch die Krankheitsdauer bei akutem Durchfall um durchschnittlich einen Tag reduzieren, stellte vor wenigen Wochen die Cochrane Collaboration fest. Das ergab eine Analyse von 63 Studien mit über 8000 Patienten, davon 56 Studien mit kleinen Kindern. Das Risiko, dass eine Diarrhö länger als vier Tage anhält, reduzierte sich durch die Probiotika-Gabe um 59 Prozent. Allerdings ist die Frage noch ungeklärt, welche spezifischen Bakterienstämme am besten gegen Durchfall wirken. /
Trotz aller medikamentösen Vorsorgemaßnahmen sind nahrungsmittelhygienische Aspekte und Desinfektionsmaßnahmen im Urlaubsland das A und O.
Im Reiseland kein ungekochtes Wasser trinken.
Getränke mit Eiswürfeln sind zu meiden.
Finger weg von Mayonnaise und kalten Soßen, ungekochtem Gemüse und Salaten.
Eis, Pudding und Cremespeisen sowie Früchte, die sich nicht schälen lassen, sind tabu.
Auf halbgare Fleisch- und Fischspeisen ist zu verzichten.
So oft wie möglich Hände waschen, besser noch desinfizieren.
Beim Zähneputzen kein Leitungswasser, sondern abgepacktes/abgekochtes Wasser verwenden.