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Laxanzien

Ballaststoffe reichen mitunter nicht

05.01.2011  11:29 Uhr

Betroffenen, die immer wieder über Verstopfung unbekannter Ursache klagen, wird meist empfohlen, ihre Ernährung umzustellen und mehr Ballaststoffe zu verzehren. Gegen diesen Rat ist nichts einzuwenden, nur sollte man die Erfolgschancen nicht überbewerten.

Ernährungsanalysen zeigen, dass es keineswegs allen unter Verstopfung leidenden Menschen an Ballaststoffen mangelt. Viele von ihnen essen ebenso faserreich wie Personen mit funktionierender Verdauung, und ein Plus an Ballaststoffen bessert die Beschwerden nicht. Bei einem Teil der Betroffenen lässt sich zwar eine verzögerte Passage durch den Magen-Darm-Trakt nachweisen, doch er ist auch durch hohe Ballaststoffmengen nicht zu normalisieren. Dennoch: Die Empfehlung, reichlich faserreiche Kost zu sich zu nehmen, ist die Grundlage jeden Versuchs, den Stuhlgang wieder flott zu bekommen.

Auch der zweite häufig geäußerte Tipp entpuppt sich als Mogelpackung: Die Steigerung der Trinkmenge über die normalen rund 1,5 Liter täglich hat keinen therapeutischen Effekt. Zum einen legen Ernährungsanalysen nahe, dass Obstipierte in der Regel nicht weniger trinken als Menschen ohne lange Sitzungen auf dem stillen Örtchen. Zum anderen existieren Untersuchun­gen, dass eine Variation der Trinkmenge ohne wesentlichen klinischen Effekt auf die Darmfunktion bleibt.

 

Ähnlich verhält es sich mit dem wohlgemeinten Rat »Mehr Bewegung bringt die Verdauung auf Trab«. So brachte in Studien selbst ein tägliches Laufpensum von rund fünf Kilometern den obsti­pierten Teilnehmern nicht die gewünschten Geschäfte. Obstipierte sind aber durchschnittlich auch nicht weniger körperlich aktiv als Gesunde.

 

Sinnvoll ist dagegen die Empfehlung, den Toilettenbesuch bewusst in den Tagesrhythmus einzuplanen. Wer zum Beispiel das Frühstück nutzt, die Kolonmotilität anzuregen, benötigt danach ausreichend Zeit, sich zu entspannen und die Toilette aufzusuchen. Doch wem Abfahrtszeiten von Zug oder Bus im Nacken sitzen, übergeht den Entleerungsreflex.

 

Bei der Beratung in der Apotheke ist die Tatsache anzusprechen, dass es keine minimal erforderliche Stuhlfrequenz gibt. Zudem haben seltene Toilettengänge keine Nachteile für die Gesundheit. Die chronische Verstopfung ist in der Regel harmlos, schmälert aber häufig die Lebensqualität. Besteht ein Leidensdruck, ist die Lösung des Toilettenproblems auf pharmakologische Weise gerechtfertigt. Die Tabelle gibt einen Überblick über die heute gebräuchlichen Abführmittel. Derzeit haben Lactulose und Polyethylenglykole als osmotisch wirksame Laxanzien sowie die hydragog und antiresorptiv wirkenden Stimulanzien die größte Bedeutung.

 

Wieder zu Potte kommen

 

Lactulose (wie Bifiteral®) ist ein Disaccharid aus Galactose und Fructose. Lactulose kann durch die Disaccharidasen des Dünndarms nicht gespalten werden und erreicht das Kolon praktisch unverändert. Dort entstehen durch bakterielle Fermentierung kurzkettige Essig- und Milchsäure, die resorbiert werden und dadurch dem Darm Wasser entziehen. Der Darminhalt wird aufgeweicht und über eine Dehnung der Darmwand die Defäkation eingeleitet.

Tabelle: Die wichtigsten Laxanzien, ihre Wirkweise und mögliche Nachteile im Überblick

Laxanzien-GruppeBeispiel (Dosis)WirkweiseNachteil
Salze (salinische Laxanzien) Glaubersalz, Bittersalz (10 g) osmotische Wasserbindung Elektrolytstörung, Geschmack
Lösliche Makromoleküle Macrogol (10 – 20 g) osmotische Wasserbindung Geschmack (v. a. elektrolythaltige Präparate)
Zuckerstoffe Lactulose, Lactitol (10 – 30 g) osmotische Wasserbindung
Bakterienmasse nimmt zu
Blähungen
bei schwerer Obstipation schlecht wirksam
Mehrwertige Alkohole Glycerol (1 g), Sorbitol (20 – 30 g als 25- bis 30-%ige Lösung) Wirkung auf den Defäkationsreflex
osmotische Wasserbindung
nur als Suppositorien und Mikroklysmen anwendbar
bei schwerer Obstipation schlecht wirksam
»Stimulanzien« (antiresorptiv und hydragog wirkende Laxanzien) Bisacodyl, Natriumpicosulfat (5 – 10 mg),
Anthrachinone wie Sennoside (10 – 20 mg)
prokinetisch, antiresorptiv, hydragog
bakterielle Aktivierung von Anthra-chinonen und Picosulfat im Kolon
eventuell krampfartige Magen-Darm-Beschwerden
5-HT4-Agonist Prucaloprid prokinetisch wenig Erfahrung

Quelle: modifiziert nach Müller-Lissner, St., Obstipation: Pathophysiologie, Diagnose und Therapie. Dtsch. Ärztebl. 25 (2009) 424-432.

Bei der Abgabe dieses beliebten Abführmittels sollte nicht vergessen werden, auf die oft erheblichen Bauchschmerzen und Blähungen hinzuweisen. Denn beim bakteriellen Abbau der Kohlenhydrate fällt verstärkt Kohlendioxid an. Außerdem ist das Disaccharid bei Obstipationsformen, die auf einem zu langen Transit beruhen, nicht ausreichend wirksam.

 

Unter den osmotisch wirksamen Abführmitteln hat Lactulose in den vergangenen Jahren Konkurrenz bekommen, und zwar von den Polyethylenglykolen, auch als Macrogole bezeichnet (wie Movicol®, Laxofalk®). Polyethylenglykole (PEG) seien gar Lactulose bei chronischer Verstopfung vorzuziehen, konstatierte die renommierte Cochrane Collaboration 2010, die sich für die systematische Auswertung von Studien einsetzt. Diesen Schluss lasse zumindest die Analyse von zehn randomisierten klinischen Studien zu. Zwar seien beide sicher und wirksam, heißt es in dem Review. Doch die PEG-Überlegenheit beziehe sich auf die Frequenz des Stuhlgangs pro Woche, die Form des Stuhls, signifikant weniger Blähungen und dem Gebrauch zusätzlicher Präparate. Außerdem kommt es durch Lactulose zu einer gewissen Toleranzentwicklung, nicht aber durch Macrogole. Im Gegenteil: Die erforderliche Dosis sank in den ersten Behandlungswochen. Deshalb haben sich PEG zur Dauerbehandlung von chronischer Verstopfung bewährt; sie sind selbst bei Patienten mit langsamem Transit und Koprostase wirksam.

PEG mit einer hohen Molekülmasse (3350 und 4000 Dalton) binden Wasser über Wasserstoffbrücken in Form von Hydrathüllen. Dadurch wird mit dem Arzneistoff eine definierte, oral zugeführte Wassermenge in das Kolon transportiert – eben genau jene 100 bis 250 Milliliter, die mit dem Medikament eingenommen werden. Macrogole hydratisieren den Stuhl, verkürzen die Kolontransitzeit, und über die Dehnung der Darmwand kommt es zum Defäkationsreflex. Damit die Wirkung nach 24 bis 48 Stunden eintritt, müssen sie täglich eingenommen werden. PEG werden praktisch nicht resorbiert und metabolisiert sowie unverändert ausgeschieden. Dadurch kommt es zu keinen Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen.

 

Eine Sonderstellung unter den osmotisch wirksamen Abführmitteln nehmen die mehrwertigen Alkohole Glycerol und Sorbitol ein. Beide können in Form von Suppositorien oder Mikroklysmen (wie Glycilax®, Microklist®) zur Auslösung des Defäkationsreflexes benutzt werden. Zusätzlich tritt Wasser in das Darmlumen über, und der Stuhl erweicht. Nach rund 30 bis 60 Minuten ist mit Stuhlgang zu rechnen. Beide Alkohole gelten als besonders schonend, weshalb sie bei Bedarf auch für Säuglinge, Schwangere und stillende Mütter abgegeben werden dürfen. Stillende können bei Schwierigkeiten mit dem Stuhlgang auch mit Bisacodyl oder Natriumpicosulfat nachhelfen. Ein Übertritt der aktiven Wirkform oder der Abbauprodukte in die Muttermilch war in einer aktuellen Studie nicht nachweisbar. Die Fach- und Gebrauchsinformationen berücksichtigen diese Tatsache bereits. Im Übrigen ist auch von Macrogolen wegen der fehlenden Resorption nicht zu erwarten, dass sie in die Muttermilch übergehen. Doch liegen hierfür keine Stillzeit-Studien vor.

 

Ziel: weicher, geformter Stuhl

 

Zu den Stimulanzien gehören die Anthrachinone sowie Bisacodyl und Natriumpicosulfat. Sie hemmen die Natriumionen- und Wasserresorption aus dem Darmlumen (antiresorptive Wirkung), zugleich fördern sie in unterschiedlichem Ausmaß den Einstrom von Elektrolyten und Wasser in das Darmlumen (hydragoge Wirkung), indem sie die Durchlässigkeit der tight-junctions, also gewissermaßen der Kittleisten zwischen den einzelnen Epithelzellen, erhöhen. Und eine dritte Wirkkomponente: Durch das erhöhte Volumen im Darm wird die Motilität beschleunigt. Krampfartige Bauchschmerzen können die Folge sein.

 

Anthrachinone liegen natürlicherweise als Glycoside vor. Das schützt sie im Dünndarm vor der Resorption. Wirksam sind sie dann erst nach der Spaltung im Kolon und nach der Reduktion zu Anthronen beziehungsweise Anthranolen durch Colibakterien. Die am besten untersuchten Anthraglykoside sind die Sennoside (wie Bekunis® Kräutertee, Midro® Tee). Beworbene Eigenschaften wie »rein pflanzlich« haben weder Vor- noch Nachteile.

 

Da Natriumpicosulfat (wie Laxoberal®) im Gegensatz zu Bisacodyl (wie Dulcolax®) im Dünndarm nicht resorbiert wird, muss es nicht dragiert, sondern kann in Tropfenform gegeben werden. Daher ist es individueller und feiner dosierbar. Vorteil des Bisacodyls ist allerdings, dass es bei Stuhlentleerungsstörungen als einziges Stimulans auch als Zäpfchen eingesetzt werden kann. Die Wirkung des Zäpfchens lässt nur rund eine halbe Stunde auf sich warten, während sich bei den peroralen Arzneiformen der Wirkeintritt nur schwer genau vorhersagen lässt. Zwischen acht und zehn Stunden dauert es, bis der Gang zur Toilette ansteht. Da diese Laxanziengruppe ihre Arbeit ziemlich gründlich erledigt, müssen sie nicht täglich eingenommen werden. Viele Patienten kommen mit der ein- bis zweimal wöchentlichen Einnahme hin.

 

Im Beratungsgespräch sollte dem Betroffenen vermittelt werden, dass mithilfe des Laxans ein weicher, aber dennoch geformter Stuhl das Ziel ist. Dosis und Einnahmefrequenz müssen deshalb der Konsistenz des Stuhls angepasst werden. Endet die erste Einnahme beispielsweise mit Durchfall, ist die Dosis zu reduzieren.

 

Kein Durchfall, kein Kaliummangel

 

Valide klinische Studien neueren Datums lassen den Schluss zu, dass das nebenwirkungsträchtige Image dieser Laxanziengruppe vermutlich die Folge langer Überdosierungen mit chronischen Durchfällen ist. Wird dagegen bestimmungsgemäß dosiert, sind kaum Nebenwirkungen beschrieben. Vor allen Dingen die Gefahr einer Hypokaliämie, die in einem Circulus vitiosus die Verstopfung durch Darmatonie und Muskelschwäche noch vorantreibt, scheint dann in der Realität nicht zu existieren. So zeigt eine letztes Jahr publizierte klinische Studie mit jeweils rund 370 funktionell Obstipierten keine Veränderungen des Kaliumspiegels im Serum. Dazu bekamen die Probanden über vier Wochen täglich entweder Natriumpicosulfat oder Bisacodyl. Die Werte für Kalium lagen vor und nach der Studie im Normbereich. Auch in einer Studie mit Querschnittsgelähmten, die über einen Zeitraum von 2 bis 34 Jahren Bisacodyl einnahmen, ist kein Kaliummangel dokumentiert.

 

Auch die Gefahr einer Gewöhnung scheint, wenn das Laxans über einen längeren Zeitraum bestimmungsgemäß eingenommen wird, eher gering zu sein. So bescheinigen die oben aufgeführten 4-Wochen-Studien sowohl dem Natriumpicosulfat als auch dem Bisacodyl keinen Wirkverlust. Im Gegenteil: 50 Prozent der Natriumpicosulfat-Anwender und 60 Prozent der Bisacodyl-Probanden haben die Dosis gar reduziert und dem Bedarf angepasst. Im Verlauf der Untersuchung pendelte sich die Zahl der Toilettengänge auf vier pro Woche ein.

 

In retrospektiven Befragungen berichten manche Patienten über eine Gewöhnung an die Substanzen. In einer skandinavischen Untersuchung gab die Hälfte der Patienten an, über die Jahre die Dosis von Natriumpicosulfat mäßig erhöht zu haben, allerdings nicht über den empfohlenen Dosisbereich hinaus. Ähnlich moderat war die Dosissteigerung des Bisacodyls in der Studie mit den Querschnittsgelähmten. /

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