Jahresstart auf dem Land |
04.01.2011 19:12 Uhr |
Von Daniela Biermann, Egestorf / 3. Januar 2011, 8 Uhr morgens in der Lüneburger Heide: Silvia Seipold schließt die Tür der Linden-Apotheke auf. Die Apothekeninhaberin ist gespannt, was sie erwartet – heute und im neuen Jahr.
»Frohes neues Jahr!« Die Computer sind gerade hochgefahren, da betritt der erste Kunde dieses Jahres die kleine Apotheke in Egestorf, einer Gemeinde mit rund 2500 Einwohnern am Rande der Lüneburger Heide. Ein älterer Herr mit Gehstock kommt herein. Inhaberin Silvia Seipold begrüßt ihn mit Namen und weiß auch gleich, was er möchte. Diese Salbe mit dem komischen Namen. An der Kasse gibt es keine Probleme; Seipold hat die Preisänderungen und Updates bereits Silvester nach dem eigentlichen Dienstschluss eingespielt.
Der übliche Ärger
Auch bei den Kunden mit Kassenrezepten keine besonderen Vorkommnisse. Soll heißen: der übliche Ärger. Ein Patient hat drei Positionen auf seinem Rezept – alle nicht lieferbar. Eine andere Patientin will partout nicht schon wieder umgestellt werden. Sie glaubt nicht, dass die anderen Tabletten wirklich genauso wirken. Aber selbst zahlen, wie es die neue Regelung ermöglicht, will sie auch erst mal nicht. »Ich glaube, dass diese Möglichkeit von den Patienten kaum genutzt werden wird«, so Seipold. Denn sie kann ihren Kunden nicht einmal sagen, wie viel sie von den Kassen erstattet bekommen werden.
Apothekerin Silvia Seipold blickt gelassen in die Zukunft. Zwar mit leichten Sorgen – doch irgendwie wird es schon weitergehen.
Foto: PZ/Biermann
Die schlechte Informationspolitik der Krankenkassen zu ihren Rabattverträgen ärgert die Apothekerin am meisten, nicht das Unverständnis der Kunden. »Und die Ärzte könnten auch mal etwas sagen«, meint Seipold. Aufgrund veralteter Software kommt es immer wieder vor, dass die Praxis folgenden Satz auf das Rezept druckt: »Dieses Medikament ist von der Zuzahlung befreit«. »Das stimmt jedoch häufig nicht. Und dann heißt es, das hat der Arzt mir aber so gesagt«, klagt die Apothekerin. »Dann steht Aussage gegen Aussage. Dabei würden die Patienten eine Umstellung eher akzeptieren, wenn zwei in weißem Kittel ihnen das Gleiche erzählen. Durch die Rabattverträge sind die Patienten uns gegenüber jedoch misstrauischer geworden«, bedauert sie.
Nicht alle über einen Kamm scheren
Wie die meisten ihrer Kollegen schüttelt Seipold über die Gesundheitspolitik nur den Kopf. »Ich frage mich, mit welchen Zahlen die Politiker gerechnet haben, als sie das AMNOG beschlossen haben«, sagt sie. »Wir haben doch alle gläserne Betriebe, die Zahlen liegen doch offen.« Von den finanziellen Nöten der kleinen Apotheken wüssten die meisten nichts, weder Politiker noch Patienten. Und einige würden es auch nicht glauben, dass es manchen Apothekern schlecht gehen könne. Als Referenz gelten zu oft die großen Betriebe.
Seipold will jedoch nicht klagen. Existenzängste? Nein, die habe sie nicht, sagt sie nach kurzem Überlegen. Aber Sorgen mache sie sich schon. »Für 2011 habe ich mich noch nicht getraut, den Bleistift zu nehmen und eine Prognose für meine Apotheke zu erstellen. Wie auch?«, fragt die 52-Jährige. Kassenabschlag runter und wieder rauf, Briefe vom Großhandel, dass die Rabatte auf Eis liegen – Planungssicherheit ist etwas anderes. Trotzdem ist sich Seipold sicher, dass dieses Jahr besser als das letzte wird. In der einzigen Arztpraxis im Dorf hat heute eine junge Ärztin ihren ersten Tag. Das Altersheim baut seine Kapazitäten aus. Das verschafft zumindest mittelfristig eine Perspektive.
Die Apotheke als Lebensgrundlage
Seit 20 Jahren finanziert die Apotheke den Unterhalt ihrer Familie, inklusive Studium der Tochter. Die hat sich für Biochemie statt Pharmazie entschieden. »Sie ist eher der Forschertyp. Und ich wollte nicht, dass sie nur aus Verantwortungsgefühl mir gegenüber Pharmazie studiert«, sagt die Apothekerin. Was in 10 bis 15 Jahren mit der Apotheke passieren wird, ob der Verkaufserlös etwas zur Alterssicherung beiträgt, wenn Seipold sich zur Ruhe setzt – sie weiß es noch nicht. »Aber was soll ich anderes machen? Mir macht mein Beruf immer noch Spaß.« Auch wenn es ein wenig nachdenklich klingt – man glaubt es ihr sofort, als die Türklingel geht und sie sich um den nächsten Patienten kümmert. /