Aus der Arzneimittelpalette gezielt auswählen |
Brigitte M. Gensthaler |
30.11.2021 09:00 Uhr |
Bauchkrämpfe und -schmerzen sowie anhaltende, auch blutige Durchfälle können Anzeichen eine chronisch entzündlichen Darmerkrankung sein. Bei Verdacht darauf ist eine umfassende Diagnostik erforderlich. / Foto: Adobe Stock/ ipopba
Diarrhö über mehr als vier Wochen, blutiger oder wässriger Stuhl, nächtliche Durchfälle und abdominelle Schmerzen: Diese Symptome können auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) hinweisen, reichen aber nicht für die Diagnose oder gar Differenzierung in Morbus Crohn (MC) und Colitis ulcerosa (CU) aus. Beide Erkrankungen verlaufen schubweise und belasten die Patienten schwer. »Der CED-Patient muss im Mittelpunkt des Handelns stehen; oft sind individualisierte Therapieansätze notwendig, die genau mit ihm besprochen werden müssen«, betonte Professor Dr. Thomas Weinke, Infektiologe am Klinikum Ernst von Bergmann, Potsdam, beim Online-Herbstkongress der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 21. November.
Bei Morbus Crohn betrifft die Entzündung transmural alle Schichten der Darmwand, wobei sich entzündete mit entzündungsfreien Arealen abwechseln. Ulzera und Fisteln können entstehen; typisch sind Granulome. Bei Colitis ulcerosa sind nur die oberflächlichen Schichten (Mukosa und Submukosa) der Darmwand entzündet. Es entstehen Ulzera, die leicht bluten. Die Erkrankung beginnt meist im Rektum und schreitet bis zu einer Pankolitis fort.
Der Gastroenterologe nannte die Therapieziele: Lebensqualität normalisieren, schnell eine Remission induzieren und diese langfristig und vor allem ohne Steroide erhalten. Ein weiterer Ansatz ist die endoskopische Remission (Mucosal Healing). Ebenso müssen opportunistische Infektionen und Mangelzustände verhindert und therapiert werden.
Dafür stehen etliche Medikamente zur Verfügung. 5-Aminosalicylate (5-ASA, Mesalazin) haben seit Jahrzehnten einen Stellenwert besonders bei leichten und moderaten CU-Verläufen. Dies gilt sowohl für den akuten Schub als auch für den Remissionserhalt. Sie seien aber »fast keine Option mehr« bei der Crohn-Erkrankung. Corticosteroide sind gut wirksam zur Remissionsinduktion, müssen aber nach spätestens zwei bis drei Monaten abgesetzt sein. »Steroide sind ineffektiv in der Erhaltungstherapie«, stellte der Arzt klar. Von den Immunsuppressiva wird am häufigsten Azathioprin genutzt. Den guten Langzeiteffekten stehen der langsame Wirkeintritt (zwei bis drei Monate) und mögliche Nebenwirkungen gegenüber.
Biologika wie die TNF-α-Inhibitoren Infliximab, Adalimumab und Golimumab (und deren Biosimilars) wirken gut in der Schub- und Langzeittherapie. Es gebe gute Daten für die Mukosa-Heilung, aber manchmal auch einen Wirkverlust, berichtete Weinke. Weitere Biologika mit anderen Wirkmechanismen sind das darmselektive Anti-Integrin Vedolizumab und der IL-12/23-Inhibitor Ustekinumab, die für beide CED zugelassen sind.
Neue Stoffgruppen für CU-Patienten sind Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptor-Modulatoren wie Ozanimod (peroral wirksam nach Biologika-Versagen) sowie JAK-Inhibitoren wie Tofacitinib und seit kurzem Filgotinib. Zu Tofacitinib verwies Weinke auf den Rote-Hand-Brief vom März 2021: Demnach erhöht die Einnahme von Tofacitinib das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse und Krebs (außer Nicht-Melanom-Hautkrebs) bei einigen Patienten. Dies schränke die Anwendung des Arzneistoffs erheblich ein.
Weinke warnte davor, immer gleich die neuen Arzneistoffe einzusetzen, da mit den etablierten Stoffen gute Erfahrungen vorlägen. Zudem sei der Zugewinn an Ansprechen oft nicht so hoch wie erwartet.