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Psychologie

Auch erschöpft vom Web-Meeting?

Videokonferenzen haben aufgrund der Coronavirus-Krise erheblich an Bedeutung gewonnen. Inzwischen sind sie nicht nur Ersatz für Business-Meetings, sondern auch für soziale Kontakte. Das Gehirn strengen die digitalen Treffen extrem an.
Jennifer Evans
21.06.2020  08:00 Uhr

Web-Meetings lassen viele Menschen »müde und leer« zurück, berichtet André Spicer, Professor für Organisationspsychologie an der Universität London. In der Coronavirus-Krise sind die digitalen Formate an die Stelle persönlicher Kontakte getreten, indem sie uns Normalität vorgaukeln. Doch die zwischenmenschlichen Beziehungen erscheinen irgendwie wirklichkeitsfremd. Dieses Gefühl hat die wissenschaftliche Diskussion um ein neues psychologisches Krankheitsbild namens »Zoom Fatigue« beflügelt, benannt nach dem gängigen Videokonferenzsystem eines US-amerikanischen Softwareunternehmens.

Interagieren wir lediglich über den Bildschirm mit anderen Menschen, gehen uns viele Signale verloren, hebt Spicer in seinem Beitrag auf der Wissenschaftsnachrichten-Plattform »The Conversation« hervor. Dann nehmen wir nämlich unter anderem den Geruch eines Raums nicht wahr und verpassen zudem einige Hinweise, die wir in echten Unterhaltungen über das periphere Sehen aufnehmen. »Diese zusätzlichen Informationen helfen dem Gehirn jedoch, verschiedenen Zusammenhängen Sinn zu verleihen.« Findet der zwischenmenschliche Austausch auf digitalem Wege statt, muss das Gehirn deutlich härter arbeiten, um diesen Informationsverlust auszugleichen.

Das führe zu einer schnelleren emotionalen Ermüdung, so der Psychologe. Je mehr wir uns anstrengen müssen, Gesehenes und Gehörtes einzuordnen, desto wahrscheinlicher wird es, dass unser Geist der Einfachheit halber Bewertungen abkürzt. »Dadurch kann es zu Fehlern kommen«, betont Spicer. Untersuchungen unter Medizinern hätten beispielsweise gezeigt: Wer ein Seminar via Video-Konferenz besuchte, konzentrierte sich tendenziell stärker darauf, ob ihm der Redner sympathisch war. Der Fokus jener, die tatsächlich mit dem Dozenten in einem Raum saßen, lag hingegen mehr auf dessen Argumentationsqualität.

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