Fampridin|Fampyra®|66|2011 |
Biogen Idec
10 mg Retardtabletten
Fampyra wird angewendet zur Verbesserung der Gehfähigkeit erwachsener Multiple-Sklerose-Patienten mit Gehbehinderung (EDSS, Expandes Disability Status Scale 4-7). Der Arzneistoff ist bei allen Verlaufsformen der Multiplen Sklerose, schubförmig und progredient, wirksam und kann mit den bestehenden Basistherapeutika kombiniert oder als Monotherapie angewendet werden.
Die Gehbehinderung gehört zu den gravierendsten Folgeerscheinungen von Multipler Sklerose und ist eines der Symptome, welche die Lebensqualität der Patienten am meisten beeinträchtigt. Sie beruht darauf, dass im Verlauf der Erkrankung die Myelinschicht um die Axone der Nervenzellen zerstört wird und an den ungeschützten Stellen vermehrt Kalium aus den freigelegten Kanälen austritt. Dadurch wird die Weiterleitung von Aktionspotenzialen gestört, was zu Muskelschwäche, Muskelsteifigkeit und Gehschwierigkeiten führen kann. Fampridin ist ein neuronaler Kaliumkanalblocker. Die selektive Blockade der Kaliumkanäle bewirkt eine Verlängerung der Aktionspotenziale sowie eine Verstärkung der elektrischen Signalleitung in demyelinisierten Nervenbahnen.
Die empfohlene Tagesdosis von Fampyra ist zweimal täglich 10 mg, wobei die Retardtabletten auf nüchternen Magen einzunehmen sind. Die Tablette muss im Ganzen geschluckt und darf nicht geteilt, zerdrückt, aufgelöst, gelutscht oder zerkaut werden. Die Erstverordnung sollte auf zwei Wochen begrenzt sein. Zeigt sich danach keine Besserung, sollte die Behandlung abgesetzt werden. Gleiches gilt, wenn sich die Gehfähigkeit verschlechtert oder der Patient keinen Nutzen feststellt.
Fampiridin sollte nicht gleichzeitig mit Arzneimitteln angewendet werden, die Substrate von OCT2 sind. Dazu zählen unter anderem Carvedilol, Propranolol und Metformin. Die gleichzeitige Anwendung von OTC2-Inhibitoren wie Cimetidin ist kontraindiziert.
Das häufigste unerwünschte Ereignis in den Studien zu Fampyra waren Harnwegsinfekte bei etwa 12 Prozent der Patienten. Im Vergleich zu Placebo kam es zudem vermehrt zu neurologischen Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Angstzuständen, Parästhesien, Tremor, Kopfschmerzen und Schwäche. Da Fampridin Schwindel und Gleichgewichtsstörungen hervorrufen kann, kann in den ersten vier bis acht Behandlungswochen das Sturzrisiko erhöht sein.
Fampyra darf nicht zusammen mit anderen 4-Aminopyridin enthaltenden Arzneimitteln gegeben werden. Fampridin wird überwiegend über die Nieren ausgeschieden, wobei die aktive Ausscheidung etwa 60 Prozent ausmacht. Der hierfür verantwortliche Transporter heißt OCT2. Deshalb ist die gleichzeitige Behandlung mit Inhibitoren von OCT2 wie Cimetidin kontraindiziert. Auch bei Patienten mit akuten oder in der Vergangenheit aufgetretenen Krampfanfällen oder bei Patienten mit leichter, mäßiger oder schwerer Niereninsuffizienz ist Fampridin kontraindiziert. Prinzipiell sollte bei älteren Menschen vor Beginn der Behandlung die Nierenfunktion überprüft werden.
Bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Inhaltsstoffe ist das Arzneimittel kontraindiziert.
Die Zulassung von Fampyra beruht auf zwei randomisierten placebokontrollierten Phase-III-Studien mit insgesamt rund 540 MS-Patienten (MS-F203 und MS-F204). In beiden Studien sprachen verglichen mit Placebo signifikant mehr Patienten auf die Behandlung an (MS-F203: 34,8 versus 8,3 Prozent, MS-F204: 42,9 versus 9,3 Prozent). Fampridin verbesserte unabhängig von Dauer und Verlaufsform der MS signifikant die Gehgeschwindigkeit. Die durchschnittliche Steigerung der Geschwindigkeit lag in beiden Studien bei rund 25 Prozent (MS-F203: 25,3 Prozent versus Placebo 5,3 Prozent; MS-F204: 26,3 Prozent versus Placebo 7,8 Prozent). Die Wirkung trat bei den Respondern nach rund zwei Wochen ein und hielt über die gesamte Therapiedauer an.
Der Ansatz, Fampridin bei MS-Patienten einzusetzen, ist nicht neu. Die Substanz wurde bereits in den 1990er-Jahren klinisch getestet. Damals wurde ihre Weiterentwicklung gestoppt, da sie keine ausreichende Wirksamkeit bei gleichzeitig engem therapeutischen Fenster zeigte. 2007 begann die amerikanische Firma Acorda Therapeutics eine Darreichungsform mit verzögerter Freisetzung in klinischen Studien zu testen. Aufgrund dieser Daten erteilte die FDA im Januar 2010 die Zulassung in den USA zur Behandlung der eingeschränkten Gehfähigkeit bei Patienten mit MS (Ampyra™). Anfang 2011 hatten die europäischen Behörden noch gezögert und eine negative Stellungnahme abgegeben. Im Juli erteilte die EMA die europäische Zulassung dann doch. Bislang konnten Ärzte die Kapseln in der Apotheke anfertigen lassen.
Fampyra ist bei Temperaturen nicht über 25 °C und im Originalkarton zu lagern, um den Inhalt vor Licht und Feuchtigkeit zu schützen. Nach Anbruch ist der Inhalt einer Flasche noch sieben Tage verwendbar.
Fampyra ist verschreibungspflichtig. Die Behandlung muss durch einen in der Behandlung der MS erfahrenen Arzt überwacht werden.
Fampridin
Die dreidimensionale Strukturformel können Sie mit einem kostenlosen Zusatzprogramm aus dem Internet, zum Beispiel Cortona von Parallelgraphics, ansehen (externer Link).
Europäischer öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR):
www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Summary_for_the_public/human/002097/WC500109958.pdf
Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels:
www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document_library/EPAR_-_Product_Information/human/002097/WC500109956.pdf
Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG):
www.iqwig.de/index.1452.html
Lob für Ipilimumab, Tadel für Belimumab und Fampridin, Meldung vom 03.05.2012
Tierexperimentelle Studien haben Hinweise auf eine Reproduktionstoxizität gegeben. Fampyra sollte daher während der Schwangerschaft sicherheitshalber nicht angewendet werden. Da nicht bekannt ist, ob der Wirkstoff in die Muttermilch übergeht, wird auch in der Stillzeit eine Anwendung nicht empfohlen.
Letzte Aktualisierung: 25.06.2015