Abweichen vom Impfschema könnte Mutationen begünstigen |
Christina Hohmann-Jeddi |
07.01.2021 13:16 Uhr |
Unter Selektionsdruck können neue Varianten von SARS-CoV-2 entstehen. / Foto: Adobe Stock/Christoph Burgstedt
»Mit der im Dezember in Südostengland entdeckten neuen Variante B.1.1.7, befinden wir uns in einer Art Wettlauf«, machte Professor Dr. Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neu auftretende Viruserkrankungen an den Universitätskliniken in Genf, am Mittwochabend gegenüber dem »Heute Journal« deutlich. Die sich in Großbritannien stark ausbreitende Variante sei Besorgnis erregend. Sie verursache zwar nach bisherigem Kenntnisstand keine schwereren Erkrankungen, unterlaufe auch nicht die PCR-Testung oder mache die zugelassenen Impfstoffe unwirksam, aber sie verbreite sich deutlich effektiver als bisherige Varianten. Aktuelle Studien gehen davon aus, dass die Variante um 56 Prozent ansteckender ist als bisherige Formen. Dies erschwere die Eindämmung des Infektionsgeschehens mit den bestehenden Maßnahmen deutlich.
»Wenn wie die Variante nicht kontrolliert kriegen, werden wir wahrscheinlich eine große dritte Welle haben«, sagte die Virologin. Wie sich dies auswirke, sei derzeit in Großbritannien zu sehen. In Bezug auf die Impfstoffe sagte Eckerle, dass die Mutationen der neuen Variante die Impfwirkungen nicht komplett aufheben, doch sei B.1.1.7 als Variante zu werten, die »ein Stück weit die Tür geöffnet hat, um unter diesen Impfstoffen hindurch zu mutieren«. Eckerle: »Wir sehen die Evolution bei der Arbeit.« Von RNA-Viren wisse man, dass sie sich rasch anpassen könnten, wenn Druck etwa durch Antikörper auf sie ausgeübt würde. Dann könnten sich Varianten durchsetzen, die weniger gut von der Immunantwort angegriffen würden.
Es sei daher wichtig, jetzt so schnell wie möglich viele Menschen zu impfen – aber diese müssten gut geimpft werden, um starke Immunantworten zu erreichen, betonte sie. Die Diskussion um eine Abweichung vom Impfschema und einem Verzicht auf eine zweite Dosis, wie sie derzeit geführt wird, hält sie für gefährlich. »Dann haben wir eine große Population mit einer schwachen Immunität, die dem Virus die Tür öffnet, weitere solcher Mutationen zu entwickeln.«
Die Virologin liefert damit ein weiteres Argument dafür, sich an die in den Zulassungen der Covid-19-Impfstoffen vorgegebenen Impfschemata zu halten. Für die beiden in der EU zugelassenen mRNA-Vakzinen gegen das Coronavirus von Biontech/Pfizer und dem US-Unternehmen Moderna sind jeweils zwei Dosen im Abstand von 21 beziehungsweise 28 Tagen notwendig.
Aufgrund der derzeitigen Impfstoffknappheit war die Diskussion aufgekommen, die zweite Dosis zeitlich zu verschieben oder ganz wegzulassen, um mehr Menschen durch eine Einzeldosis zumindest einen Teilschutz bieten zu können. In Großbritannien empfehlen die Behörden offiziell einen größeren Abstand zwischen den beiden Einzeldosen. Und in Deutschland wird ein Abweichen vom Impfschema inzwischen geprüft. Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Ständige Impfkommission (STIKO) gebeten, vorliegende Daten und Studien zu sichten und eine Empfehlung in dieser Frage abzugeben.
Am Dienstag hatte auch die US-Arzneimittelbehörde FDA Stellung genommen. Sie appellierte an die Verantwortlichen im Gesundheitswesen, die Impfstoffe laut Zulassung einzusetzen. Durch ein Abweichen von den nachgewiesen hocheffektiven Impfschemata ohne entsprechende Daten aus Studien riskiere man die öffentliche Gesundheit. Die Fragen, ob ein Abweichen von den Impfschemata sinnvoll sein kann, müssten in Studien beantwortet werden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.