Pharmazeutische Zeitung online
Lieferengpässe

Würzburger Wissenschaftler forschen zu Arzneimangel

Forscher der Julius-Maximilians-Universität München (JMU) wollen mit dem Projekt »Essential Therapeutics Initiative for Chemicals Sourcing for the European Union« (Ethics) gegen Arzneimittelengpässe vorgehen. Ihr Ansatzpunkt: Die Analyse der Lieferketten lebenswichtiger Medikamente.
Melanie Höhn
08.02.2023  15:30 Uhr
Würzburger Wissenschaftler forschen zu Arzneimangel

Die Forschergruppe will kurz- und mittelfristig ausgewählte Lieferketten lebenswichtiger Arzneimittel dokumentieren und analysieren – von der Rohstoffgewinnung über die verschiedenen Produktionsstufen hinweg bis zum Vertrieb. Hierfür hat sich das interdisziplinäre Team vier Wirkstoffe ausgesucht, die sowohl eine hohe therapeutische Relevanz als auch eine große Abhängigkeit von globalen Lieferanten aufweisen. Anhand dieser sollen – aufbauend auf der Analyse der Lieferketten – alternative Szenarien mit höherer Versorgungssicherheit entwickelt, ökonomische Implikationen für die nationalen Gesundheitssysteme quantifiziert und daraus schließlich Handlungsempfehlungen für die Politik abgeleitet werden, wie es in einer Mitteilung der JMU heißt. 

Entstanden ist das Projekt im Sommer 2022 auf Initiative von Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin am Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie und des Apothekers Uwe Weidenauer. Beide beschäftigen sich schon seit Jahren mit der Problematik der Mono-Struktur von Lieferketten bei Wirkstoffen. Holzgrabe warnt davor, dass neben den Engpässen bei Fiebermitteln auch lebensnotwendige Arzneimittel wie Antibiotika oder Wirkstoffe, die für eine lebensrettende »Last-Line-Therapie« eingesetzt werden, von einem Engpass betroffen sein können. 

»Explizit nicht als Reaktion auf die neueste Notlage«

Für ihr Projekt gingen Weidenauer und Holzgrabe auf zwei Wissenschaftler aus dem Fachbereich Betriebswirtschaft an der JMU zu: Professor Andrea Szczesny, Lehrstuhlinhaberin für BWL, Controlling und Interne Unternehmensrechnung und Professor Richard Pibernik vom Lehrstuhl für Logistik und Quantitative Methoden in der Betriebswirtschaftslehre. Szczesny beschäftigt sich in ihrer Forschung mit gesundheitsökonomischen Fragestellungen und betont, dass sich das Ethics-Projekt »explizit nicht als Reaktion auf die neueste Notlage« bei Arzneimittelengpässen verstehe und es auch nicht das Ziel sei, »nun sämtliche Ad-hoc-Reaktionen aus der Politik zu bewerten«. Der Fokus liege »explizit nicht auf kurzfristigen Maßnahmen, um Notstände zu überbrücken. Wir wollen vielmehr nachhaltige Lösungen für dieses Problem finden«, so Szczesny. Da dieses »nicht monokausal und äußerst komplex« sei, seien grundlegende Änderungen an verschiedenen Stellen des Systems nötig. »Klar ist: Die Versorgungssicherheit muss erhöht werden. Was uns diese Sicherheit wert ist, gelte es gesellschaftlich abzuwägen, da all diese Maßnahmen mit Kosten verbunden sein werden«. 

Eine Facette des Problems sei die Verringerung der Abhängigkeit von einzelnen Ländern wie Indien und gerade China, betonte Professor Pibernik: »Es geht hier nicht darum, einzelnen Ländern etwas zu unterstellen oder zu fordern, sämtliche Produktion wieder nach Deutschland zu holen. Dies wäre weder ökonomisch noch gesellschaftlich sinnvoll«. Die Abhängigkeit von einzelnen Ländern auf solch essenziellen Gütermärkten und die damit verbundenen Risiken müsse dringend reduziert werden. 

Mehr von Avoxa