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Mikrobiomforschung

Wir sind nicht allein

Dick durch Antibiotika in der Fleischindustrie?

Dick durch Antibiotika in der Fleischindustrie?

Überbordende Antibiotika-Verordnungen zur Therapie von Infektionen, so Bosch, gehen mit der Zerstörung des körpereigenen Mikrobioms und somit Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit vieler Menschen gegenüber krankmachenden Keimen bei zeitgleicher Zunahme von Antibiotika-Resistenzen einher. Nicht nur das: Es sei zudem ein direkter Zusammenhang auch zwischen dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft mit der rasant zunehmenden Zahl übergewichtiger Menschen zu verzeichnen.

»Mit der seit den 1950iger-Jahren in der Viehzucht zur Erhöhung der Fütterungseffizienz von Nutztieren praktizierten Antibiotika-Gabe legen nicht nur die Tiere pro Pfund Futter mehr an Gewicht zu. Dieses Prinzip gilt auch für Menschen, die Antibiotika belastetes Fleisch zu sich nehmen und durch fatale Änderungen ihrer symbiotischen Mikrobengemeinschaft immer adipöser werden«, warnte er. Für die These, dass die Zusammensetzung der Bakterien im Darm über die Frage »Dick oder dünn?« entscheidet, spreche auch die Tatsache, dass mit dem Transfer spezifischer Bakterien-Kulturen und Mikrobiome übergewichtiger Menschen Dickleibigkeit auf zuvor dünne Mäuse übertragen werden kann.

Bosch betonte, dass sich durch Transplantation pathophysiologischer Darm-Mikrobiotika im Tierversuch weitere Krankheiten induzieren lassen. »Zudem wissen wir heute, dass falsche, dysbiotische Bakterien auch im alltäglichen Zusammenleben von Mensch zu Mensch übertragbar sind«, führte er weiter aus. Im Gegenzug liege die Vermutung nahe, dass sich durch eine wie auch immer aussehende therapeutische Manipulation des Darms spezifische Erkrankungen heilen lassen.

Das Artensterben in uns

Nicht zuletzt die Erfolge der fäkalen Mikrobiotika Transplantation als neuer Methode der Wahl bei rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektionen gäben Anlass zur Hoffnung. Dieses alles sei noch Zukunftsmusik. Weitere Forschungen seien unumgänglich. Dass der westliche Lebensstil der Artenvielfalt der menschlichen Mikroben zum Schaden gereicht, lasse sich jedoch schon heute nicht mehr in Zweifel ziehen.

»Die Vielfalt der Insekten nimmt ab, die der Pflanzen ebenso – das weiß auch die Öffentlichkeit. Aber dass sich dieser Prozess überall auf der Welt auch in unseren Körpern vollzieht, scheint noch nicht jedem klar zu sein. Die mikrobielle Diversität verringert sich immer rascher«, warnte Bosch, der eine neue Sicht auf den Menschen als Metaorganismus in Koexistenz und Koevolution mit Mikroben dringend erforderlich nennt.

»Erst, wenn wir unser Verständnis von Lebensprozessen revolutionieren, werden wir auch neue Ansätze in der Therapie chronisch-entzündlicher Erkrankungen finden. Erst, wenn wir uns als Teil multiorganischer Netzwerke begreifen und loslassen von der Idee, dass der Mensch ausschließlich aus Körperzellen besteht, erreichen wir die dringend notwendige Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit gegenüber einer sich ständig ändernden Umwelt«, so Bosch.

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